Gewinnen Youtuber zu viel Einfluss? Warum sie nicht neutral sein müssen und ob sich Regeln aus dem Rundfunkrecht auf digitale Meinungsbildung übertragen lassen, erklärt Tobias Gostomzyk im LTO-Interview.
LTO: Herr Professor Gostomzyk, die Vorsitzende der CDU stört sich daran, dass junge Youtuber kurz vor der Europawahl klar davon abgeraten haben, CDU, SPD oder AfD zu wählen. Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, man müsse angesichts dieser Meinungsmache überlegen, ob die Regeln für analoge Medien auch für Youtuber gelten sollten. Welche Regeln könnte sie denn gemeint haben?
Gostomzyk: Es ist unklar, was Frau Kramp-Karrenbauer mit dem Wort "Meinungsmache" von Youtubern kritisierte. Sie könnte sich auf eine zu große Meinungsmacht oder zu einseitige Meinungsbeeinflussung oder natürlich beides beziehen.
LTO: Sehen Sie denn eine zu hohe Meinungskonzentration?
Gostomzyk: Einige Youtuber haben eine hohe Reichweite. Sie erreichen Millionen Menschen. Auch die Vernetzungseffekte untereinander können immens sein, wie das aktuelle Bespiel belegt. Es gibt also neue Formen von Meinungsmacht im Internet. Allerdings ist mehr als fraglich, welche Schlüsse daraus für die Vielfaltssicherung zu ziehen sind.
LTO: Im Rundfunkstaatsvertrag und auch im Kartellrecht gibt es Regelungen, die verhindern sollen, dass einzelne Medienunternehmen den Markt beherrschen.
Gostomzyk: Man sollte keineswegs den Fehler machen, einfach analoge Vorstellungen auf das Netz übertragen zu wollen. Das Modell eines Zuschauermarktanteils wie beim Rundfunk lässt sich kaum sinnvoll übertragen. Auch geht es nicht um Beteiligungen an Medienunternehmen. Vielmehr braucht es erst einmal ein Verständnis, wie digitale Meinungsbildungsprozesse funktionieren und welche Konsequenzen sich hieraus für die Vielfaltssicherung ergeben. Dagegen wäre eine aktionistische Regulierung wirklich verfehlt. Abgesehen davon läge dafür die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern und nicht beim Bund.
Einzelne Youtube-Videos machen noch keinen Rundfunk
LTO: Kramp-Karrenbauer stört sich ja vor allem daran, dass Rezo einseitig die CDU angegriffen hat. Gibt es eine Neutralitätspflicht für Youtuber?
Gostomzyk: Nein – genauso wenig wie für andere Medien. Auch Youtuber dürfen eine politische Ausrichtung haben und dabei einseitig sein. Etwas anderes ist die Frage, ob sie höheren Sorgfaltspflichten unterliegen, je größer die Zahl der erreichten Menschen ist. Hier stellt sich etwa die Frage, ob das sogenannte Laienprivileg gilt. Demnach hat der einzelne nur dann eine besondere Sorgfaltspflicht, wenn der die verbreiteten Tatsachen, aus dem eigenen Erfahrungsbereich heraus prüfen kann.
LTO: Kramp-Karrenbauer nahm offenbar an, Redaktionen dürften nicht dazu aufrufen, eine bestimmte Partei zu wählen.
Gostomzyk: Doch, das dürfen sie. Zeitungen, Online-Medien und private Rundfunksender dürfen eine bestimmte Ausrichtung haben. Die taz darf links sein, die Frankfurter Rundschau linksliberal, die FAZ oder Welt konservativ. Das gilt auch in Wahlkampfzeiten. Der Grund besteht darin, dass insgesamt auf dem Pressemarkt Meinungsvielfalt besteht. Gleiches gilt auch für den privaten Rundfunk. Eine Ausnahme ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der – bereits verfassungsrechtlich geboten – grundsätzlich ausgewogen zu sein hat.
LTO: Viele Youtuber sehen sich gerade nicht als Journalisten – andere pochen darauf, die gleichen Rechte zu haben, etwa Auskunftsrechte. Für wen gilt denn nun das Medien- und Rundfunkrecht?
Gostomzyk: Das ist eine komplexe Frage. Der einzelne Youtuber ist regelmäßig kein Rundfunk, wenn er allein einzelne Videos zum einzelnen, also nicht linearen, Abruf bereithält. Etwas anderes kann dagegen beispielsweise bei Livestreams angenommen werden. Dann verlangen einzelne Landesmedienanstalten nach jetziger Rechtslage eine Rundfunkfunklizenz.
Hinsichtlich journalistischer Auskunftsrechte oder des medienrechtlichen Datenschutzprivilegs kommt es dagegen darauf an, ob Youtuber ein funktionales Äquivalent zu herkömmlichen Massenmedien darstellen – und zwar gerade in Bezug auf die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, die Gesellschaft zu informieren, an der Meinungsbildung mitzuwirken sowie etwa den Staat oder Unternehmen zu kritisieren und zu kontrollieren. Ist das der Fall, werden von der Rechtsprechung auch "Medienrechte" bejaht.
Prof. Dr. Tobias Gostomzyk ist Professor für Medienrecht an der TU Dortmund.
Meinungsmache in den Medien: . In: Legal Tribune Online, 29.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35657 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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