Mohamedou Ould Slahi stand im Verdacht, in die Terroranschläge vom 11. September involviert gewesen zu sein. 14 Jahre war er in Guantánamo inhaftiert. Gegen seine Einreisesperre nach Deutschland klagte er erfolgreich vor dem VG Düsseldorf.
Mohamedou Ould Slahi hatte im Mai 2000 das letzte Mal deutschen Boden betreten. An diesem Mittwochmorgen reist er früh um sechs Uhr aus den Niederlanden ein. Dort lebt er seit zwei Jahren auf Grundlage einer befristeten Aufenthaltserlaubnis. Für Deutschland hat der 52-Jährige eine Einreisesperre bis zum Jahr 2042. Nur für diesen Mittwoch hat er eine Ausnahmegenehmigung: Das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf wollte ihn zur Verhandlung über eben diese Sperre persönlich sehen (Az. 7 K 193/22). Ab der Grenze hat Slahi eine Polizeieskorte in Zivil, die ihn bis zur Ausreise nicht aus den Augen lassen wird.
Slahi galt den USA über viele Jahre als eine Schlüsselfigur der Al-Qaida, war ab 2002 für 14 Jahre in dem höchst umstrittenen Lager in Guantánamo inhaftiert. Seine nach eigenen Aussagen besten Freunde sitzen noch immer in Gefängnissen: Einer wegen der Beteiligung an den Terroranschlägen der Al Quaida im tunesischen Djerba, der zweite wegen geplanter, verhinderter Anschläge auf der Insel La Réunion. Er selbst wurde im afrikanischen Mauretanien geboren. Der Sohn eines Hirten, der von Weggefährten als brillant und genial beschrieben wird, kam mit einem Begabtenstipendium Ende der 80er Jahre nach Duisburg. Dort schloss er sein Studium der Elektrotechnik ab.
Schon in seinem Herkunftsland und auch in Duisburg hatte er, der nach Berichten den Koran auswendig singen kann, enge Kontakte zur Moslembruderschaft. Anfang der Neunziger Jahre reiste er nach Afghanistan, wurde von der Al Quaida an der Waffe ausgebildet, war Sympathisant der Organisation, die für die Terroranschläge vom 11. September in den USA verantwortlich ist. 1992 will sich Slahi von der Terrororganisation abgewendet haben. Doch spätere Täter der Anschläge übernachteten bei ihm in Duisburg, er gab ihnen Tipps zur Reise nach Afghanistan, wo sie dann für die Taten rekrutiert wurden.
Verschleppt nach Guantánamo
Er selbst kam durch unrichtige Angaben nach seinem Studium zu einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für Deutschland und machte sich damals strafbar, weil er durch weitere falsche Angaben Sozialleistungen erschlichen hatte. Er wurde zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt, ihm wurde auch seine Aufenthaltserlaubnis entzogen und die Ausweisung – wie üblich – mit einer Einreisesperre verbunden.
Da er aber die Aufenthaltsgenehmigung bei der Behörde trotz Aufforderung nie unwirksam stempeln ließ, konnte er mit dieser nach Kanada reisen. Von dort machte er sich dann auch zurück nach Mauretanien, von wo er wegen seiner Nähe zu den Terroristen von Geheimdiensten verschleppt und schließlich nach Guantánamo verbracht wurde. Dort wurde er über Jahre gefoltert. Eine Beteiligung an den Anschlägen konnte ihm aber in Gerichtsverfahren und sonstigen Ermittlungen der US-Geheimdienste nie nachgewiesen werden. Die Involvierung seiner besten Freunde und die Tatsache, dass sein Cousin die Nummer drei bei Al Quaida war, bleiben ungünstige Umstände, die ihm zum Verhängnis geworden waren.
Schon in Guantánamo hat Slahi seine Erlebnisse aufgeschrieben, er gilt inzwischen als gefeierter Autor. Seine Geschichte ist in Dokumentationen, einem Spielfilm mit Jodie Foster und einem sehr informativen Podcast des NDR erzählt. Heute macht er Theaterprojekte, dies auch in Kooperationen mit deutschen Institutionen. Doch einreisen zur Premierenfeiern durfte und darf er nicht.
Fehlende Umsetzung der EU-Richtlinie
Wenn es nach dem VG Düsseldorf geht, wird sich das nun ändern. Das VG hält die von der Ausländerbehörde der Stadt Duisburg verhängte Einreisesperre für rechtswidrig. Die 7. Kammer unter dem Vorsitz von Felix Helmbrecht urteilte, die entsprechende Ordnungsverfügung sei aufzuheben und die Einreise- und Aufenthaltssperre auf den Tag des Urteils zu befristen.
Entscheidend ist nach Ansicht der Kammer in Slahis Fall die Rückführungsrichtlinie (2008/115 EG). Diese regelt für Europa einheitlich den Umgang mit sich irregulär aufhaltenden Ausländern und legt auch einheitliche Zeiten für Einreisesperren nach Ausweisungen fest. In Deutschland löste sie das Ausländergesetz ab und hätte als europäische Richtlinie bis Ende 2010 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Das hat der deutsche Gesetzgeber allerdings versäumt und mit dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erst im November 2011 nachgeholt.
Die nationalen Gesetzgeber hätten laut VG die Möglichkeit gehabt, etwa in Fällen von Verurteilungen wegen Straftaten eigene Regeln zu erlassen und sich in diesen Aspekten nicht der europäischen Richtlinie zu unterwerfen, ein so genanntes Opt-Out. Da der deutsche Gesetzgeber von dieser Möglichkeit aber nicht rechtzeitig Gebrauch gemacht hat, wie auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) meint, galt die Richtlinie bis zum Erlass des AufenthG unmittelbar. Das gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 19.09.2013, Az. C-297/12) auch für Altfälle, also solche wie den von Slahi.
Grundsatz der Einreisesperre bei fünf Jahren
Damit liegt eine Einreisesperre grundsätzlich bei fünf Jahren. Eine Ausnahme bietet § 11 Abs. 5a AufenthG bei einer Ausweisung u. a. wegen einer terroristischen Gefahr, dann könnten auch 20 Jahre Einreisesperre ausgesprochen werden Im Fall von Slahi allerdings hatte die Duisburger Ausländerbehörde die Einreisesperre mit der strafrechtlichen Verurteilung wegen der Erschleichung von Sozialleistungen begründet. Die Kammer des VG zeigte sich am Mittwoch davon überzeugt, dass nur diese Gründe zum Zeitpunkt der Einreisesperre relevant sein können. Spätere Erkenntnisse, auf die auch die Duisburger Behörde ihre später erneut ausgesprochene Befristung stützte, dürften nicht herangezogen werden, so das VG. Dafür halte das Aufenthaltsrecht andere Mittel bereit – nicht aber die Einreisesperre nach § 11 AufenthG.
Zudem ist auch eine spätere Verlängerung der Sperre nach Ansicht der Kammer ausgeschlossen. Im Fall von Slahi würde die von der Stadt Duisburg angestrebte Verlängerung zu einer Einreisesperre von insgesamt über 40 Jahren führen – denn es gab bereits die mit der Ausweisung verbundene Sperre aus dem Jahr 2000 über 20 Jahre, hinzu käme eine noch einmal ausgesprochene Befristung aus dem Jahr 2020. Eine so lange Sperre sei in § 11 AufenthG nicht vorgesehen.
Aus Sicht des VG Düsseldorf ist die Ordnungsverfügung damit rechtswidrig und aufzuheben. Das Gericht hat die Revision und die Sprungrevision zugelassen: "Wir wären sehr daran interessiert, wenn die höheren Instanzen sich mit den Rechtsfragen befassen", sagte Helmbrecht bei der Urteilsverkündung.
Schöffin sorgt für Verzögerung
Dass es an diesem Mittwoch tatsächlich zu einem Urteil kommt, stand am frühen Morgen noch kurz in Frage. Denn eine Schöffin hatte der Kammer an diesem Morgen im Vorgespräch mitgeteilt, dass sie selbst bei den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York ihren Verlobten verloren hatte. Für die Anwälte des Klägers, Dr. Matthias Lehnert sowie Andreas Schüller und Wolfgang Kaleck vom ECCHR, Grund genug, nach einer kurzen Beratung einen Antrag wegen der Sorge der Befangenheit zu stellen, §§ 54 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 41 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) analog. Die Berufsrichter hatten sich allerdings schon im Vorfeld beraten und ahnten den Ausgang des Verfahrens, sodass die Bescheidung des Antrags in Absprache mit den Parteien zurückgestellt wurde. In Hinblick auf das Ergebnis der Verhandlung nahmen die Klägervertreter den Antrag schließlich zurück.
Slahi, der noch immer sehr gut deutsch spricht und der Verhandlung ohne Übersetzerin folgte, sagte vor Prozessbeginn zu LTO, er wäre "gerne unter besseren Bedingungen gekommen". Die Begleitung durch die Polizei und die Situation des Prozesses sei "sehr belastend".
Nach dem Urteil teilte er mit: "Ich habe nicht zuletzt aufgrund meiner Erfahrung in Mauretanien und in Guantánamo den Wert des Rechtsstaats festgestellt. Deswegen nehme ich das Urteil des VG Düsseldorf mit Befriedigung zur Kenntnis und hoffe, dass ich bald nach Deutschland einreisen kann, um meine Familie und meine Freunde und meine Arbeitskollegen aus der Schriftsteller- und Theaterszene zu treffen."
Ob die Stadt Duisburg Rechtsmittel einlegt, ist noch nicht entschieden.
Ex-Guantánamo-Häftling klagt gegen Einreisesperre: . In: Legal Tribune Online, 22.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53242 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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