Wer Völkermord oder Kriegsverbrechen öffentlich "gröblich" verharmlost, dem drohen künftig bis zu drei Jahre Haft wegen Volksverhetzung. Eine entsprechende Ausweitung von § 130 StGB beschloss die Ampel am Donnerstagabend im Bundestag.
In einem sogenannten Omnibusverfahren, also ohne inhaltlichen Bezug an ein anderes Gesetz drangehängt (in diesem Fall an eine Änderung des Bundeszentralregistergesetzes), hat die Ampel am späten Donnerstagabend nahezu unbemerkt und ohne längere Beratungen eine Ausweitung des Straftatbestandes der Volksverhetzung nach § 130 Strafgesetzbuch (StGB) verabschiedet.
Ein neuer Absatz § 130 Abs.5 StGB stellt künftig das öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Strafe, wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.
Darunter können künftig auch Äußerungen fallen, die während einer Versammlung, etwa im Rahmen einer Demonstration, getätigt werden. Nach Einschätzung von Rechtspolitkern ist es damit nicht ausgeschlossen, dass zum Beispiel auf Pro-Putin-Versammlungen, wenn gegen Menschen aus der Ukraine gehetzt wird, Straftaten auf Grundlage der neuen Vorschrift begangen werden.
Hintergrund der schnellen Gesetzesänderung ist ein von der EU-Kommission im Dezember 2021 angestrengtes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik. Die Kommission hatte gerügt, dass Deutschland den "Rahmenbeschlusses 2008 / 913 / JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" insbesondere bezüglich des öffentlichen Leugnens und gröblichen Verharmlosen nur unzureichend umgesetzt habe.
Holocaust-Leugnung im Vergleich härter bestraft
Wie die Ampel-Fraktionen ausführen, seien diese beiden Handlungen – außer beim Bezug auf Taten unter der Herrschaft des Nationalsozialismus (§ 130 Abs. 3 StGB) – bisher nicht explizit in einer deutschen Strafvorschrift genannt gewesen. Auch wenn solche Handlungen in der Regel vom Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst würden, werde nun jedenfalls klargesellt, dass die öffentliche Billigung, Leugnung und gröbliche Verharmlosung "ausdrücklich pönalisiert" werden. Die Taten können mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe belegt werden.
Anders als bei der Billigung, Leugnung oder Verharmlosung des Völkermords unter der Herrschaft des Nationalsozialismus (z.B. der Holocaust-Leugnung) nach § 130 Abs. 3 StGB, wonach den Tätern bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe drohen, ist nach der neuen Vorschrift nur das "gröbliche Verharmlosen" strafbar. Begründet wird diese Abweichung mit der deutschen Geschichte: Vor dem Hintergrund dieser sei es gerechtfertigt, dass der Bereich strafbarer Äußerungen in Bezug auf die Verharmlosung des Holocausts in § 130 Abs. 3 StGB "etwas weiter gesteckt ist als derjenige für verharmlosende Äußerungen zu anderen Völkerrechtsverbrechen", so die Ampel.
Ähnlich wird auch die höhere Strafandrohung für die Verharmlosung des Holocaust von fünf Jahren Freiheitsstrafe begründet: "Wegen der Einzigartigkeit des Holocausts müssen für dessen Billigung, Leugnung und Verharmlosung im Einzelfall höhere Strafen möglich sein als für vergleichbare Äußerungen betreffend andere Völkerrechtsverbrechen", heißt es in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses.
Ampel geht über den EU-Rahmenbeschluss hinaus
Voraussetzung des neuen Straftatbestandes ist weiter, dass sich das öffentlich gemachte Verhalten auf eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser Personenmehrheiten bezieht. Ferner muss die Billigung, Leugnung beziehungsweise gröbliche Verharmlosung in einer Weise erfolgen, "die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Person oder Personenmehrheit aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören".
Die Ampel räumte ein, dass sie durch die durch die Einbeziehung von Äußerungen in einer Versammlung in die neue Vorschrift "geringfügig über die Mindestanforderungen des Rahmenbeschlusses" hinausgeht. Begründet wird dies mit der Vermeidung von systematischen Widersprüchen:
"Es wäre nicht begründbar, dass die Billigung von Völkerrechtsverbrechen in einer Versammlung nach § 140 Nr. 2 StGB (Belohnung und Billigen von Straftaten) strafbar, nach dem neuen § 130 Abs. 5 StGB aber nicht strafbar sein soll", heißt es in der Beschlussempfehlung. Außerdem sei auch die Billigung, Leugnung und Verharmlosung des Holocausts ist nach § 130 Abs. 3 StGB in einer Versammlung strafbar.
Opposition kritisiert Verschärfung
Bei der Opposition stößt die Gesetzesänderung auf Kritik. So begründete die Rechtspolitikerin der Linken, Clara Bünger, die Ablehnung ihrer Fraktion damit, dass die Neuregelung die Gefahr berge, die Meinungsfreiheit zu beschränken bzw. willkürlich angewendet zu werden. Die Juristin zu LTO: "Als Linke sprechen wir uns grundsätzlich dafür aus, die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung von Völkermorden und Kriegsverbrachen unter Strafe zu stellen. Allerdings muss auch hier die Schwelle zu einem nach den Ultima-ratio-Prinzip tatsächlich strafwürdigen Verhalten überschritten werden. Das wäre für uns der Fall, wenn die Handlung entweder eine Drohung, Beschimpfung oder Beleidigung beinhaltet oder aber zu Hass und Gewalt gegen die in § 130 gennannten Personen aufstachelt. Der Wortlaut der vorgeschlagenen Regelungen wird diesen Ansprüchen leider nicht gerecht."
Der Linken-Politikerin zufolge ist nach dem aktuellen Wortlaut der Regelungen schon bei einer Billigung des Angriffs Russlands auf die Ukraine - je nach genauen Tatumständen - eine Strafbarkeit nach der neuen Vorschrift gegeben.
Zu weit geht die Strafvorschrift auch der AfD. Deren Rechtspolitiker Stephan Brandner sagte gegenüber LTO, dass seine Fraktion die Systematik des § 130 StGB grundsätzlich kritisch sehe. "Die Vorschrift ist wegen ihres problematischen Regelungsgehalts äußerst überarbeitungswürdig. Das wird auch in der Wissenschaft so gesehen. Daher halten wir nicht nur das Gesetzgebungsverfahren, was zudem als verschleierndes Omnibusverfahren daherkam, für kritikwürdig, sondern auch das weitere Aufblähen des Paragrafen mit unbestimmten Rechtsbegriffen wie ‘gröblich verharmlost’." Die Anwendbarkeit im Kontext des Krieges in der Ukraine ist laut Brandner gegeben, "wenngleich die Unbestimmtheit die Anwendungsmöglichkeiten der Vorschrift weitgehend offenlässt".
FDP und Grüne: Hetze gegen Ukrainer u. U. strafbar
Dass unter die neue Strafvorschrift jetzt auch Äußerungen fallen können, die Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine beschönigen, bestätigte gegenüber LTO auch die grüne Berichterstatterin, MdB Canan Bayram: "Es sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen dies auf die im Rahmen des russischen Angriffskriegs begangenen Taten anwendbar ist. Jetzt könnte zum Beispiel die Billigung eines der im Rahmen des russischen Angriffskriegs gegen die Gruppe der Ukrainer begangenen Kriegsverbrechens durch Parolen oder Schilder auf einer Versammlung strafbar sein." Bayram wies darauf hin, dass die Vorschrift die Verharmlosung, Leugnung oder Billigung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen umfasst, nicht jedoch das Verbrechen der Aggression nach § 13 Völkerstrafgesetzbuch.
Dem zuständigen Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion Thorsten Lieb zufolge hat die Änderung des § 130 StGB "in erster Linie klarstellenden Charakter, um den Anforderungen des Vertragsverletzungsverfahrens gerecht zu werden". Sie sei jedenfalls "kein lex Putin" und solle auch so nicht verstanden werden.
"Zwar handelt es sich nach meiner festen Überzeugung um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und vieles von dem, was wir seit Beginn des Krieges in der Ukraine sehen, ist ein Völkerrechtsverbrechen. Inwiefern aber § 130 StGB für das Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen dieser Taten strafrechtliche Wirkung entfalten kann, bleibt den Gerichten vorbehalten", so der Rechtsanwalt gegenüber LTO.
Ampel weitet Volksverhetzungsparagrafen aus: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49960 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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