Die Bundesregierung plant, Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Warum der sogenannte "Radikalenerlass" in diesem Zusammenhang Beachtung verdient, stellt Andreas Nitschke dar.
Bereits im Koalitionsvertrag der Jahre 2021 - 2025 kündigte die Regierungskoalition an, zur Sicherstellung der Integrität des Berufsbeamtentums "Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst" entfernen zu wollen. Nach der Razzia vom 7. Dezember 2022 gegen der Reichsbürgerbewegung zugeordnete Personen bekam dieses Vorhaben einen neuen Schub. Kurze Zeit später wurde der Referentenentwurf für das Gesetz zur Beschleunigung der Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung vorgestellt. Die ersten Stellungnahmen aus der Literatur diesbezüglich liegen mittlerweile vor.
Auch in der Öffentlichkeit wird die Diskussion über Reichsbürger und andere Verfassungsfeinde im Staatsdienst seit den Ereignissen vom 7. Dezember 2022 mit neuer Vehemenz geführt. Zuletzt wurden in diesem Zusammenhang in der ARD-Dokumentation „FAKT: Radikale Staatsdiener in der AfD“ insbesondere die Politiker Thomas Seitz, Jens Maier sowie Birgit Malsack-Winkemann portraitiert.
Schutz des Staates vor Verfassungsfeinden
Der sich im Rahmen dieser Diskussion stets wiederholende Tenor ist ebenso eindeutig wie nachvollziehbar: Der Staat muss sich im Sinne einer wehrhaften Demokratie gerade aufgrund der Erfahrungen aus der Weimarer Republik gegen Verfassungsfeinde behaupten. Diese könnten insbesondere im Staatsdienst nicht geduldet werden. In der Tat erscheint es unmittelbar einleuchtend, dass niemand für einen Staat handeln darf, den er innerlich ablehnt oder gar äußerlich bekämpft.
So klar und bestimmt diese Grundaussage ist, so schwierig kann im Einzelfall die Beantwortung der Frage sein, wann genau eine Person als ein solcher Verfassungsfeind anzusehen ist.
Diesbezüglich wird im Staatsdienst auf die sogenannte Verfassungstreuepflicht (§ 60 Abs. 1 S. 3 BBG / § 33 Abs. 1 S. 3 BeamtStG) abgestellt, nach der sich Beamte und Bewerber durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdG) im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten müssen.
Die freiheitliche demokratische Grundordnung im Randbereich
Bei der freiheitlich demokratischen Grundordnung handelt es sich um einen Rechtsbegriff, unter dem sich zwar nahezu jede Person grundsätzlich etwas vorstellen kann, so dass er auch häufig wie selbstverständlich verwendet wird. Sein Inhalt ist allerdings gerade in den Randbereichen schwieriger zu greifen.
Diesbezüglich erfolgte vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Jahr 2017 im Rahmen der NPD-Entscheidung eine Konkretisierung: Erforderlich ist danach "eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind", wozu nach dem BVerfG die Menschenwürde, das Demokratieprinzip sowie der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit zählen.
Ein Verfassungsfeind, dem der Zugang zum Staatsdienst zu verwehren oder der ggf. hieraus zu entfernen ist, ist eine Person zumindest in dienstrechtlichem Lichte demnach dann, wenn sie für die eben aufgezählten Werte bzw. Prinzipien nicht eintritt oder sich nicht zu Ihnen bekennt. So einfach dies in eindeutigen Konstellationen festgestellt werden kann, so herausfordernd erscheint die rechtliche Würdigung wie so oft in Grenzfällen.
Das Erbe des "Radikalenerlasses"
Die aktuelle Diskussion über einen schärferen Umgang mit Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst verläuft bezeichnenderweise parallel zu einer dieser auf den ersten Blick entgegengerichteten Debatte, nämlich der um die Notwendigkeit der Aufarbeitung des sogenannten "Radikalenerlasses" aus dem Jahr 1972. Danach sollten nur solche Personen Beamte werden dürfen, an deren Verfassungstreue kein Zweifel bestand. Um dies sicherzustellen wurde jahrelang im Vorfeld einer Verbeamtung beim Verfassungsschutz bezüglich Informationen angefragt, die Zweifel an der Verfassungstreue hervorrufen konnten.
Dieses Vorgehen erfuhr von Beginn an Kritik. Unter Verwendung von Schlagworten wie "Berufsverbote" und "Gesinnungsschnüffelei" wurde auf die Gefahr einer wachsenden Rechtsunsicherheit ebenso hingewiesen wie darauf, dass jüngere Menschen das Vertrauen zum Staat verlieren könnten, da der „Radikalenerlass“ eine opportunistische Anpassung an die bestehenden Verhältnisse fördere, die Kritik und von der Mehrheitsauffassung abweichende Meinungen bereits im Keim zu ersticken drohe.
Tatsächlich belegen nicht nur historische Untersuchungen aus der jüngeren Vergangenheit eine uneinheitliche Praxis im Rahmen der Anwendung des "Radikalenerlasses", die insbesondere unter potentiellen Beamtenbewerbern für erhebliche Verunsicherung sorgte. Diese konnte auch nach den Grundlagenentscheidungen des BVerfG aus dem Jahre 1975 und später des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahre 1995 aus der Perspektive der Betroffenen oftmals nur in Ansätzen ausgeräumt werden.
Nicht selten heißt es daher in aktuellen Studien, dass das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung seinerzeit überstrapaziert worden sei, da neben der Fraglichkeit seiner Effizienz vereinzelt auch sachfremde Erwägungen bei der Ermittlung der Verfassungstreue relevant wurden und Grenzen verschwammen.
Willy Brandt bezeichnete den "Radikalenerlass" in diesem Lichte rückwirkend als einen Fehler. Und gegenwärtig erfolgt seine geschichtliche Aufarbeitung, wobei auch Rufe nach möglichen Rehabilitierungen und Entschädigungszahlungen an die damals von ihm Betroffenen laut werden.
Zwischen Kritik aus Vergangenheit und aktuellen Notwendigkeiten
Die historischen Erfahrungen aus der Zeit des "Radikalenerlasses" zeigen, dass in Bezug auf die Prüfung der Verfassungstreue ein sensibler Umgang von Nöten ist, so dass die Antwort auf die Frage, wer Verfassungsfeind ist, nicht vorschnell beantwortet werden darf. Gerade weil der Staat zum Schutz der Demokratie hart gegen Verfassungsfeinde vorgehen muss, ist zuvor die genaue Prüfung der Verfassungsfeindlichkeit der jeweils in Rede stehenden Person geboten.
Dabei dürfte es entscheidend darauf ankommen, wann genau eine Einstellung, die zwar nicht mit der aktuellen Mehrheitsauffassung übereinstimmt, aber mit den Grundprinzipien des freiheitlichen Verfassungsstaats noch in Einklang steht, in die Verfassungsfeindlichkeit umschlägt. In der oben angesprochenen ARD-Dokumentation betont der Publizist Joachim Wagner zu Recht die Schwierigkeiten, die mit dieser Frage einhergehen. Dies gilt nicht zuletzt im Lichte des Erbes des "Radikalenerlasses".
Als zu weitgehend erscheint beispielsweise das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) aus dem Jahr 2022. Darin kam das DIMR zum Ergebnis, dass ein Eintreten für die AfD mit der Verfassungstreuepflicht von Beamten nicht zu vereinbaren sei. Demgegenüber wiesen diverse Rechtwissenschaftler richtigerweise darauf hin, dass alleine die Mitgliedschaft in dieser Partei, die aktuell vom Verfassungsschutz verwaltungsgerichtlich bestätigt als Verdachtsfall eingestuft wird, noch nicht für einen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht ausreichen kann.
Sogar im Falle der weitergehenden Einstufung einer Partei als verfassungsfeindlich stellt die Mitgliedschaft nach herrschender Ansicht "nur" ein gewichtiges Indiz für einen Verstoß gegen diese Pflicht dar. Ausschlaggebend bleiben auch in dieser Konstellation stets die Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
Verfassungskritiker nicht gleich Verfassungsfeind
So kann festgehalten werden, dass Verfassungskritik nicht pauschal mit Verfassungsfeindlichkeit gleichgesetzt werden darf. Deutlich wird dies beispielsweise anhand der Kritik am Wort „Rasse“ in Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG). In diesem Zusammenhang würde verständlicherweise wohl niemand auf die Idee kommen, diese Kritiker als Verfassungsfeinde anzusehen. Die Frage aber, wann (noch) das eine oder (schon) das andere gegeben ist, kann im Einzelfall umfangreiche Untersuchungen und Abwägungen erforderlich machen. Entscheidend ist dabei, dass im Rahmen der wichtigen Diskussion über einen schärferen Umgang mit Verfassungsfeinden die Erfahrungen aus der Zeit des "Radikalenerlasses" nicht vergessen werden.
Verfassungsfeinden muss fraglos entschieden begegnet werden. Aber, wie Rechtsprofessor Christoph Möllers es zutreffend formuliert, man muss auch "darauf achten, die Fehler der 1970er nicht zu wiederholen."
Der Autor Prof. Dr. Andreas Nitschke ist Hochschullehrer an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Schleswig-Holstein für die Fächer Öffentliches Recht, insbesondere Beamtenrecht, und Zivilrecht. Er war zuvor als Referent in einem Landesministerium mit beamtenrechtlichen Rechtsfragen betraut.
Verfassungsfeinde im Staatsdienst: . In: Legal Tribune Online, 18.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51056 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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