Erleichterter Abschuss gefordert: "Der Wolf sollte grund­sätz­lich bejagt werden dürfen"

Gastbeitrag von Prof. Dr. Michael Brenner

14.10.2023

Der Wolf wird immer mehr zum Gefahrenherd für andere Tiere. Nach Weidetier-Rissen will ihn die Bundesumweltministerin daher künftig schneller abschießen lassen. Ihr Vorschlag geht jedoch nicht weit genug, erläutert Michael Brenner

Erst vor wenigen Wochen hat er wieder zugeschlagen. Ende August fielen im Landkreis Stade 55 Schafe dem Wolf zum Opfer. Dieser Übergriff reiht sich in eine Vielzahl von Wolfsrissen insbesondere aus der jüngeren Vergangenheit ein, die sich trotz verschiedener Herdenschutzmaßnahmen, wie insbesondere Weideschutzzäunen und dem Einsatz von Herdenschutzhunden, nicht verhindern ließen. 

Verwunderlich ist dies nicht, gibt es mittlerweile doch über 2.000 Wölfe in Deutschland. Auch wenn die Zahlen divergieren, so steht doch außer Frage, dass sich der Wolfsbestand in Deutschland von Jahr zu Jahr erhöht. 

Dass die derzeitige Situation als unbefriedigend empfunden wird, machte bereits der Gemeinsame Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments vom 22.11.2022 deutlich. In diesem sprach sich das Parlament für eine Überarbeitung des Wolf-Schutzstatus aus. Die Resolution zielt darauf ab, die EU-Organe – allen voran die Kommission – zu einer Neubewertung der EU-Wolfstrategie zu bewegen und ein grenzüberschreitendes Monitoring umzusetzen. Begründet wird die Initiative damit, dass die Wolfspopulation in Europa in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 25 Prozent gestiegen und der Wolf nicht mehr vom Aussterben bedroht ist. Letztlich strebt die Resolution eine Neubewertung des Schutzstatus des Wolfs an, der seit mehr als 20 Jahren unverändert in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) festgeschrieben ist und eine Bejagung des Wolfes nur in Ausnahmefällen und unter strengen Voraussetzungen ermöglicht.

Im Einklang mit europäischem Recht?

Grundlegende Bedeutung für ein erleichtertes Abschießen bzw. ein Wolfsbestandsmanagement kommt der FFH-RL, zwischenzeitlich aber vor allem der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu. Das Ziel der Richtlinie besteht in der Etablierung eines wirksamen Schutzregimes für besonders zu schützende wildlebende Tierarten, um auf Dauer deren günstigen Erhaltungszustand zu erreichen und zu sichern.

So räumt Art. 16 Abs. 1 FFH-RL den Mitgliedstaaten für den Fall, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Möglichkeit gibt, und unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, die Möglichkeit ein, Ausnahmen von dem strengen Schutzregime zuzulassen.

Zur Anwendung kann diese Ausnahmebestimmung z. B. zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum kommen – eine Option, die der Gesetzgeber mit § 45a Abs. 2 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) zwischenzeitlich umgesetzt hat. Aber auch Ausnahmen im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses kommen insoweit in Betracht. 

Mit Blick auf ein Bestandsmanagement für den Wolf kommt insbesondere Art. 16 Abs. 1 lit. e) FFH-RL zentrale Bedeutung zu, der unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme einer begrenzten und von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tierarten des Anhangs IV erlaubt. 

Voraussetzungen einer Wolfsentnahme

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Ausnahmen für den Abschuss – im Fachjargon "Entnahme" – unter gleichzeitiger Wahrung des günstigen Erhaltungszustands einer Population, hat der EuGH in einem Urteil vom 10.10.2019 näher präzisiert.

Um eine Ausnahme rechtfertigen zu können, bedarf es demnach zum einen in dem jeweiligen Mitgliedstaat oder in grenzüberschreitenden Konstellationen in der betreffenden biogeographischen Region oder in dem – ggf. auch grenzüberschreitenden – natürlichen Verbreitungsgebiet in einem ersten Schritt der Ermittlung des Erhaltungszustandes der Populationen und sodann, in einem zweiten Schritt, der Ermittlung der geographischen und demografischen Auswirkungen, die eine Ausnahmeregelung auf den Erhaltungszustand der Population haben kann. Darüber hinaus und zum anderen bedarf es der Bewertung der Auswirkungen einer Ausnahme auf das Gebiet eines lokalen Wolfsbestandes, um die Auswirkungen der Ausnahme auf den Erhaltungszustand der Wolfspopulation in einem größeren Rahmen zu bestimmen.

Zudem hat der EuGH klargestellt, dass die zuständige Behörde Ziele, die eine Ausnahme rechtfertigen können, festlegen darf. Doch müssen die Ziele, die eine solche Ausnahme zu rechtfertigen vermögen, "klar, genau und fundiert" festgelegt sein. Zudem müssen erteilte Ausnahmegenehmigungen auch geeignet sein, das mit ihnen angestrebte Ziel zu verwirklichen. Es liegt damit in den Händen eines jeden Mitgliedstaates, ein solches Ziel zu definieren und beispielsweise die Höhe eines gesellschaftlich akzeptierten Wolfsbestandes festzulegen.

Umsetzungsoptionen im mitgliedstaatlichen Recht

In der Entscheidung von 2019 hat der EuGH aber auch klargestellt, dass ein Bestandspflegeplan und eine nationale Regelung, die die Höchstzahl der in einem Jagdjahr zu tötenden Tiere festlegt, wichtig sein kann, und zwar im Hinblick darauf, ob die Populationen der betroffenen Art trotz der Ausnahmegenehmigung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen.

Beide Elemente sind nach Auffassung des EuGH geeignet, sicherzustellen, "dass die jährliche kumulative Wirkung einzelner Ausnahmegenehmigungen der Wahrung oder Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes der Populationen der betreffenden Art nicht schadet".

Aktives Wolfsmanagement erforderlich

Um also einen gesellschaftlich akzeptierten, dauerhaft gesicherten günstigen Erhaltungszustand der Wolfspopulation(en) zu sichern, muss ein aktives Wolfsmanagement auf den Weg gebracht werden, das jenseits der in § 45a BNatSchG vorgesehenen einzelfallbezogenen Optionen angesiedelt ist. Das geltende Recht geht bislang über die Sphäre eines bloßen Reaktionsmanagements nicht hinaus.  

Ein aktives Wolfsmanagement muss das Ziel haben, dass die Entnahme von Wölfen nicht mehr oder weniger dem Zufall überlassen bleibt und von konkreten Schadensereignissen abhängig gemacht wird. Voraussetzung wäre neben der Formulierung eines Ziels, das Entnahmen rechtfertigen würde und bei dessen Festlegung den Mitgliedstaten durchaus eine Gestaltungsmacht zukommt, die Einhaltung der sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergebenden Vorgaben; dabei käme der Erhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes wesentliche Bedeutung zu. 

Vorstellbar wären insoweit die Festlegung eines gesellschaftlich akzeptierten Wolfsbestandes oder einer bestimmten Entnahmequote, jeweils bezogen auf die regionalen Bestände und das gesamte Bundesgebiet, ggf. unter Berücksichtigung grenzüberschreitender Wolfspopulationen.

Derzeitige Rechtsgrundlage für ein Wolfsmanagement ist ausschließlich § 45 Abs. 7 BNatSchG und insbesondere § 45a BNatSchG – wenngleich die auf der Grundlage dieser Normen möglichen Maßnahmen den Begriff eines Managements nicht verdienen, da sie auf den Einzelfall bezogen sind und nur die Entnahme von sog. Problemwölfen ermöglichen. 

Regierungsvorschlag auf "Problemwölfe" beschränkt 

Dieser auf Dauer unbefriedigende Zustand – Reaktionsmöglichkeit lediglich bei konkreten Wolfsübergriffen – wird daher durch ein Bestandsmanagement als einer zweiten Stufe zu ergänzen sein, freilich unter Wahrung der Vorgaben des Unionsrechts.

Die Bundesumweltministerin hat am Donnerstag nunmehr ihren Vorstellungen präsentiert, wie Wölfe nach Rissen schneller geschossen werden können. Sie bezieht sich dabei auf einen Auftrag aus dem Koalitionsvertrag, in dem niedergelegt ist, den Ländern europarechtskonform ein regional differenziertes Bestandsmanagement zu ermöglichen.  

Nach Lemkes Vorschlag soll künftig 21 Tage lang auf einen Wolf geschossen werden dürfen, der sich im Umkreis von 1.000 Metern von der Rissstelle aufhält. Anders als im bisherigen Verfahren müsse hierfür nicht mehr das Ergebnis einer DNA-Analyse abgewartet werden. "Die Ausnahmegenehmigung für den Abschuss kann von den Behörden erteilt werden, nachdem ein Wolf zumutbare Herdenschutzmaßnahmen in zuvor festgelegten Regionen mit erhöhtem Rissvorkommen überwunden und Weidetiere gerissen hat", sagt die Ministerin. 

Indes: Mit ihrem Vorschlag springt die Ministerin deutlich "zu kurz", weil er bedauerlicherweise (erneut) lediglich den "auf frischer Tat ertappten" Problemwolf im Blick hat. Das im Koalitionsvertrag angestrebte Ziel eines "Bestandsmanagements" verwirklicht Lemke mit ihrem Plan jedenfalls nicht. Abgesehen davon dürfte der Vorschlag auf erhebliche Umsetzungsschwierigkeiten in der Praxis stoßen. 

Nicht zuletzt im Hinblick auf die ständig wachsende Anzahl der Wölfe in Deutschland und die trotz Schutzmaßnahmen permanent zunehmenden Risse sollte der Wolf in Zukunft grundsätzlich und nicht mehr nur in Ausnahmefällen bejagt werden dürfen. Rechtstechnisch müsste hierfür der besondere Schutzstatus des Wolfes, wie ihn der erwähnte Anhang IV der FFH-RL vorsieht, aufgegeben werden. Eine Option, die das Europäische Parlament mit seiner Initiative vom November 2022 ja bereits angestoßen hat.

Prof. Dr. Michael Brenner ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Jena. Er ist Autor zahlreicher Beiträge zum Jagd- und Naturschutzrecht und Mitherausgeber eines Kommentars zum Baden-Württembergischen Jagd- und Wildtiermanagementgesetz. Für den Deutschen Jagdverband, aber auch für diverse Landesjagdverbände war er in der Vergangenheit als Gutachter bzw. Prozessbevollmächtigter aktiv.

Zitiervorschlag

Erleichterter Abschuss gefordert: . In: Legal Tribune Online, 14.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52916 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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