Das VG Köln hat dem Gesetzgeber Grenzen aufgezeigt, Facebook darf nur im Herkunftsland reguliert werden. Für Christian-Henner Hentsch sind nationale Alleingänge in der Medienregulierung weder EU-rechtlich zulässig noch medienpolitisch sinnvoll.
Das Verwaltungsgericht (VG) Köln hat der Beschwerden von Facebook und Google gegen neue Regelungen des novellierten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) im Eilverfahren vorläufig stattgegeben. Die Meldepflicht nach § 3a NetzDG sei mit dem Herkunftslandprinzip der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECR) nicht vereinbar und daher unanwendbar. Das ebenfalls beanstandete Gegenvorstellungsverfahren nach § 3b NetzDG sei hingegen von den Ausnahmen der EU-Richtlinie gedeckt. Damit muss Facebook jedenfalls bis zur Beendigung des Hauptsachverfahrens kein Meldeverfahren an das Bundeskriminalamt (BKA) vorhalten. Das vom Gesetzgeber gerade verpflichtend eingeführte Verfahren liegt damit erstmal auf Eis.
Streit um die Verantwortung von Plattformen bei der Bekämpfung von Hasskriminalität
Ziel des NetzDG ist es, Hasskriminalität in sozialen Netzwerken wirksam zu bekämpfen. Weil die Kompetenz für die Medienregulierung bei den Ländern liegt, hat der Bundesgesetzgeber in der ursprünglichen Regelung von 2017 lediglich die Frist für die Entfernung rechtswidriger Inhalte festgelegt und damit lediglich die Vorgaben der Hostproviderhaftung konkretisiert und eine Pflicht zur Vorhaltung eines Verfahrens vorgesehen. Weil diese Regelungen nicht den erwünschten Erfolg hatten, hat der Bundesgesetzgeber das NetzDG nachgeschärft und 2021 mit dem § 3a NetzDG eine Meldepflicht an das BKA für Inhalte eingeführt, wenn diese (kumulativ) dem Anbieter mit einer Beschwerde gemeldet worden sind, sie daraufhin vom Anbieter entfernt oder gesperrt wurden und konkrete Anhaltspunkte einer Katalogstraftat bestehen. Mit diesen Informationen soll das BKA Straftäter ermitteln und zur Strafverfolgung an die Staatsanwaltschaften der Länder weitergeben können.
Grundsätzlich ist eine effektive Strafverfolgung der Täter der nachhaltigere Ansatz gegenüber dem bloßen Entfernen und Blockieren rechtswidriger Inhalte. Dies erfordert allerdings personelle Ressourcen und mit dieser Regelung sollen soziale Netzwerke als Veranlasser einbezogen werden. Mit der zentralen Ermittlung beim BKA sollen Synergien geschaffen werden, um die Länderpolizeien zu entlasten. Letztendlich ging es in diesem Rechtsstreit also nicht um die Vertraulichkeit der Kommunikation, den Datenschutz oder die Meinungsfreiheit der Plattformnutzer, sondern ausschließlich um die Verteilung der Kosten bei der Ermittlung der Straftäter.
Herkunftslandprinzip geht vor
In der EU gilt jedoch seit der Einführung der ECR im Jahr 2000 das Herkunftslandprinzip,
wonach Telemedien wie soziale Netzwerke die rechtlichen Anforderungen lediglich in dem Mitgliedstaat einhalten müssen, in dem sie ihren Sitz haben. In anderen EU-Ländern darf nur unter strengen Voraussetzungen eine Empfangsstaatskontrolle stattfinden. Das heißt: Facebook wird ausschließlich in Irland reguliert. Deutschland darf nur unter den engen Voraussetzungen Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie weitergehende Regeln auferlegen.
Die Ausnahmen in Art. 3 Abs. 4 umfassen zwar grundsätzlich auch den Schutz der öffentlichen Ordnung und insbesondere die Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten. Aber bevor solche Maßnahmen ergriffen werden, hat der Mitgliedstaat gem. Art. 3 Abs. 4 ECRL in lit. b) das Herkunftsland zu entsprechenden Maßnahmen aufzufordern und die Kommission zu unterrichten. Nur in dringlichen Fällen kann davon abgewichen werden, die Kommission ist dann aber nachträglich einzubeziehen.
Die EU-Kommission hatte im Gesetzgebungsverfahren zum NetzDG wiederholt auf das Herkunftslandsprinzip verwiesen und dies sogar im Notifizierungsverfahren ganz offiziell moniert. Auch Marc Liesching hatte als Sachverständiger im Gesetzgebungsverfahren deutliche Bedenken geäußert. Der Gesetzgeber hat deswegen auch soziale Netzwerke mit Sitz im EU-Ausland von vielen Regelungen des NetzDG ausgenommen, nicht jedoch von der Meldepflicht. Die Bundesregierung verwies in der Gesetzesbegründung auf Erwägungsgrund 48 der Richtlinie, wonach Mitgliedstaaten von Diensteanbietern verlangen dürfen, "die nach vernünftigem Ermessen von ihnen zu erwartende und in innerstaatlichen Rechtsvorschriften niedergelegte Sorgfaltspflicht anzuwenden, um bestimmte Arten rechtswidriger Tätigkeiten aufzudecken und zu verhindern". Hilfsweise beruft sie sich auf Art. 3 Abs. 4, weil die Compliance-Pflichten zur Bekämpfung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten dringend notwendig seien.
Das VG Köln hat nun kaum überraschend in einer summarischen Prüfung vorläufig entschieden, dass sich Deutschland nicht auf die Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip berufen könne, da der Gesetzgeber weder das für Ausnahmen vorgesehene Konsultations- und Informationsverfahren durchgeführt habe, noch die Voraussetzungen eines Dringlichkeitsverfahrens vorgelegen hätten.
NetzDG bald vom DSA überholt
Das Herkunftslandprinzip ist ein Grundpfeiler der EU-Medienordnung, weil er die Mitgliedstaaten dazu zwingt, sich auf einheitliche Regelungen zu verständigen. Außerdem werden dadurch Einschränkungen der Medienfreiheit erschwert, was sich gerade mit Blick auf einige osteuropäische Mitgliedstaaten in letzter Zeit bewährt hat. Gerade deswegen hat das Urteil des VG Köln auch medienpolitische Signalwirkung über Deutschland hinaus, wobei das Gericht sogar Lösungswege für den Gesetzgeber aufzeigt wie z.B. ein "Quick Freeze"-Verfahren, bei dem lediglich die inkriminierten Inhalt weitergeleitet werden und die Nutzerdaten konkret abgefragt werden müssen.
Allerdings kann dem NetzDG insgesamt zu Gute gehalten werden, dass es auf EU-Ebene einen Impuls für eine Harmonisierung der Plattformregulierung und zur Bekämpfung von Desinformation und Hasskriminalität gegeben hat. Der europäische Gesetzgeber hat in kurzer Abfolge eine Verordnung zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte sowie Entwürfe für eine Verordnung zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und ein Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act – DSA) auf den Weg gebracht. Der DSA ist bereits im Trilog-Verfahren und könnte noch bis Ostern 2022 beschlossen werden.
Umstritten ist derzeit, inwieweit der DSA das NetzDG unanwendbar macht. Die vom EU-Parlament verabschiedete Fassung enthält keine ausdrückliche Regelung zum Verhältnis zu nationalen Gesetzen wie dem NetzDG, beruft sich aber ausdrücklich auf das Ziel, "Unterschiede" zu vermeiden (Art. 114 AEUV). Damit ist zwar offen, wie weit die Sperrwirkung des Harmonisierungsrechtsakts reichen wird, aber zumindest von einer teilweisen Unanwendbarkeit des NetzDG muss wohl ausgegangen werden. Ein Gutachten der Friedrich-Naumann-Stiftung geht sogar davon aus, dass das NetzDG dadurch faktisch abgeschafft wird. Allerdings wird es voraussichtlich vergleichbare Löschpflichten geben – dann allerdings europaweit einheitlich.
Vor diesem Hintergrund hat Facebook mit dem Verfahren wohl erfolgreich auf Zeit gespielt.
Die Bundesregierung hat angekündigt, das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Außerdem wurde in dem gleichzeitigen Verfahren von Google mit der gleichen Begründung auch die Einhaltung des Herkunftslandprinzips nach der Audiovisuelle Mediendienste (AVMD)-Richtlinie angemahnt. Des Weiteren sind auch noch ähnliche Verfahren von TikTok und Twitter anhängig. Bis all diese Verfahren abgeschlossen sind, wird der DSA voraussichtlich in Kraft und das NetzDG mutmaßlich überholt sein. Die Entscheidung des VG Köln ist damit eigentlich nicht nur vorläufig.
Prof. Dr. Christian-Henner Hentsch ist Professor für Urheber- und Medienrecht an der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht der TH Köln. Daneben ist er Leiter Recht und Regulierung beim game – Verband der deutschen Games-Branche. Google ist ein Mitglied des Verbands.
NetzDG vom VG Köln gestoppt: . In: Legal Tribune Online, 08.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47751 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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