Sieben Jahre lang wurde über ein Zweitverwertungsrecht für wissenschaftliche Autoren diskutiert. Am Ende der Legislaturperiode hat es der Bundestag in abgespeckter Form endlich verabschiedet. Während die Wissenschaftsverlage nun um ihre Existenz bangen, bewerten viele Befürworter von Open Access das Ergebnis als mager und enttäuschend. Beide Einschätzungen sind falsch, meint Eric Steinhauer.
Mit seinem Beschluss vom Freitag hat der Bundesrat den Weg frei gemacht für ein verbindliches Zweitverwertungsrecht bei wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen. Er hatte dieses Recht bereits 2006 in seiner Stellungnahme zur damaligen Urheberrechtsnovelle ("Zweiter Korb") angemahnt.
Das Zweitverwertungsrecht gilt als wichtiger Schritt bei der Entwicklung hin zur umfassenden und entgeltfreien, digitalen Verfügbarkeit wissenschaftlicher Arbeiten ("Open Access"). Neben sachgerecht ausgestalteten Schranken für Forschung und Lehre bei Versand und Bereitstellen digitaler Texte ist es das andere große Thema, wenn es um ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht geht.
Das neue Recht gilt in den Fällen, in denen Autoren einem Verlag ausschließliche Nutzungsrechte dauerhaft einräumen. Wird ein Beitrag demgegenüber ohne eine explizite Rechteeinräumung veröffentlicht, was vor allem in den Geistes- und Kulturwissenschaften nicht selten ist, bleibt es bei der alten Rechtslage. Danach erhält der Verlag lediglich für ein Jahr das ausschließliche Nutzungsrecht, so dass eine anschließende Zweitverwertung im Internet problemlos möglich ist.
Öffentliche Hand bezahlt Forschung derzeit doppelt
Künftig darf diese Möglichkeit vertraglich nicht mehr ausgeschlossen werden, wenn ein wissenschaftlicher Beitrag im Rahmen einer überwiegend mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungstätigkeit entstanden ist. Neben der Förderung von Open Access will der Gesetzgeber damit auf die unbefriedigende Situation reagieren, dass die öffentliche Hand zunächst Forschung und Forscher finanziert, die Forschungsergebnisse sodann aber in Form von teilweise sehr teuren Verlagsprodukten zurückkaufen muss.
Dabei erhalten die Autoren in aller Regel überhaupt keine Vergütung für ihre Publikation. Im Sinne einer ausgewogenen Vertragsgestaltung ist es daher nur fair, wenn sie jetzt wenigstens das unabdingbare Recht bekommen, die Sichtbarkeit ihrer Arbeit durch eine frei zugängliche Zweitpublikation im Internet zu erhöhen, ohne dies mit zweifelhaftem Erfolg gegenüber den wirtschaftlich stärkeren Verlagen aufwändig verhandeln zu müssen.
Keiner ist zufrieden
Die Wissenschaftsorganisationen begrüßen das neue Recht. Allerdings bietet es auch Anlass zu kritischer Nachfrage. Wenn das Ziel darin liegt, die öffentlich finanzierte Forschung der steuerzahlenden Öffentlichkeit leicht zugänglich zu machen, warum wurde die Zweitverwertung dann nicht verpflichtend vorgeschrieben? Gegen eine solche Pflicht sprechen sich allerdings nicht wenige Wissenschaftler aus. Sie wollen als Ausfluss der ihnen zustehenden Wissenschaftsfreiheit selbst entscheiden, wie öffentlich sichtbar ihre Forschungsergebnisse sind. Ihnen kommt die neue Regelung also entgegen, die eben nur ein Recht, aber kein Pflicht zur Zweitverwertung enthält.
Die Verlage sehen sich durch das neue Recht um ihre Leistungen beim Publikationsprozess betrogen. Sie fürchten jetzt um ihr Geschäftsmodell, ja sogar um ihre Existenz. Der Gesetzgeber hat auch auf diese Bedenken reagiert. Die Zweitveröffentlichung ist erst nach Ablauf eines Jahres zulässig und darf überdies nicht in der Originalfassung des Verlages erfolgen. Genau daran stören sich aber die Befürworter von Open Access. Durch das Verbot, die Originalfassung für die Zweitverwertung zu verwenden, müsse für ein korrektes Zitat immer noch die teure Verlagspublikation herangezogen werden, wenden sie ein. Zudem wird die Wartezeit von einem Jahr als viel zu lang empfunden.
2/2: Nach sieben Jahren Debatte ein klägliches Ergebnis?
Ein weiteres Problem schließlich deutet sich im Bundesratsbeschluss an. Wenn das Gesetz von einer öffentlich geförderten Forschung spricht, dann soll damit jedenfalls nach dem Willen der Bundesregierung die grundständig finanzierte Hochschulforschung aus dem Anwendungsbereich des Zweitverwertungsrechts herausfallen. In der Anhörung im Rechtsausschuss wurde diese auf den ersten Blick kaum auffallende begriffliche Differenzierung als nicht akzeptable "Zwei-Klassen-Wissenschaft" gewertet, die vor allem die drittmittelschwachen Geistes- und Kulturwissenschaften benachteilige.
Der Bundesrat hat jetzt in seinem Beschluss klargestellt, dass im Wege einer verfassungskonformen Auslegung auch die Hochschulforschung von dem neuen Recht profitiert. Immerhin steht der Ausschluss der Hochschulforschung nicht explizit im Gesetz. Ob dieser Ansatz tragfähig ist, wird sich zeigen.
Das neue Zweitverwertungsrecht ist ein typischer politischer Kompromiss, mit dem keiner wirklich zufrieden ist. Ist es also bloß Ausdruck einer Placebo-Politik, die kurz vor der Wahl nach einer urheberrechtspolitisch eher enttäuschenden Legislaturperiode noch ein wenig Wissenschaftsfreundlichkeit simulieren will, oder bringt es das Anliegen von Open Access tatsächlich nach vorne?
Versteht man das Zweitverwertungsrecht als Beschreibung, wie das frei zugängliche wissenschaftliche Publizieren künftig aussehen soll, so wird man in der Tat keinen großen Fortschritt erkennen können. Nach sieben Jahren Debatte ist es ein klägliches Ergebnis, wenn künftig nur ein Teil der wissenschaftlichen Publikationen in zufälliger, nicht zitierfähiger und obendrein noch sehr entschleunigter Weise frei zugänglich sein soll.
Ein Kompromiss mit Perspektive
Man kann das neue Recht aber auch als flankierende Regelung für eine Entwicklung begreifen, in die aus Gründen der Wissenschaftsfreiheit der Gesetzgeber selbst gar nicht so intensiv eingreifen sollte. Die Rede ist von der Umstellung des wissenschaftlichen Publizierens hin zu einem durchgehenden Open-Access-Paradigma, in dem künftig weniger die Leser bzw. die öffentlich finanzierten Bibliotheken, sondern die Autoren bzw. die Forschungseinrichtungen die Publikationskosten tragen.
Das neue Zweitverwertungsrecht kann hier gewissermaßen als Korrektiv gegenüber Verlagen gesehen werden, die sich der Entwicklung hin zu einer digital und vernetzt arbeitenden Wissenschaft verweigern oder in diesem Bereich überzogene Preisvorstellungen durchsetzen wollen. Zugleich kann das Zweiverwertungsrecht gerade in seiner unvollkommenen Ausgestaltung Verlage und Wissenschaft stimulieren, tragfähige und faire Geschäftsmodelle für die sofortige Publikation von Forschungsergebnissen im Netz gemeinsam zu entwickeln. Tatsächlich gibt es hier schon interessante Modelle, die weit über das hinausgehen, was jetzt mit dem Zweitverwertungsrecht Gesetz wird. Die praktische Bedeutung des neuen Rechts dürfte daher eher gering, seine Wirkung für mehr Open Access in der Wissenschaft aber groß sein.
Der Autor Dr. jur. Eric W. Steinhauer ist Bibliotheksdirektor an der FernUniversität in Hagen und hat als Sachverständiger an der Anhörung des Rechtsausschusses zum neuen Zweitverwertungsrecht teilgenommen.
Dr. jur. Eric W. Steinhauer, Bundesrat winkt neues Zweitverwertungsrecht durch: Mehr Open Access oder bloßer Placebo? . In: Legal Tribune Online, 23.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9624/ (abgerufen am: 06.07.2024 )
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