VW-Affäre: Die glo­bale Treib­jagd hat begonnen

2/2: Das Verbot der Doppelbestrafung …

Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft sowie im gesamten Schengen-Raum gilt der Grundsatz ne bis in idem: Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Europäischen Union bzw. von einer Vertragspartei rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden (Art. 50 Europäische Grundrechte-Charta sowie Art 54 Schengener Durchführungsübereinkommen). Dasselbe gilt für die Unterzeichnerstaaten  des 7. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Soweit Staaten auch die Bestrafung juristischer Personen anerkennen, muss das Prinzip ne bis in idem auch Unternehmen und andere Verbände schützen. Das Verbot der Doppelbestrafung sollte zudem auf den Verfall bzw. die Abschöpfung des durch die Straftat erzielten Erlöses erstreckt werden. Eine Mehrfachabschöpfung durch verschiedene Staaten würde so verhindert. Zwar ist der Verfall bzw. die Abschöpfung keine Strafe im engeren Sinne. Doch kommt es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht auf die Bezeichnung einer Rechtsfolge als „Strafe“ an, sondern auf die konkrete Ausgestaltung bzw. den materiellen Gehalt der Rechtsfolge. Wenn aber mehr abgeschöpft wird, als das Unternehmen tatsächlich durch den Regelverstoß eingenommen hat, weist die Rechtsfolge keinen restitutiven, sondern einen punitiven Charakter auf.

… und seine Schattenseiten

Wirksam wird das Doppelbestrafungs- bzw. Doppelverfolgungsverbot, sobald ein Mitgliedstaat der EU bzw. eine Schengen-Vertragspartei ihr Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen hat. Das kann nach der Rechtsprechung des EuGH auch durch eine nicht-gerichtliche Verfahrenserledigung geschehen, also etwa eine Einstellung nach § 153a StPO.

Die Schattenseite des europäischen Doppelbestrafungsverbots: Es kann einen regelrechten Wettlauf zwischen den Staaten auslösen. Aussicht auf die Beitreibung hoher Strafzahlungen von Unternehmen hat schließlich nur der Staat, dessen Verfahren am schnellsten erledigt ist.

Ein solcher Early-bird-Staat ist aber nicht immer jener, der die höchsten Verfahrensstandards zum Schutz von Beschuldigten gewährleistet. Weil eine schnelle Strafverfolgung von Unternehmen sich für Staaten finanziell lohnen kann, bedarf es einer Angleichung der Verfahrensstandards in Europa. Nur so lassen sich die europäischen Grundrechte der Unternehmen im Strafverfahren wirksam garantieren.

Weltweite Guidelines müssen Mehrfach-Strafen verhindern

Anders ist die Problemlage außerhalb Europas: Die USA, Mexiko, Australien und eine Reihe anderer Staaten sind an diese Regeln des europäischen Rechts nicht gebunden.

Das kann nicht nur für Volkswagen teuer werden. Im Grunde droht jedem multinationalen Unternehmen Vergleichbares, dessen Regelverstoß sich auf den Märkten der Welt bemerkbar macht. Daher sollte  es im wohlverstandenen gemeinsamen Interesse aller wichtigen Industrienationen liegen, sich über Guidelines für eine angemessene Unternehmenssanktionierung zu verständigen. Diese  müssten einheitliche Mindeststandards für die Haftungsvoraussetzungen, für die Bemessung der Sanktionen sowie Regeln zur  Auflösung der oben gezeigten Jurisdiktionskonflikte enthalten.

Wie der Fall Volkswagen zeigt, ist es weder sinnvoll noch rechtsethisch begründbar, dass ein Unternehmen wegen ein und desselben Rechtsverstoßes von verschiedenen Ländern mit Strafen belegt wird, die in der Summe unverhältnismäßig oder gar existenzgefährdend sind.

Der Autor Prof. Dr. Michael Kubiciel ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln. Er berät u.a. internationale Organisationen zur Antikorruptionspolitik und ist Sprecher der Kölner Forschungsgruppe "Anwendungsfragen eines Verbandsstrafrechts".


Zitiervorschlag

Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, VW-Affäre: . In: Legal Tribune Online, 16.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17247 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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