Eine NGO hat mit Hilfe von Bryter ein Tool entwickelt, über das Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine automatisiert Antworten auf die drängendsten Fragen bekommen. Rund 500 Anwält:innen machen bei der Aktion inzwischen pro bono mit.
Olga Hamama wusste, dass die Menschen aus der Ukraine wegen des russischen Angriffskrieges Unterstützung benötigen würden. Über persönliche Kontakte und einen Post auf LinkedIn tat sich die Anwältin und Schiedsrichterin aus Frankfurt/Main mit ukrainischen Wurzeln sofort mit weiteren im Ausland lebenden Ukrainer:innen zusammen. Das gemeinsame Ziel war zu helfen.
Vier Tage nach Kriegsbeginn konnte Olga Hamama auf LinkedIn den Start der Initiative #Unitedforukraine ankündigen, kurz darauf gründeten 17 Personen mit diversen beruflichen Hintergründen per Zoom-Meeting einen Verein nach Schweizer Recht. Der Verein fand schnell weltweit Unterstützer.
United for Ukraine wurde zu einer internationalen Nichtregierungsorganisation, die den dringenden Bedarf der Ukrainer:innen an Soforthilfe deckt und die Maßnahmen zum Wiederaufbau des Landes konsolidiert. Der Verein arbeitet mit Expert:innen für Krisenhilfe zusammen, darunter das International Rescue Committee und airbnb.org, internationale Anwaltskanzleien, Refugee Law Cinics und lokale Expert:innen wie Phineo.org.
Im Rahmen dieser Zusammenarbeit hat die Organisation die Plattform unitedforukraine.org entwickelt. Auf dieser finden Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine fliehen, schnelle Hilfe in Notlagen, humanitäre Unterstützung und grundlegende Informationen zu ihren drängendsten Fragen. Die Organisation ist Teil des International Rescue Committee und wird von Google.org unterstützt. Auf der Plattform finden sich Informationen zu Sprachkursen, digitalen Schulklassen, medizinischen Angeboten und Antworten auf Rechtsfragen.
Die Plattform startete an Tag drei des Krieges. Seitdem haben die Ehrenamtlichen Informationen zu den dringendsten Problemen in Form von FAQs für 20 Jurisdiktionen und individuelle Beratung in mehr als 4.200 Fällen bereitgestellt.
Am Anfang war es einfach
Polina Lehmann, Associate bei einer internationalen Kanzlei in Frankfurt/Main, leitet den Bereich "Legal Aid" bei United for Ukraine. Sie hatte den Aufruf von Olga Hamama auf LinkedIn gelesen. Auch sie hat ukrainische Wurzeln, wollte helfen – und wurde eines der Gründungsmitglieder des Vereins. "Wir haben erst einmal alle persönlichen Kontakte mobilisiert", erzählt sie. "In den ersten Wochen hatten wir bereits Unterstützung von 200 Anwält:innen." Zunächst notierte sie die Namen, Spezialisierungen und Fachgebiete der helfenden Anwält:innen und Angaben, in welchen Sprachen Hilfestellungen gegeben werden können, in einer Excel-Liste.
"Am Anfang waren es noch recht einfache Anfragen", sagt Lehmann. Da sei es vor allem um ganz grundlegende Fragen zur Migration gegangen, beispielsweise um die benötigten Dokumente für den Grenzübertritt, Fragen nach Visaerfordernissen oder die erlaubte Dauer für den Aufenthalt in den Zielländern.
Die Freiwilligen stellten Informationen über die Einreise oder die Bedingungen für den Aufenthalt zu ihren jeweiligen Jurisdiktionen zusammen und veröffentlichten sie auf Englisch, Ukrainisch und Russisch auf der Website – die grundlegenden Informationen in Form von FAQ.
Fragen auch nach Umzug des Unternehmens
Wesentliche Unterstützung kam dafür vom Legal-Tech-Unternehmen Bryter. Die Frankfurter haben dem Verein ein Team zur Verfügung gestellt, das – ausgerichtet an den Bedürfnissen der Hilfesuchenden – das Tool zur Bearbeitung der Anfragen entwickelt hat. Wer in den Antworten über die FAQ hinaus eine Frage hat, kann diese über ein zentrales Feld für die Kontaktaufnahme ins Netzwerk geben.
Im Backend können sich die ehrenamtlichen Helfer:innen nach ihrer Jurisdiktion, individuellen Expertise und persönlichen Verfügbarkeit in das Tool einloggen und auf die gestellten Fragen zugreifen. Die Anwält:innen können sich die Anfragen auswählen, für die sie selbst inhaltlich qualifiziert sind und dann Kontakt mit den Fragesteller:innen aufnehmen. Dabei gehe es auch an dieser Stelle noch um eine erste Orientierungshilfe, um erste Informationen an die Ratsuchenden, erläutert Polina Lehmann. Gelegentlich werde nur mitgeteilt, wohin die Menschen sich mit ihrem Anliegen wenden können.
"Gemeinsam haben wir Menschen geholfen, unter schwierigen Umständen die Grenze zu überqueren, vorübergehenden Schutz zu erhalten, nachdem dieser zu Unrecht verweigert wurde, und haben Fragen zu Migration, Arbeit, Sozialversicherung, Mietrecht, Steuern und anderen Themen geklärt", sagt Lehmann.
Ausweitung auf Kanada und die USA
Die Fragen seien im Laufe der Zeit jedoch komplexer geworden, erzählt Polina Lehmann. Inzwischen gehe es bei den Anfragen beispielsweise um Fragen zur Arbeitsaufnahme, um den Umzug des in der Ukraine bestehenden Business oder die Gründung eines Start-ups. "Die Bedürfnisse sind also deutlich individueller und spezifischer."
Doch mit der Zeit sei ja auch das Netzwerk gewachsen, es kamen die studentischen Law Clinics als Unterstützer dazu, aber auch viele weitere Rechtsanwält:innen aus unterschiedlichsten Kanzleien, darunter DLA Piper, Hogan Lovells, Morgan, Lewis & Bockius, McDermott Will & Emery, Linklaters Warsaw, Queritius, Rö-Legal, Stoica & Asociaţii, lindenpartners, Glimstedt und Vasil Kisil & Partners. Inzwischen engagieren sich rund 500 Anwält:innen aus über 30 Kanzleien vorwiegend aus Europa, einige inzwischen aus den USA und Kanada, für den Verein.
"In Richtung Kanada und der USA erweitern wir nun noch das Netzwerk", erzählt Lehmann – geographisch und inhaltlich. "Das ist eine notwendige Entwicklung", sagt die Anwältin. Denn auch die Zielländer der Kriegsflüchtlinge verändern sich mit der Dauer des Krieges.
Hilfe für alle mit Lebensmittelpunkt Ukraine
Auch das Tool werde entsprechend angepasst und so auf die USA und Kanada ausgeweitet, dass Anwält:innen und Law Clinics aus der ganzen Welt in der Lage sind, die Flüchtlinge zu unterstützen und ihr Wissen nach bestem Wissen und Gewissen einzusetzen.
Die Ehrenamtlichen helfen allen Menschen, gleich welcher Staatsangehörigkeit, die ihren Lebensmittelpunkt in der Ukraine haben und Hilfe benötigen. Die Informationen dazu rufen sich die Menschen bereits auf, bevor sie das Land verlassen: Rund 45 Prozent der Seitenaufrufe kommen aus der Ukraine.
Wer die Initiative unterstützen möchte, ist willkommen: "Neben den größeren Kanzleien sind unter den Helfenden bisher insbesondere Einzelanwält:innen aus dem Sozial- oder Migrationsrecht, die neben ihrem Job viel leisten", sagt Lehmann. Zu viele Unterstützer:innen könne es da nicht geben.
NGO erledigt über 4.200 Anfragen: . In: Legal Tribune Online, 24.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48840 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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