2/2: Niederlegung nur bei endgültiger Erschütterung des Vertrauens
Ein vom Gericht bestellter Verteidiger kann – anders als ein Wahlverteidiger – sein Mandat nicht einfach niederlegen. Könnte er es, stünden viele Angeklagte oftmals ohne Anwalt da, etwa, wenn der Pflichtverteidiger ein vermeintlich angenehmeres oder lukrativeres Wahlverteidigungsmandat in Aussicht hat. Auch prozesstaktischem Vorgehen soll vorgebeugt werden: Erklärt der bisherige Verteidiger, dass er das Verfahren nicht mehr führen wird, und der neue, dass er für die Einarbeitung mehr Zeit benötigt als gesetzlich für eine Unterbrechung des Verfahrens zulässig (im NSU-Prozess dürfte es nach § 229 Abs. 2 StPO ein Monat sein), besteht die Gefahr, dass das Gericht die Hauptverhandlung von neuem beginnen muss.
Es bedarf daher für eine Aufhebung der Bestellung bzw. "Entpflichtung" eines wichtigen Grundes. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der Bundesgerichtshof (BGH) haben einen solchen bei einer endgültigen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses anerkannt – sofern eine sachgerechte Verteidigung objektiv insgesamt nicht mehr geführt werden könne. Die bloße Behauptung, das Vertrauensverhältnis sei erschüttert, reicht nicht aus. Es müssen die Gründe dafür dargelegt werden (BGH Urt. v. 26.08.1993, Az. 4 StR 364/93), und zwar auch dann, wenn – wie im NSU-Prozess – die Anwälte einwenden, dies sei in Hinblick auf das Schweigerecht entbehrlich.
Diese Rechtsansicht ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern findet ihren Rückhalt in einer Reihe weiterer Entscheidungen der Oberlandesgerichte. Gleichwohl wird auch dort angeführt, dass der Antrag zwar nicht in aller Ausführlichkeit begründet sein muss, aber doch so erläutert wird, dass das Gericht in die Lage versetzt wird sachgerecht zu prüfen, ob eine Entpflichtung berechtigt ist. Bei einem übereinstimmenden Antrag der Anwälte und des Mandanten soll die Begründungslast am geringsten sein.
Interessant ist auch eine Entscheidung des Landgerichts (LG) München I. Dort hatte der Angeklagte vorgebracht, er "fühle sich nicht gut vertreten", sondern habe den Eindruck, der Anwalt würde "gegen ihn arbeiten", weshalb er seinerseits nicht mehr mit ihm kooperiere. Dies hat das Gericht auch ohne weitere Begründung gelten lassen. Der Beschluss aus dem Jahre 2010 ist im Fachmagazin "Der Strafverteidiger" nachzulesen – und wurde übrigens dort von Beate Zschäpes Pflichtverteidigerin Anja Sturm veröffentlicht (Beschl. v. 19.10.2010, Az. 2 KLs 100 Js 3535/10; StV 2011, 667–668). Die Verteidiger haben für ihre Vorgehensweise also ebenfalls Rechtsprechung im Rücken.
Gericht in der Zwickmühle
Eine Anfrage auf Entpflichtung bringt das Gericht in eine Zwickmühle: Gibt es in dieser Situation dem Petitum des Pflichtverteidigers nach, lässt es sich unter Umständen das Verfahren aus der Hand nehmen. Der ganze Prozess muss schlimmstenfalls (mit allen Rechten) neu aufgerollt werden, Ausgang ungewiss. Lehnt das Gericht den jedoch Antrag ab, verwehrt es dem Angeklagten ein Kernprozessrecht mit der Folge, dass de facto gar keine Verteidigung mehr stattfindet – und genau dieser Umstand später in der Revision gerügt wird. In politisch aufgeladenen Prozessen wie dem NSU-Verfahren wird die Aufarbeitung durch das Gericht zudem mit Argusaugen beobachtet. Der Verteidigung nachzugeben, wird sehr schnell (und zu Unrecht) als Schwäche in der Verhandlungsführung ausgelegt.
In dem NSU-Prozess wird seit über 200 Tagen verhandelt – dem äußeren Eindruck nach fußt die Zurückhaltung des OLG München rechtlich auf sicherem Boden. Die Verhandlung in der bestehenden Konstellation fortzuführen, mutet gleichwohl schwierig an. Sicher ist: Ohne ein im Prinzip intaktes Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant, ist eine Verteidigung undenkbar, die dem Anspruch gerecht wird, "Mitträger der Gerechtigkeit" (so der Karlsruher Kommentar zur StPO in seiner Einleitung) zu sein.
Dr. Eren Basar ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht bei Wessing & Partner in Düsseldorf. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Verteidigung in der Hauptverhandlung.
NSU-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 22.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16321 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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