Bisher wurden tot geborene Babys als "Kliniksondermüll" verbrannt. Mit dieser unwürdigen Praxis soll bald Schluss sein: Am Mittwoch hat das Bundeskabinett eine Änderung im Personenstandrecht beschlossen, die eine normale Bestattung der so genannten Sternenkinder ermöglicht. Torsten F. Barthel über einen überfälligen Schritt, der die Trauerarbeit der Angehörigen erleichtern wird.
Dass tot zur Welt gekommene "Sternenkinder" kein Persönlichkeitsrecht haben sollen, wurde schon lange heftig kritisiert. Zuletzt hatten Elterninitiativen in 2009 eine entsprechende Petition an den Bundestag gerichtet – mit Erfolg: Bundesfamilienministerin Schröder wird ihren Kabinettskollegen am Mittwoch eine Änderung des § 31 Abs. 3 der Verordnung des Personenstandsgesetzes (PStV) vorlegen. Dadurch sollen Mutter oder Vater dem Standesamt künftig die Geburt anzeigen, die dann auch beurkundet wird. Rechtlich hat das Kind damit existiert, und die Eltern sind als Eltern anerkannt.
Bislang fanden betroffene Eltern bei Totgeburten mit einem Gewicht unter 500 Gramm nur manchmal einen aufnahmebereiten Friedhof. Immerhin enthalten einige der 16 Friedhofs- und Bestattungsgesetze (BestattG) der Länder Regelungen wie in Niedersachsen, wonach "auf Verlangen der Eltern ein Tot-oder Fehlgeborenes zur Bestattung auf dem Friedhof zuzulassen ist" (§ 8 Abs. 1 Satz 2 Nds. BestattG).
Das sittliche Empfinden bestimmt den Umgang mit menschlichen Überresten
Allerdings erfolgt die Beisetzung auch in diesem Fall zumeist in einem Kindersammelgrab, wo die Kinder vierteljährlich gesammelt, gemeinsam verbrannt und in einer Urne bestattet werden. Manche Länder machen die Bestattung sogar gänzlich vom Goodwill des Friedhofsträgers abhängig. Bittere Konsequenz: Das tote Kind ist organischer Abfall, Krankenhausmüll, der ordnungsgemäß entsprechend den Hygienevorschriften entsorgt werden muss. Entsorgung bedeutet in der Regel Verbrennung zusammen mit herausoperierten Blinddärmen oder Geschwüren und Zuführung der Asche zum Sondermüll.
Diese Praxis hatte ihre Wurzel in der Regelung des § 31 Abs. 3 PStV in seiner bisherigen Fassung. Danach gilt: Wenn das Gewicht der Leibesfrucht weniger als 500 Gramm beträgt, handelt es sich um eine Fehlgeburt. Sie wird in den Personenstandsregistern nicht beurkundet, wenn sie ohne Merkmale des Lebens wie Herzschlag, Nabelschnurpulsation oder Lungenatmung und kein Teil einer Mehrlingsgeburt war. Was aber nicht personenstandsrechtlich beurkundet wird, hat als Mensch nicht existiert, ist also keine "Leiche" und damit eben nicht bestattungspflichtig.
Dabei wird die ehrfurchtvolle Behandlung menschlicher Überreste durch Pietät, Sitte und religiöse Anschauung bestimmt. Bereits die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Schwangerschaftsabbruch enthält wesentliche Aussagen zum sittlichen Empfinden unseres Kulturkreises. Danach beginnt die Menschenwürde spätestens mit der Nidation (Einnistung) der Eizelle (Urt. v. 25.02.1975, Az. 1 BvF 1/74, 1 BvF 2/74, 1 BvF 3/74, 1 BvF4/74, 1 BvF 5/74, 1 BvF 6/74). Somit besitzt auch ein Fehlgeborenes Menschenwürde und kann das sogenannte postmortale Persönlichkeitsrecht beanspruchen.
Medizinischer Fortschritt setzt bisherige Parameter außer Kraft
Die bisherige Regelung stand zu dieser Rechtsprechung diametral im Widerspruch.Die Festlegung auf 500 Gramm – das Gewicht wird in der Regel zwischen der 24. und 26. Schwangerschaftswoche erreicht – ging auf eine Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück und basierte auf der Erfahrung, dass Föten vor diesem Entwicklungsstadium in der Regel noch nicht lebensfähig sind. Durch die enormen Fortschritte in der Medizin stimmt dieser Erfahrungssatz schon länger nicht mehr. Das kleinste überlebende Frühchen hatte ein Gewicht von 284 Gramm. Es war daher höchste Zeit, die veraltete PStV anzupassen.
Dazu stellte Familienministerin Schröder im Vorfeld der Kabinettssitzung treffend fest: "Der Aufwand ist klein, das Ergebnis für viele erschütterte Paare in Deutschland sehr bedeutend. Wir debattieren zu Recht immer wieder über die Frage, wann das menschliche Leben beginnt. Da ist es nur folgerichtig, diesem frühen Leben im Mutterleib auch beim Tod vor der Geburt einen Namen geben zu dürfen."
Ein langer Kampf – viele Eltern, die Kirche, die Bundestagsabgeordneten Klaus-Peter Willsch und Stefanie Vogelsang und auch der Autor haben sich dafür eingesetzt – geht glücklich zu Ende: "Sternenkinder" sind als Person anerkannt und haben einen Rechtsanspruch auf eine würdige Bestattung auf allen deutschen Friedhöfen. Die Neuregelung erleichtert den Betroffenen ihre Trauerarbeit und gibt toten Kindern die ihnen zustehende Würde.
Torsten F. Barthel, LL.M. ist Rechtsanwalt in Berlin und spezialisiert auf das Friedhofs- und Bestattungsrecht. Er hat auch Kommentare zu mehreren Landes-Bestattungsgesetzen verfasst.
Torsten Barthel, Tot- und Fehlgeburten: . In: Legal Tribune Online, 09.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6161 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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