Das BMJV hat einen umfassenden Referentenentwurf für eine Urheberrechtsreform vorgelegt. Besonders umstritten: Während ein früherer Entwurf nur eingeschränkte Uploadfilter vorsah, geht der aktuelle nun viel weiter.
Nach zwei "Diskussionsentwürfen" hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) nun einen umfassenden Referentenentwurf für eine Urheberrechtsreform vorgelegt und Länder und Verbände um Stellungnahmen gebeten.
Hintergrund der Reform: Bis zum Juni 2021 muss Deutschland zwei EU-Richtlinien umsetzen – die EU-Richtlinie vom 17. April 2019 "Digital Single Market", kurz DSM-Richtlinie, und die EU-Richtlinie 2019/789 vom 17. April 2019, die sogenannte Online-SatCab-Richtlinie. Was sich kryptisch anhört, ist eine der größten Urheberrechtsreformen der vergangenen Jahrzehnte – und heftig umstritten.
Es geht um Reizwörter wie das Leistungsschutzrecht für Verlage und um Uploadfilter, mit denen die sozialen Netzwerke Inhalte prüfen müssen, die Nutzer hochladen - um sie dann womöglich zu blockieren. Das sorgt nicht nur im Netz für Aufregung, es gab auch europaweit Demonstrationen, mehr als hunderttausend Menschen gingen allein in Deutschland auf die Straße.
Das BMJV hatte bereits Anfang dieses Jahres einen Diskussionsentwurf vorgelegt, in dem es speziell um die Neuregelung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger ging. Im Juni folgte ein zweiter Diskussionsentwurf, der die übrigen Punkte aufgriff und insbesondere die umstrittenen Uploadfilter enthielt. Der aktuelle Referentenentwurf führt nun beide Diskussionsentwürfe zusammen – enthält aber an entscheidenden Punkten Änderungen.
"Snipppet-Ausnahme" ohne konkrete Grenzen
Zum einen ging das BMJV auf einen Wunsch von Kanzleramt und CDU-geführtem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) ein und änderte die Ausnahmeregelung beim Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Es geht dabei um Textauszüge von Presseartikeln – sogenannte Snippets –, die Google und andere kommerzielle Suchmaschinen in der Trefferliste anzeigen, ohne dass Nutzer dafür auf den Link klicken müssen. Und vor allem um die Frage: Wie lang dürfen solche Snippets sein, ohne dass eine Lizenz eingeholt werden muss?
Die DSM-Richtlinie sieht auf deutsche Initiative hin grundsätzlich ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger vor. Der Diskussionsentwurf sah zunächst vor, dass insbesondere die Überschrift, ein kleinformatiges Vorschaubild und eine Ton- oder Bildfolge von bis zu drei Sekunden ohne Lizenz genutzt werden darf. Die Union hielt das jedoch für einen Nachteil für die Verleger.
Der Referentenentwurf übernimmt nun wörtlich die Formulierung in der DSM-Richtlinie: Demnach ist "die Nutzung einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge aus einer Presseveröffentlichung" zulässig – ohne genauer zu bestimmen, was das heißen soll. Streit zwischen Suchmaschinen und Verlegern ist damit vorprogrammiert.
Außerdem sieht der Referentenentwurf eine automatische Verlegerbeteiligung vor, Verleger können auf entsprechende gesetzliche Vergütungsansprüche nicht mehr im Voraus verzichten. Bisher sind Vorstöße für ein Leistungsschutzrecht nicht erfolgreich gewesen – auch weil einige Medien bewusst auf ihr Geld verzichtet haben, um bei Google nicht ausgelistet zu werden.
"Pre-Check"- Verfahren
Bei der Umsetzung der übrigen Punkte hatte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) stets betont, sie strebe einen fairen Ausgleich zwischen Kreativen, Rechteverwertern und Nutzern an. In der Netzcommunity stieß jedoch schon der Diskussionsentwurf auf Kritik, weil er Uploadfilter grundsätzlich zuließ. Nun wurden diese Regelungen verschärft.
Das BMJV schlägt ein eigenes Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) vor, um die DSM-Richtlinie umzusetzen. Demnach sollen Upload-Plattformen künftig für alle Inhalte, die sie zugänglich machen, grundsätzlich urheberrechtlich verantwortlich sein. Das BMJV hatte sich dabei auch dafür entschieden, Uploadfilter zuzulassen, allerdings in einer ziemlich eingeschränkten Form. Plattformen sollten den Nutzern die Möglichkeit geben, sich beim Upload auf eine der gesetzlich geregelten erlaubten Nutzungen zu berufen (Pre-flagging). So gekennzeichnete Inhalte sollen nicht blockiert werden ("Online by default"). Ausgenommen davon waren nur offenkundig rechtswidrige Uploads, etwa vollständige urheberrechtlich geschützte Filme.
Nun soll vor das Flagging-Verfahren ein "Pre-Check"-Verfahren geschaltet werden: Der Diensteanbieter muss den Nutzer informieren, falls ein Sperrverlangen des Rechteinhabers vorliegt – und zwar sofort. In einem Schreiben des BMJV an die Länder und Verbände heißt es dazu: "Nur bei einem Sperrverlangen muss der Nutzer sich noch mit der Frage auseinandersetzen, ob der Upload auch gesetzlich erlaubt sein könnte, etwa im Rahmen einer Parodie oder eines Zitats."
Uploadfilter in Echtzeit
Damit werden die Plattformen verpflichtet, Uploads in Echtzeit zu prüfen, kritisiert etwa Julia Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Auf Twitter schreibt sie: "Liegt zum Zeitpunkt des Uploads noch kein Sperrverlangen vor, können Nutzer:innen NICHTS tun, um ihren legalen Upload vor zukünftigen Sperrungen zu schützen." Wenn jedoch später ein Sperrverlangen eingehe, müsse die Plattform den Inhalt automatisch löschen.
Während der Diskussionsentwurf vorsah, dass Nutzer Inhalte schon beim Upload als legal flaggen konnten (und Urheberrechtsinhaber dann ggf. dagegen vorgehen müssten), gilt nun also der umgekehrte Fall: Nutzer werden informiert, wenn der Uploadfilter Inhalte gesperrt hat - und können erst danach reagieren. Reda schreibt weiter: "Die einzige Hoffnung bleibt, dass sich das @BMJV_Bund hier einfach von Google hat bequatschen lassen und sich nicht bewusst ist, was dieser Vorschlag für Schaden anrichtet." Dafür spreche, dass es in dem Schreiben an die Länder und Verbände heißt, das "Pre-Check"-Verfahren sei lediglich eine Option.
Das BMJV gab auf Anfrage von LTO bis zur Veröffentlichung keine Stellungnahme dazu ab.
Update um 16:15: Auf Anfrage von LTO teilte das BMJV mit: Ziel der Änderung sei es, "Nutzerinnen und Nutzer in einer Vielzahl von Fällen von der nicht immer einfachen Bewertung urheberrechtlicher Fragen zu entlasten". In der Praxis werde "in vielen Fällen bereits entweder eine Lizenz oder ein Sperrverlangen zum Zeitpunkt des Uploads hinterlegt sein, so dass sich die von Frau Reda aufgeworfenen Fragen nicht stellen". Besteht eine Lizenz, kann der Upload erfolgen, besteht ein Sperrverlangen, kann der Nutzer seinen Upload flaggen. Die Plattformen sind nach dem UrhDaG verpflichtet, sich um Lizenzen zu bemühen. Zudem blieben Bagatellnutzungen erlaubt, betont das BMJV. So dürfen etwa Bilder mit bis zu 250 KB genutzt werden. Das hatte bereits der Diskussionsentwurf vorgesehen.
Weiter teilte das BMJV mit: "Etwaige Auswirkungen der Neuregelung auf die hier aufgeworfene Fallkonstellation eines nachträglichen Sperrverlangens werden wir genau prüfen." Gemeint ist damit der Fall, den Reda besonders scharf kritisiert: Inhalte können zwar zunächst hochgeladen werden, ein späteres Sperrverlangen würde aber zu einer automatischen Prüfung führen - ohne dass der Nutzer die Möglichkeit hatte, vorab seinen Beitrag als legal zu markieren.
Regierung unter Zeitdruck
Klar ist jedenfalls, dass die Regierung unter Zeitdruck steht, wenn sie die Umsetzungsfrist einhalten will. Länder und Verbände haben deshalb auch nur bis zum 6. November Zeit, ihre Stellungnahmen einzureichen.
Innerhalb der Bundesregierung ist der Entwurf noch nicht abgestimmt. Die Bundesregierung werde sich "parallel" zur Länder- und Verbändebeteiligung abstimmen und einen Regierungsentwurf erarbeiten, "der noch im Herbst 2020 beschlossen werden soll", heißt es seitens des BMJV.
Angesichts dessen scheint es fraglich, ob der Regierungsentwurf überhaupt noch entsprechende Stellungnahmen berücksichtigen wird. Änderungen sind aber auch im parlamentarischen Verfahren noch möglich. Sicher ist, dass dieser Entwurf auf viel scharfe Kritik stoßen wird.
Neuer BMJV-Entwurf zum Urheberrecht: . In: Legal Tribune Online, 14.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43102 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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