Die Rufe nach einem Rücktritt des auch durch die AfD gewählten FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich werden lauter. Was aber, wenn der nicht aufgeben will? Auf kurz oder lang wird es Neuwahlen geben, meint ein Verfassungsrechtler.
Update am Tag der Veröffentlichung, 14.28 Uhr: Die Thüringer FDP gab bekannt, dass Kemmerich sein Amt niederlegen werde und die Fraktion zu diesem Zweck die Auflösung des Landtags beantragen wolle.
Am Donnerstagmorgen beginnt der Tag für Thomas Kemmerich (FDP) als Ministerpräsident von Thüringen - wirklich regieren kann er aber nicht. Er hat keine eigenen Minister, möglicherweise keine ausreichende Unterstützung im Landtag und seit dem Vorabend sieht er sich einem bundesweiten Shitstorm ausgesetzt.
Nun schaltete sich am Morgen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ein, die Wahl müsse rückgängig gemacht werden, sagte sie von ihrem Staatsbesuch in Südafrika aus. Die Wahl zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD sei "unverzeihlich".
Kemmerich war am Mittwoch im Thüringer Landtag überraschend mit den Stimmen von Liberalen, CDU und AfD zum Regierungschef gewählt worden. Der Kandidat der FDP, die im Herbst nur knapp den Sprung in den Landtag geschafft hatte, setzte sich gegen den bisherigen Regierungschef Bodo Ramelow von den Linken durch. Kemmerich erhielt 45 Stimmen, Ramelow 44, der AfD-Kandidat null.
Es war das erste Mal, dass die AfD einem Ministerpräsidenten ins Amt half. Das rief bei SPD, Grünen, Linken, aber auch bei Teilen der Union massive Empörung hervor. Kemmerich schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD aus, er will nun eine Minderheitsregierung mit CDU, SPD und Grünen bilden. SPD und Grüne haben aber bereits abgesagt.
Kemmerichs Rücktritt gefordert
Die Entwicklungen in Thüringen belasten die große Koalition in Berlin. Die SPD wertet die Wahl mit Stimmen der AfD als "Dammbruch" und verlangt ein Machtwort von CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer. Die warnte ihre Thüringer Parteifreunde vor einer Zusammenarbeit mit dem neuen Ministerpräsidenten Kemmerich. "Dieser Ministerpräsident hat keine parlamentarische Mehrheit, er muss sich immer auf der AfD abstützen", sagte Kramp-Karrenbauer im ZDF-heute-Journal.
Sie plädierte für eine Neuwahl – und forderte Kemmerichs Rücktritt: "Und ich finde, es wäre richtig, wenn dieser Ministerpräsident zurücktreten würde."
In Bedrängnis gerät die FDP auch aus sich heraus, der Kurs der Liberalen in Thüringen ist auch intern umstritten. Die Parteispitze in Schleswig-Holstein forderte den Rücktritt Kemmerichs und Neuwahlen. Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Alexander Graf Lambsdorff. Der rheinland- pfälzische FDP-Chef Volker Wissing twitterte: "Einen Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD kann und darf es nicht geben. Wenn demokratische Kräfte die Zusammenarbeit ablehnen, braucht Thüringen Neuwahlen."
Auch die ehemalige Justizministerin und FDP-Präsidiumsmitglied Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sprach sich auf Twitter für den Rücktritt Kemmerichs aus. "Der Spuk in Thüringen muss sofort beendet werden, bevor er zum Albtraum wird", twitterte sie.
Verfassungsrechtler: "Völlig rätselhaft", wie Kemmerich regieren will
"Wie ein Ministerpräsident, dessen Fraktion nur fünf Landtagsabgeordnete stellt, eine Regierung bilden und Politik machen will, ist völlig rätselhaft", sagt der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Christoph Schönberger, Lehrstuhlinhaber Öffentliches Recht an der Uni Konstanz gegenüber LTO. Eine Regierungsbildung mit der CDU dürfte für Kemmerich auch nicht wahrscheinlicher geworden sein, nachdem Kanzlerin Merkel am Donnerstagmorgen ebenfalls sagte, ihre Partei dürfe sich so nicht an der Thüringer Regierung beteiligen. Was also sind die Möglichkeiten?
Der gewählte Ministerpräsident Kemmerich könnte selbst den Anstoß für einen Neuanfang geben, indem er seinen Rücktritt erklärt. Damit ändert sich aber erstmal an der aktuellen Lage nichts. Kemmerich ist nach Art. 75 der Landesverfassung Thüringens sogar dazu verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt eines Nachfolgers fortzuführen. Kemmerichs Amt endet erst dann, wenn in Thüringen ein neu gewählter Landtag zusammentritt. Für die Thüringer Wähler geht es dann wieder von vorne los, sie müssten noch einmal wählen.
Kemmerich könnte aber auch im Landtag die Vertrauensfrage stellen. Wenn er damit scheitert, wäre nach Art. 50 der Landesverfassung ebenfalls der Weg frei für vorzeitige Neuwahlen. Um dem Ministerpräsidenten das fehlende Vertrauen auszusprechen, reicht bereits die Mehrheit der Mitglieder im Landtag. SPD, Linke und Grüne verfügen zusammen über 42 Stimmen, sie bräuchten für die absolute Mehrheit unter allen Landtagsmitgliedern 46.
Zurzeit scheint die Vertrauensfrage für Kemmerich aber ohnehin nicht in Frage zu kommen. "Die Arbeit beginnt jetzt", sagte der FDP-Politiker am Donnerstagmorgen im ARD-Morgenmagazin. Kemmerich selbst schloss einen Rücktritt aus, er sei in geheimer Wahl gewählt worden.
Aber der Druck auf ihn wächst - spätestens nachdem sich nun auch die Kanzlerin eingeschaltet hat und einige Parteikollegen, die ihn zunächst noch unterstützten, nun auch den Kurs gewechselt haben, wie etwa der FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der am Mittwoch noch von einem "großartigen Erfolg" sprach.
Weitere Möglichkeiten: Selbstauflösung des Landtags oder Misstrauensvotum
Kemmerich scheint auf eine FDP/CDU-Minderheitsregierung zu setzen und darauf zu vertrauen, dass die AfD mitspielt. "Ich glaube kaum, dass sich das Land so regieren lassen wird. Über kurz oder lang wird es zu Neuwahlen kommen müssen", sagt Verfassungsrechtler Schönberger dazu. "Dafür gibt es nach der thüringischen Verfassung neben der gescheiterten Vertrauensfrage die Selbstauflösung des Landtags."
Sollte Kemmerich nicht selbst den Weg für Neuwahlen frei machen, könnte sich der Landtag also auch selbst auflösen. Dafür bräuchte es aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Auch das ergibt sich aus Art. 50 der Landesverfassung. "Da die AfD gegen eine Neuwahl ist, wären dafür Stimmen aus der CDU-Fraktion nötig", sagt Schönberger.
Eine einfache Mehrheit reicht dagegen beim sogenannten konstruktiven Misstrauensvotum. "Der Landtag kann dem Ministerpräsidenten das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt", heißt es in Art. 73 der Landesverfassung. Damit ginge aber im Landesparlament alles nur wieder von vorne los.
Für die Abgeordneten würde damit wieder die mühsame Suche nach einer Mehrheit für einen neuen Ministerpräsidenten beginnen. Aus genau dieser schwierigen Situation heraus, wurde Kemmerich überhaupt nur plötzlich Ministerpräsident. Nun wäre es gut vorstellbar, dass sich nach der heftigen Diskussion die Meinung bei so manchem Landtagsabgeordneten inzwischen verändert hat. Ob das aber ausreicht um - ohne die demokratische Absicherung einer Neuwahl - plötzlich völlig neue Koalitionen möglich zu machen, scheint wenig wahrscheinlich.
Kritik an FDP-Ministerpräsident in Thüringen: . In: Legal Tribune Online, 06.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40155 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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