2/2: Dogmatisch nur partiell überzeugend
Überzeugend ist dieser Begründungansatz nicht. Man wird ein dreistufiges Gerichtssystem kaum als überkomplex ansehen können, wie ein Blick auf praktisch sämtliche Mitgliedstaaten beweist.
Auch die Kohärenz des Unionsrechts muss dadurch keineswegs leiden. Prozessrechtlich ist nämlich sehr wohl sichergestellt, dass die wirklich entscheidenden Fragen auch bei der Errichtung weiterer Fachgerichte letztendlich beim EuGH landen können.
Zwar mag es seit Errichtung des EuGöD tatsächlich die Ausnahme sein, dass der Gerichtshof sich mit Fragen des öffentlichen Dienstrechts befasst. Das dürfte aber eher daran liegen, dass sich in diesem Bereich eben nur selten Fragen von allgemeiner Bedeutung für das gesamte Unionsrecht stellen. In anderen Bereichen wie etwa dem geistigen Eigentum dürfte der EuGH trotz Errichtung entsprechender Fachgerichte sehr viel häufiger angerufen werden.
Praktisch aber nachvollziehbar
Und dennoch gibt es ganz praktische Gründe, die für den Vorschlag des EuGH sprechen Sie dürften wohl auch der eigentliche Hintergrund für den Vorschlag des EuGH sein.
Der Gerichthof weist nämlich auf gewisse strukturelle Schwächen kleinerer Gerichte hin, die mit der Art und Weise ihrer Besetzung und ihrer Funktionsweise zusammenhängen.
Tatsächlich hat sich insbesondere die Neubesetzung des EuGöD immer wieder als außerordentlich schwierig erwiesen. In diesem sind eben nicht alle Mitgliedstaaten vertreten, denn dieses Fachgericht besteht aus lediglich sieben Richtern.
Die Mitgliedstaaten sehen nun ein besonderes Prestige darin, einen dieser sieben Richterposten zu besetzen. Schlägt aber jedes Land einen eigenen Kandidaten vor, führt das notwendig zu Verzögerungen bei der Besetzung vakanter Richterstellen. Gerade auf kleinere Gerichte und ihre Funktionsfähigkeit kann sich das ganz erheblich auswirken.
Werden die Vorschläge des Gerichtshofs umgesetzt, dürfte sich freilich das von den EU-Verträgen ermöglichte und letztlich auch angestrebte dreistufige europäische Gerichtssystem erledigt haben. Das ist zweifellos bedauerlich, angesichts des bisweilen äußerst kleinlichen Verhaltens der Mitgliedstaaten aber wohl vorerst nicht zu ändern.
Überlastungsfrage damit aber nicht endgültig gelöst
Vor allem aber könnte es nun dazu kommen, dass wiederum der EuGH bald überlastet ist. Denn auch dieser stößt ja bereits aktuell an gewisse Belastungsgrenzen. Durch die Abschaffung des EuGöD dürfte sich aber einerseits die Zahl der Rechtsmittelentscheidungen, für die bisher das EuG zuständig war, deutlich erhöhen. Andererseits steigt auch die Zahl der Vorabentscheidungsverfahren, nicht zuletzt aus neuen Mitgliedstaaten der EU, kontinuierlich an.
Die Richterstellen am EuGH zu erhöhen, ist aber nicht so einfach, denn anders als beim EuG setzt dies eine förmliche Vertragsänderung voraus. Daher kommt eine Entlastung des EuGH letztlich wohl nur in Betracht, indem man dem EuG die Zuständigkeit für bestimmte Vorabentscheidungsverfahren zuweist. Eine Gefahr für die Kohärenz des Unionsrechts wäre damit nicht verbunden, da auch dieses bedeutende Fragen jederzeit an den EuGH verweisen könnte. Es erscheint allerdings mehr als fraglich, ob sich der EuGH auf eine solche Änderung einlassen würde, da er damit ja sein innerinstitutionelles "Vorabentscheidungsmonopol" aufgeben müsste.
Damit ist also bereits abzusehen, dass das Überlastungsproblem durch den Vorschlag des EuGH nicht endgültig gelöst wird. Immerhin: Für die nächsten Jahre dürfte das Thema vorerst vom Tisch sein. Und ein weiterer positiver Effekt lässt sich ebenfalls nicht leugnen: Die Chance, als Richterin oder Richter am EuG tätig zu werden, würde sich durch den Vorschlag verdoppeln. Sie ist allerdings, das sei ebenfalls nicht verschwiegen, immer noch sehr, sehr klein.
Der Autor Priv.-Doz. Dr. Alexander Thiele ist Akademischer Rat a.Z. am Institut für Allgemeine Staatslehre und Politische Wissenschaften der Universität Göttingen. Sein Lehrbuch zum Europäischen Prozessrecht ist soeben bei C.H. Beck in zweiter Auflage erschienen.
Alexander Thiele, EuGH und EuG sind überlastet: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13925 (abgerufen am: 03.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag