Die Debatte um die Russland-Sanktionen zeigt: Der Staat kann Finanzströme oft nicht nachvollziehen – mit verheerenden Folgen für die innere und äußere Sicherheit. Ein Reformvorschlag von Mohamad El-Ghazi, Kilian Wegner und Till Zimmermann.
Luxusyachten, Immobilien in Top-Lagen, prall gefüllte Bankkonten: Die von der russischen Regierung und ihren Unterstützern in Europa angehäuften Reichtümer sind sagenumwoben. Um angesichts des Überfalls auf die Ukraine Druck auszuüben, nimmt die Europäische Union diese Vermögenswerte seit einigen Wochen verstärkt durch Sanktionen ins Visier und hat ihr Einfrieren angeordnet.
Die Durchsetzung dieser Maßnahmen bereitet allerdings erhebliche Probleme. Denn ein Großteil der auf den Sanktionslisten geführten Personen vermeidet es nach Kräften, Immobilien und andere Werte offen im eigenen Namen zu erwerben. Stattdessen werden Briefkastenfirmen und Strohleute eingesetzt, die die wahren Kontrollverhältnisse verschleiern. Welche Gegenstände dem Sanktionsregime unterfallen, lässt sich für die Behörden vor Ort daher oftmals nicht oder nur mit großem Aufwand ermitteln.
Damit ist ein Problem angesprochen, das Expertinnen und Experten aus Sicherheitskreisen und Zivilgesellschaft bereits seit Jahrzehnten beklagen: Die meisten Staaten machen es allzu leicht, Vermögen zu transferieren und zu verwalten, ohne dabei die eigene Identität preisgeben zu müssen. Diese Intransparenz wird nicht nur zur Umgehung von Sanktionen in außenpolitischen Krisen benutzt.
Auch Kriminelle profitieren davon, wenn sie die Erträge aus ihren Taten unentdeckt sichern oder in neue Rechtsverstöße investieren wollen. Neben der Terrorismusfinanzierung ist hier insbesondere das Gebiet der klassischen Organisierten Kriminalität (Betäubungsmittel- und Menschenhandel, Finanzkriminalität) von Bedeutung.
Verschleierte Finanzflüsse tragen zudem zu illegaler Parteienfinanzierung und Wahlmanipulation bei. Übermäßige Intransparenz in Vermögensfragen bedroht damit nicht nur die innere Sicherheit, sondern auch die Grundlagen des demokratischen Gemeinwesens.
Anti-Geldwäschearchitektur und Vermögenseinziehung reichen nicht
An politischen Vorstößen zur Schaffung von mehr Transparenz und Kontrolle internationaler Finanzströme hat es in den vergangenen Jahren nicht gemangelt. So wurde etwa das Geldwäscherecht so weit ausgedehnt, dass heute selbst wohlmeinende Beobachter zweifeln, ob die mit der Geldwäschebekämpfung verbundenen Eingriffe in Grundrechte sowie die hohen bürokratischen Lasten angesichts der flagranten Ineffizienz des Systems gerechtfertigt sind.
Ergänzt wurde die Anti-Geldwäschearchitektur im Jahre 2017 durch das Transparenzregister. Es soll Einblick geben, wer als sogenannter wirtschaftlich Berechtigter die faktische Kontrolle über juristische Personen ausübt. Mit der tatsächlichen Umsetzung der Offenlegungspflichten und der Kontrolle der im Register gemachten Angaben tut der Staat sich jedoch schwer. Es fehlt an geeignetem Ermittlungspersonal mit entsprechenden Befugnissen. Manch rechtliches Schlupfloch tut sein Übriges dazu, dass das Transparenzregister sich bisher als zahnloser Tiger erwiesen hat.
Gewisse Erfolge sind seit einigen Jahren schließlich bei der strafrechtlichen Vermögenseinziehung zu verzeichnen. Seit 2017 kann ein Vermögensgegenstand gemäß § 76a Abs. 4 StGB unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung eingezogen werden, wenn nachgewiesen ist, dass dieser Gegenstand aus einer rechtswidrigen Tat stammt. Es reicht dafür aus, wenn das Gericht aufgrund typisierter Indizien zu der Überzeugung gelangt, der Vermögensgegenstand rühre aus irgendeiner illegalen Quelle her. Allerdings hat dieses Instrument einige Schwächen. Erstens setzt die Einziehung voraus, dass der betroffene Gegenstand in einem Strafverfahren wegen einer der im Gesetz näher genannten Straftaten sichergestellt wird. Der hierfür erforderliche Anfangsverdacht fehlt in vielen praktisch relevanten Konstellationen allerdings. Zweitens versagt der strafrechtliche Zugriff, wenn das Vermögen zwar legaler Herkunft ist, aber zur Begehung künftiger Straftaten dient, und deshalb verschleiert wird, wer die Verfügungsgewalt darüber hat. Hinzu kommt, dass die Vorschrift handwerkliche Fehler aufweist, die ihre Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen zweifelhaft erscheinen lässt.
"Suspicious Wealth Order": Staatliches Auskunfts- und Einziehungsrecht
Vor dem Hintergrund der skizzierten Schwächen des bisherigen Instrumentariums zum Umgang mit Vermögen verdächtiger Herkunft schlagen wir die Einführung einer suspicious wealth order vor. Damit soll dem Staat die Befugnis gegeben werden, gegenüber den formellen Inhaberinnen und Inhabern von Vermögenswerten, die bestimmte Risikomerkmale auf sich vereinen, Auskunft zu verlangen, aus welcher Quelle das Vermögen stammt und wer darüber die faktische Kontrolle ausübt. Wird diese Auskunft nicht erteilt oder lässt sich nicht die Überzeugung gewinnen, dass die erteilten Auskünfte zutreffen, wird der Vermögensgegenstand eingezogen und damit in das Eigentum des Staates überführt.
Nach dem Vorbild anderer Staaten wird das neue Einziehungsinstrument verwaltungsrechtlich ausgestaltet. Voraussetzung der Einziehung ist, dass der betroffene Vermögensgegenstand eine Wertgrenze von 100.000 Euro überschreitet und bestimmte Risikomerkmale aufweist. Solche Merkmale sind Umstände, die darauf hindeuten, dass der Gegenstand aus illegalen Aktivitäten stammt, etwa aus verbotenen Geschäften oder Steuerhinterziehung, oder dem Einsatz rechtswidriger Zwecke dient, etwa der Umgehung von Embargos und Sanktionen, Schmiergeldzahlungen oder verdeckter Parteienfinanzierung.
Solche Risikomerkmale können entweder in der Person des formellen Vermögensträgers oder des wirtschaftlich Berechtigten liegen oder sich aus dem auffälligen Umgang mit dem Vermögenswert ergeben (ungewöhnliche Transaktionsmuster, bewusste Verschleierung des wirtschaftlich Berechtigten etc.). Die Typisierung solcher red flags ist hierzulande kein Novum, sondern hat im Recht zahlreiche Vorbilder: etwa die strafprozessualen Indizien für ein Herrühren von Vermögen aus Straftaten (§ 437 StPO), die besonderen Risikofaktoren im Geldwäscherecht (§ 15 GwG: politisch exponierte Personen und ihnen nahestehende Personen als Vermögensinhaber; Vornahme wirtschaftlich sinnwidriger Transaktionen etc.) oder die Kennzeichen unzulässiger grenzüberschreitender Steuervermeidung (§ 138e Abs. 2 Nr. 3 AO: Verschleierung des wirtschaftlich Berechtigten durch Bildung intransparenter Ketten).
Faktisch kommt es so zu einer Übertragung der bislang im Steuerverfahren geltenden Erklärungs- und Offenlegungspflicht des wirtschaftlichen Nutznießers eines risikobehafteten Vermögenswertes auf das Konfiskationsverfahren: Wer sich der Berechtigung an einem solchen Gegenstand berühmt, muss dessen legalen Erwerb und die Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten nachweisen sowie seine wahre wirtschaftliche Berechtigung an dem Gegenstand darlegen können. Anderenfalls geht das Eigentum auf den Staat über.
Suspicious Wealth Order als Instrument einer Finanzpolizei
Das skizzierte Modell kann nur funktionieren, wenn seine Durchsetzung in die Hände einer entsprechend potenten (Bundes-)Finanzpolizei gelegt wird. Naheliegend wäre es, hiermit das Bundeskriminalamt oder den Zollfahndungsdienst zu betrauen. Dafür muss die Behörde – wie bereits heute die Steuerfahndung zur Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle und das Zollkriminalamt zum außenwirtschaftlichen Risikomanagement – mit der Befugnis ausgestattet werden, von Amts wegen Gegenstände verdächtiger Herkunft zum Zweck späterer Sicherstellung und Einziehung aufzuspüren.
Im Einziehungsverfahren muss die Finanzpolizei hinreichend schnell – bildlich: bevor die Yacht den Hafen verlässt – auf potenzielle Einziehungsgegenstände zugreifen können (asset freezing). Normative Blaupausen derartiger Sofortmaßnahmen finden sich etwa im Geldwäsche- und Zollverwaltungsrecht. Die Entscheidung über die endgültige Einziehung liegt in verwaltungsgerichtlicher Hand.
Wer sich des Eigentums am Gegenstand berühmt, hat die Gelegenheit zum Nachweis des legalen Eigentumserwerbs, der ordnungsgemäßen Versteuerung und seiner Eigenschaft als wirtschaftlich Berechtigter im Sinne von § 3 GwG. Um die Selbstbelastungsfreiheit der Betroffenen zu schützen, müssen die im Konfiskationsverfahren gemachten Angaben im Strafverfahren einem Beweisverwertungsverbot unterliegen.
Verdachtseinziehung mit Grundgesetz vereinbar
Die vorgeschlagene präventiv ausgerichtete Abschöpfung von Vermögenswerten verdächtiger Herkunft ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie muss sich nicht an den strafverfassungsrechtlichen Garantien (Schuldgrundsatz, Unschuldsvermutung, Bestimmtheitsgrundsatz, Rückwirkungsverbot) messen lassen, da sie keine Strafe, sondern eine vorbeugende Maßnahme zur Gefahrenabwehr ist. Es geht allein darum, dem Anreiz zur Begehung von Straftaten entgegenzuwirken, der entsteht, wenn Vermögen gehabt und verwaltet werden kann, ohne dass Herkunft und Kontrolle nachvollziehbar sind. Diese Argumentation lässt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) untermauern, das zum Beispiel die Einziehung von Elfenbein (nach dem Bundesnaturschutzgesetz), für das der Inhaber die geforderten Dokumente nicht vorlegen kann, als Präventionsmaßnahme ohne Strafcharakter betrachtet.
Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG steht einer Einziehung von Vermögenswerten unklarer Herkunft nicht entgegen. Die vorgeschlagene Konfiskation wäre nicht als Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG zu qualifizieren, da sie nicht der Güterbeschaffung zugunsten der öffentlichen Hand dient. Ebenso wie die bereits bestehende strafrechtliche Vermögensabschöpfung wäre sie – trotz des mit ihr verbundenen Eigentumsverlusts – als "bloße" Inhalts- und Schrankenbestimmung anzusehen. Inhalt und Grenzen des Eigentums legt der Gesetzgeber fest. Dabei kann es auch zulässig sein, dass Eigentumspositionen seinem Inhaber in Gänze entzogen werden.
In der angesprochenen Entscheidung hat das BVerfG die Einziehung von Elfenbein als verhältnismäßig bewertet, weil sie Wilderei finanziell unattraktiv macht und dadurch dem Schutz von bedrohten Arten dient. Auch bei der Einziehung von Vermögenswerten verdächtiger Herkunft geht es letztlich um die Frage der Verhältnismäßigkeit. Für die Verhältnismäßigkeit spricht mindestens zweierlei: Erstens dient die anvisierte Einziehung dem Schutz der inneren – Vermeidung von zukünftigen Straftaten – wie der äußeren – Durchsetzung von Embargos und Sanktionen – Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Zweitens kann der Betroffene sie vermeiden, wenn er die Herkunft seines Vermögens transparent macht.
Fazit
Die vorgeschlagene suspicious wealth order ist kein Wundermittel. Der Aufwand wird groß sein, die Angaben der Betroffenen über die Herkunft der Mittel und der faktischen Kontrolle darüber nach rechtsstaatlichen Standards zu widerlegen. Ein guter Strohmann ist von einem redlichen Investor kaum zu unterscheiden. Auch die vielen Mängel der deutschen und europäischen Geldwäschearchitektur kann der Vorschlag nicht beheben. Er kann aber einen Beitrag leisten, die bisherige Schwäche des deutschen Staates im Angesicht des kriminellen Missbrauchs von Vermögensintransparenz zumindest abzumildern und seine Abwehrfähigkeit zu erhöhen – und dies ist das Gebot der Stunde.
Prof. Dr. Kilian Wegner forscht zum Wirtschaftsstrafrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und ist Schriftleiter der "Geldwäsche und Recht". Prof. Dr. Till Zimmermann und Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi haben strafrechtliche Lehrstühle an der Universität Trier inne und leiten das dortige Institut für Geldwäsche- und Korruptions-Strafrecht.
Vorschlag für "Suspicious Wealth Order": . In: Legal Tribune Online, 01.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48011 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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