Nach LTO-Bericht über Urteil im Abgasskandal: Warum VW sich doch nicht für ver­ur­teilt hält

von Pia Lorenz

11.10.2018

VW hat LTO gebeten, eine angeblich falsche Berichterstattung über ein negatives Urteil zu korrigieren: Dieses sei nie rechtskräftig geworden. Das führt zu kniffligen Rechtsfragen – und verrät viel über die Strategie des Autobauers. 

Am Mittwoch wurde ein Urteil bekannt, mit dem das Landgericht (LG) Heilbronn entschieden hat, dass die Volkswagen AG für alle Schäden, die aus der Manipulation der vom Abgasskandal betroffenen Dieselfahrzeuge resultieren, Schadensersatz zu leisten hat (Urt. v. 09.08.2018, Az. Sp 2 O 278/17). Über die Entscheidung, deren Gründe LTO vorliegen, haben wir am gestrigen Mittwoch berichtet und dabei auch gemeldet, dass das Urteil rechtskräftig ist.

Am heutigen Donnerstag hat VW uns um "Korrektur unserer falschen Berichterstattung" gebeten mit der Begründung, aus Sicht des Konzerns sei das Urteil "in jedem Fall nicht rechtskräftig". Das erkennende Gericht allerdings sieht das offenbar anders, auch ZPO-Kenner gehen davon aus, dass das Urteil gegen den Konzern unanfechtbar geworden ist. Ungeachtet möglicher Anwaltsfehler zeigt der Rechtsstreit einmal mehr, wie sehr VW sich bemüht, negative Urteile in Sachen Abgasskandal zu verhindern.

Obwohl es gut für sie ausging: Käuferin nahm Klage nach Einigung mit VW zurück

Tatsächlich ist Folgendes geschehen: Am 9. August 2018 hat die 2. Zivilkammer des LG Heilbronn durch den Richter am Landgericht als Einzelrichter ihr Urteil verkündet. Es stellt fest, dass VW verpflichtet ist, der klagenden Beetle-Fahrerin die Schäden zu erstatten, die aus der Manipulation ihres Fahrzeugs durch VW entstanden sind, und sie von vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten freizustellen. Das Urteil wurde den Parteien am 14. August zugestellt.

Am 15. August um 9:30 Uhr erklärte die VW-Fahrerin aber gegenüber dem LG Heilbronn, ihre Klage zurückzunehmen – sechs Tage nach der Verkündung, einen Tag nach der Zustellung eines Urteils, das ihr in der Sache vollumfänglich Recht gab. Nach LTO-Informationen beruht das auf einem Vergleich, den die Anwälte der Käuferin am 7. August, die VW-Berater am 13. August unterzeichnet haben. Dem Konzern wird seit längerem nachgesagt, Urteile zu seinen Lasten in Sachen Abgasskandal im Allgemeinen und ein höchstrichterliches Grundsatzurteil im Besonderen durch prozesstaktisches Verhalten zu verhindern.

Mit Verfügung vom 17. August teilte der Einzelrichter am LG Heilbronn den Parteien aber mit, dass das Urteil bereits verkündet worden sei. Berufung hat VW nicht eingelegt, auch nicht vorsorglich, das bescheinigt ein sogenanntes Notfristzeugnis (§706 Abs. 2 Zivilprozessordnung, ZPO) des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart. Das OLG wäre für eine Berufung gegen das Urteil des LG Heilbronn zuständig gewesen, hat aber bestätigt, dass in der Sache keine Rechtsmittel eingelegt wurden. 

Aus Sicht von VW wäre die Einlegung von Rechtsmitteln auch nicht erforderlich gewesen, man geht dort von einer wirksamen Klagerücknahme aus. Tatsächlich wird nach § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO auch ein bereits ergangenes Urteil durch eine Klagerücknahme wirkungslos, es muss nicht einmal mehr aufgehoben werden.

Allerdings gilt das nur, wenn in der Sache nicht mündlich verhandelt wurde. Haben die Parteien dagegen, wie auch in Sachen VW vor dem LG Heilbronn, mündlich verhandelt, kann die Klage nur noch mit Einwilligung des Beklagten zurückgenommen werden. Eine solche hat VW aber gegenüber dem Gericht nicht erklärt.

Zwar kann eine solche Einigung auch konkludent erfolgen, zum Beispiel, indem die beklagte Partei einen Kostenantrag stellt. Und selbst wenn nichts geschieht, dann fingiert das Gesetz, das davon ausgeht, dass der Beklagte in der Regel kein besonderes Interesse daran hat, weiterhin verklagt zu werden, die Einwilligung sogar, wenn der Beklagte dem nach Belehrung nicht binnen zwei Wochen widerspricht (§ 269 Abs. 2 S. 4).

VW wollte nicht, dass im Urteil "Abschaltvorrichtung" "gezielt eingesetzt" steht

Im Fall VW aber gab es statt einer Belehrung eine richterliche Verfügung, die darüber informierte, dass das Urteil bei Eingang der Klagerücknahmeerklärung schon verkündet gewesen sei. Und statt in die Klagerücknahme ausdrücklich einzuwilligen oder einen entsprechenden Kostenantrag zu stellen, um das Urteil aus der Welt zu schaffen, beantragte VW, den Tatbestand des Urteils zu berichtigen.

Den Antrag wies das LG Heilbronn zurück. Nach LTO-Informationen bemängelte VW mit dem Antrag die Verwendung des Begriffs der "Abschaltvorrichtung" sowie dass diese laut Tatbestand "gezielt eingesetzt" worden sei. Der Einzelrichter sah darin aber wohl keine Unrichtigkeiten im Sinne von § 320 ZPO: Der Begriff der Abschaltvorrichtung sei kein Rechtsbegriff, sondern technisch zu verstehen, ihre Funktionsweise allgemein bekannt. Und zu ihrem Einsatz sei es wohl nicht versehentlich gekommen.

Gebracht hat der Tatbestandsberichtigungsantrag VW damit nichts – im besten Fall. Im schlechtesten Fall hat er sogar dafür gesorgt, dass das Urteil, das der Konzern nun so ungern gegen sich gelten lassen möchte, in Rechtskraft erwachsen ist.

Tatbestandsberichtigungsantrag statt Zustimmung zur Klagerücknahme

Für Prozessrechtlerin Nadja Flegler wäre zwar eine Klagerücknahme sehr wohl auch noch nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils  möglich gewesen, "soweit dieses noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist - aber wenn mündlich verhandelt wurde, eben nur mit Zustimmung der Beklagten". Und eine solche liegt nicht vor: Eine ausdrückliche Zustimmung von VW gibt es nicht, eine Fiktion der Zustimmung zur Klagerücknahme dürfte schon daran scheitern, dass über diese Möglichkeit nicht belehrt wurde, weil das Gericht seinerseits offenbar zu diesem Zeitpunkt eine Klagerücknahme nach Verkündung des Urteils gar nicht mehr für möglich hielt.

Dass dies VW zugutekommen könnte, hält Flegler für unwahrscheinlich. Aus Sicht der wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht an der Leibniz Universität Hannover haben die VW-Anwälte schließlich zum Ausdruck gebracht, dass sie einer Klagerücknahme gerade nicht zustimmen wollten. "Wer beantragt, den Tatbestand eines Urteils zu berichtigen, der will ja gerade das ergangene Urteil verändert wissen, geht also davon aus, dass dieses Bestand hat. Bei einer Klagerücknahme dagegen wäre das Urteil ja sowieso rückwirkend wirkungslos, also quasi nicht mehr existent. Was man für nicht existent hält,  das muss man auch nicht mehr berichtigen lassen", erklärt die Prozessrechtlerin.   

Und nun? Bei dem Urteil handelt es sich um ein Feststellungsurteil, aus dem die Beetle-Fahrerin nicht vollstrecken kann. Wenn VW das für den Konzern negative Urteil aber final aus der Welt schaffen – und damit eine dann auch fehlerhafte Berichterstattung in den Medien verhindern – wollte, dann bliebe noch ein Antrag auf Wirkungsloserklärung nach § 269 Abs. 4 ZPO: Bei Streit über die Wirksamkeit der Klagerücknahme stellt das Gericht durch Beschluss fest, welche Wirkungen die Erklärung hatte. Das muss man bloß beantragen. 

Zitiervorschlag

Nach LTO-Bericht über Urteil im Abgasskandal: . In: Legal Tribune Online, 11.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31469 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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