Wie sind die seit diesem Sommer zugelassenen E-Scooter verkehrsstrafrechtlich einzuordnen? Womöglich ähnlich wie ein Auto, zeigt Christoph Marotzke anhand der Rechtsprechung. Das sieht er kritisch.
Im Sommer 2019 wurden E-Scooter auf deutschen Straßen zugelassen. Nicht nur der Straßenverkehr und die daran teilnehmenden Personen müssen sich auf diese neuen Fortbewegungsmittel einstellen, auch das Strafrecht und die Justiz müssen sich diesen technischen Innovationen stellen.
Als zum Beispiel während des Oktoberfests mehrere hundert Besucher erheblich angetrunken E-Scooter in Betrieb nahmen und ihnen deswegen der Führerschein zumindest vorläufig entzogen worden war, warf das eine Frage auf: Wie sind Trunkenheitsfahrten auf E-Scootern rechtlich zu bewerten? Aus Sicht eines Strafverteidigers ist vor allem die Abgrenzung eines E-Scooters zu anderen (Teil-)Kraftfahrzeugen wie Motorrollern, Mofas, Segways und E-Bikes von Bedeutung.
Rechtsprechung speziell dazu gibt es - soweit ersichtlich – noch kaum bis gar keine. Trotzdem lässt sich anhand einiger Entscheidungen zumindest die Prognose wagen, wie sich diese künftig entwickeln wird. Aber eins nach dem anderen.
1,1 Promille: Der E-Scooter als Kraftfahrzeug?
Grundsätzlich gilt: Gemäß § 316 Strafgesetzbuch (StGB) macht sich wegen Trunkenheit im Verkehr strafbar, wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Das Fahrzeug muss dabei nicht zwangsläufig ein Kraftfahrzeug sein. So werden auch Fahrräder von der Vorschrift erfasst. Die Fahrzeugart ist dennoch wichtig, da die Grenze, ab wann eine Fahruntauglichkeit vorliegt, bei jedem Fahrzeug differenziert zu ziehen ist.
Es gibt zwei Grenzen, die im Verkehrsstrafrecht von Bedeutung sind. Die der relativen und die der absoluten Fahruntauglichkeit. So liegt bei Kraftfahrzeugen eine relative Fahruntauglichkeit (nicht zu verwechseln mit der allseits bekannten 0,5-Promillegrenze aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht) bereits bei 0,3 Promille vor. Bei Ausfallerscheinungen kann also schon in diesem Promillebereich eine Strafbarkeit vorliegen. Dieser Beitrag soll sich indes nur mit der Grenze der absoluten Fahruntauglichkeit beschäftigen. Wird diese überschritten, wird die Fahruntauglichkeit des Fahrzeugführers unwiderlegbar vermutet.
Die Grenze der absoluten Fahruntauglichkeit liegt für Kraftfahrzeuge bei 1,1 Promille. Für alle anderen Fahrzeuge, die keine Kraftfahrzeuge sind, gilt in der Regel die Grenze von 1,6 Promille. Kraftfahrzeug wird dabei in § 1 Abs. 2 S. 2 Straßenverkehrsgesetz (StVG) definiert als ein Landfahrzeug, das durch Maschinenkraft bewegt wird, ohne an Bahngleise gebunden zu sein. Fahrräder oder Inline-Skates werden hingegen durch Kraftaufwendung der zu befördernden Person in Bewegung gesetzt und scheiden als Kraftfahrzeug aus. Aus diesem Grund werden zum Beispiel auch Segways, unter anderem wegen des erforderlichen Versicherungskennzeichens, im Verkehrsrecht als Kraftfahrzeug behandelt und unterliegen ebenfalls der absoluten Fahruntauglichkeitsgrenze von 1,1 Promille (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2016, Az. 1 Rev 76/16).
Für E-Scooter scheint die Rechtslage somit eindeutig zu sein, da auch sie ausschließlich durch Maschinenkraft bewegt werden: Es dürfte entsprechend die Grenze von 1,1 Promille gelten. Nun liegen zwar noch keine rechtskräftigen Entscheidungen vor, die Staatsanwaltschaften scheinen dem Vernehmen nach jedoch aktuell dieser Rechtsauffassung zu sein.
Muskel- vs. Maschinenkraft als Abgrenzungskriterium
Es stellt sich die Frage, ob die Antriebsart wirklich das einzige relevante Abgrenzungskriterium sein kann oder ob es nicht vielmehr auch eine Gesamtbetrachtung der Gefährlichkeit von E-Scootern für den Straßenverkehr braucht, um die Frage nach der Promillegrenze zu beantworten. Es gibt diverse Fahrzeuge, die auch zumindest teilweise durch Maschinenkraft bewegt werden und dennoch der absoluten Fahruntauglichkeitsgrenze von 1,6 Promille unterliegen und somit Fahrrädern gleichgestellt sind.
So hat das LG Oldenburg (Urt. v. 08.09.1989, Az. Ns 319 Js 4188/89) ausgeführt, dass bei Leichtmofas die gleiche Grenze gelten soll wie bei Fahrrädern. Die technische Ausstattung bei Leichtmofas, unter anderem die vergleichsweise niedrige Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Stunde und der Hubraum von 30 Kubikzentimeter sowie der Umstand, dass man ein Leichtmofa ohne Helm fahren darf, führten dazu, dass ein Leichtmofa einem Fahrrad wesentlich näher komme als ein "echtes" Mofa, für die unstreitig die Promillegrenze von 1,1 gilt, so das Oldenburger Gericht. Und als der BGH (Beschl. v. 29.10.1981, Az. 4 StR 262/81) ebenjene Grenze für Mofafahrer festsetzte, begnügten sich die Richter nicht damit, nur auf die Antriebsart des Mofas zu verweisen. Vielmehr haben sie in ihrer Entscheidung auch auf die Gesamtleistungsfähigkeit von Mofas und die damit einhergehende, gesteigerte Gefahr für den Straßenverkehr abgestellt.
Auch in einschlägigen Entscheidungen zu Pedelecs und E-Bikes (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 28.02.2013, Az. 4 RBs 47/13) oder auch sogenannten Pocketbikes (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 11.09.2013, Az. 2 OLG 21 Ss 652/13) gehen die Gerichte auf die Geschwindigkeit ein, die diese erreichen können, um die Gefährlichkeit für den Straßenverkehr einschätzen und entsprechend die anzuwendende Promillegrenze festsetzen zu können.
Ein E-Scooter darf, um für den Straßenverkehr zugelassen zu werden, nicht schneller als 20 Kilometer pro Stunde fahren können. Er darf auch ohne Helm gefahren werden. Er stellt angesichts seiner Aufschlagsfläche und der niedrigeren Leistungsfähigkeit auch eine wesentlich kleinere Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dar als etwa ein Mofa, ein Moped oder gar ein Auto. Anhand dieser Überlegungen scheint es naheliegend, die E-Scooter verkehrsrechtlich zugunsten der Beschuldigten einem Fahrrad gleichzusetzen.
Warum E-Scooter wohl doch wie Autos eingestuft werden
Nun gilt es zwischen Fahrzeugen mit motorisierten Hilfsantrieben und solchen Fahrzeugen, die ausschließlich durch Maschinenkraft bewegt werden, zu unterscheiden. So können Pedelecs und Leichtmofas auch ohne Maschinenantrieb gefahren werden und funktionieren in diesem Zustand wie normale Fahrräder. Dies ist bei Segways, trotz einer Höchstgeschwindigkeit von nur 20 Stundenkilometern, nicht möglich. Entsprechend werden sie auch als Kraftfahrzeug eingestuft. Bei E-Scootern wird die Rechtsprechung wohl ebenfalls diesen Weg einschlagen.
Das ist problematisch, weil es dann nicht auf konkrete Umstände, sondern auf die oberflächlich festgestellte technische Ausstattung eines Fahrzeugs ankommt. Der Umstand aber, dass E-Scooter dann verkehrsrechtlich auf eine Stufe mit zum Beispiel einem SUV oder Lkw gestellt werden, ist bedenklich.
Angesichts neuer Technologien sollte es im Verkehrs(straf)recht deshalb zu einem Umdenken kommen, gerade mit Blick auf die zu erwartenden Entwicklungen im Bereich der autonomen Fahrzeuge. Denn diese technische Entwicklung wird die weitere, unveränderte Anwendung der bislang anerkannten Promillegrenzen obsolet machen.
Der Autor Christoph Marotzke ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Hamburg. Er vertritt Mandanten u. a. im allgemeinen Strafrecht, Verkehrsstrafrecht und Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht.
Trunkenheitsfahrt: . In: Legal Tribune Online, 02.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39007 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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