Präsident werden mit elf zu 138 Millionen Stimmen
Naturgemäß lässt die an vielen Stellen holprige Umrechnung von Wähler- auf Wahlmannstimmen Gedankenspiele zu, die den Demokratiegedanken ad absurdum führen. Im mathematischen Extremfall könnte ein Kandidat z.B. mit nur elf Stimmen bei 138 Millionen Gegenstimmen (abzüglich Minderjährige und andere nicht Wahlberechtigte) amerikanischer Präsident werden.
Dann nämlich, wenn in den elf Staaten mit den meisten Wahlmännern jeweils nur ein einziger Bürger abstimmen würde (und immer für denselben Kandidaten), die Wahlbeteiligung in den übrigen 39 Staaten plus D.C. hingegen bei 100 Prozent läge, und zwar ausnahmslos zugunsten des Gegenkandidaten. Denn die elf größten Staaten stellen gemeinsam 270 Wahlmänner, die übrigen kommen zusammen nur auf 268.
Gewiss: Das Beispiel ist maßlos überzogen. Dass ein Kandidat gewinnt, obwohl sein Gegenspieler mehr Stimmen erhalten hat, ist mit geringerem zahlenmäßigen Abstand allerdings schon vier Mal in der US-Geschichte vorgekommen – zuletzt im Jahr 2000 beim Wahlsieg von George W. Bush, der um mehr als eine halbe Million Stimmen hinter dem Demokraten Al Gore zurücklag.
Wenn der Wahlmann fremd wählt
Wenn die Vorhersagen stimmen, wird es dieses Mal so knapp nicht werden. Allerdings hält das amerikanische System noch einen weiteren Unsicherheitsfaktor bereit. Denn auch wenn Clinton sich am 8. November die Mehrheit der Wahlmänner sichert, könnte Trump theoretisch noch gewinnen – nämlich dann, wenn einige von Clintons Wahlmännern einfach ihre Meinung ändern und am 19. Dezember für den Republikaner abstimmen würden.
Das wäre zwar ein ungeheuerlicher Verrat an der eigenen Partei (die die Wahlmänner aufstellt) und an den Wählern (die der Wahlmann repräsentieren soll). Aber es ist in 21 Staaten legal und wurde auch in den übrigen noch nie strafrechtlich verfolgt.
Eine Gefahr dürften die sogenannten "treulosen Wahlmänner" allerdings wohl eher für Trump bedeuten, der nach den Erkenntnissen der vergangenen Wochen auch innerhalb der Republikanischen Partei stärker umstritten ist denn je. Schon in den vergangenen Monaten haben zwei republikanische Wahlmänner offen damit gedroht, im Fall der Fälle gegen den eigenen Mann zu stimmen. Insgesamt ist es zu einem solchen Verrat in der US-Geschichte schon 157 mal gekommen. Für das Ergebnis entscheidend war er bislang zwar noch nie – aber das wäre bei dieser Wahl ja nicht die einzige Premiere.
Constantin Baron van Lijnden, US-Präsidentschaftswahl erklärt: . In: Legal Tribune Online, 10.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20814 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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