Das "Sylt-Video" kursiert seit Tagen unverpixelt im Netz. Gleiches gilt für die Namen der Beteiligten. Die Konsequenzen für sie sind gravierend. Ob der mediale Umgang mit den Aufnahmen rechtmäßig ist, schätzen Medienrechtsexperten für LTO ein.
Das Video, in dem junge Menschen beim Feiern auf Sylt zum Lied "L'Amour Toujours" von Gigi D'Agostino "Deutschland den Deutschen – Ausländer raus" grölen, hat deutschlandweit für Empörung gesorgt.
Ob sich die Feiernden auch strafbar gemacht haben, wird noch diskutiert. Unabhängig von den strafrechtlichen Ermittlungen sind die Konsequenzen für die Betroffenen bereits jetzt enorm. Mehrere Personen wurden fristlos gekündigt. Neben den Konsequenzen für den Job sehen sich viele auch Anfeindungen ausgesetzt. Laut Aussage eines Beteiligten werden auch Familie und Freunde beschimpft.
Ursache hierfür ist die identifizierende Berichterstattung auf Social Media. Der entsprechende Videoausschnitt aus dem "Pony-Club" wurde auf Social-Media unverpixelt zigtausendfach geteilt, auch kursieren dort Listen mit Namen aus der Gruppe. Während die meisten Medien die Personen verpixelt haben, zeigt etwa die BILD-Zeitung die Gesichter der Beteiligten. Heute veröffentlichte sie auch ein Foto des Filmenden, der ebenfalls die Parolen mitgesungen haben soll.
Ist eine solche identifizierende Darstellung der Beteiligten rechtlich zulässig? LTO hat bei Medienrechtsexpert:innen nachgefragt – wie sie den medialen Umgang mit dem "Sylt-Video" einschätzen.
Ist eine Einwilligung in die Veröffentlichung entbehrlich?
Die Rechtslage regeln die §§ 22, 23 Kunsturhebergesetz (KUG). Danach ist eine Bildnisverbreitung grundsätzlich nur mit Einwilligung möglich. Es gibt aber Ausnahmen hiervon.
Dr. Lucas Brost (Kanzlei Brost Claßen) hält die Veröffentlichung und die massenhafte Verbreitung des "Sylt-Videos" für presserechtlich bedenklich. Eine Einwilligung der abgebildeten Personen liege nur in die Veröffentlichung in einem kleineren Personenkreis vor. Zumindest manche Personen hätten daher verpixelt werden müssen. Dass die Feier durch das Rufen der Parole zu einer politischen Veranstaltung wurde – von denen Aufnahmen auch ohne die Einwilligung der Abgebildeten erlaubt sind – liegt nach Brost eher fern.
Das Treffen könnte aber aufgrund der enormen Aufmerksamkeit als zeitgeschichtliches Ereignis im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 (KUG), einzuordnen sein, so Brost. Bei Annahme eines solchen Ereignisses ist eine Einwilligung entbehrlich. Allerdings nur, wenn das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber den Persönlichkeitsrechten überwiegt. Brost möchte in der Abwägung differenzieren. "Die Abbildung der Person, die den Gruß imitiert, kann unverpixelt zulässig sein. Die Mitsingenden sind zu verpixeln. Erst recht gilt dies für die Mitfeiernden, die nicht an den Gesängen teilnehmen oder denjenigen, der der Video gefilmt hat."
Von einem zeitgeschichtlichen Ereignis geht auch Michael Fricke (CMS Hasche Sigle) aus. Im Ergebnis seien die Gesichter der Personen gleichwohl nach der Abwägung zu verpixeln, so Fricke. Er begründet dies damit, „dass die Abgebildeten nicht selbst in der Öffentlichkeit stehen, die ‚Gesänge‘ nicht vor der breiten Öffentlichkeit stattfanden und offen ist, ob und in welcher Person sie sich strafbar gemacht haben“ Zudem komme "eine identifizierende Veröffentlichung einer öffentlichen Vorverurteilung gleich", so Fricke.
"Keine aus dem Ruder gelaufene Privatparty, sondern alarmierende Zustände in unserer Gesellschaft"
Dr. Carsten Brennecke, Presserechtler bei Höcker Rechtsanwälte ist zudem davon überzeugt, dass in der BILD-Berichterstattung eine unzulässige Pranger-Wirkung zu sehen sei. "Das liegt daran, dass die Personen mit Begriffen wie 'Nazi-Schnösel' vorgeführt werden, die Veröffentlichung in der BILD derart reichweitenstark ist, sie zudem verbunden wird mit der Mitteilung des abgekürzten Namens und darüber hinaus steckbriefartig weitere Details aus dem persönlichen Leben der Personen genannt werden." Diese prangerartige Vorführung führe dazu, dass ein berechtigtes Interesse der Abgebildeten nach § 23 Abs. 2 KUG verletzt werde. Diese Art der Berichterstattung sei daher unzulässig, auch wenn ein zeitgeschichtliches Ereignis bejaht werde.
Sowohl Brennecke, als auch Dr. Roger Mann (Damm & Mann), sehen in dem medialen Umgang mit dem "Sylt-Video" eine Parallele zu einer fast zehn Jahre zurückliegenden Berichterstattung der BILD-Zeitung. Damals hatte der "Pranger der Schande" für Aufsehen gesorgt, auch LTO berichtete. Auch damals ging das Oberlandesgericht München von einem zeitgeschichtlichen Geschehen aus, die Veröffentlichung der Fotos der betroffenen Personen hielt es wegen der Prangerwirkung aber dennoch für unzulässig.
Anderer Meinung ist Dr. Marc-Oliver Srocke (Advant Beiten). Für ihn liegt das zeitgeschichtliche Ereignis darin, dass sich Menschen bei einer grundsätzlich offenen Veranstaltung und trotz der erkennbaren Anfertigung von Handyaufnahmen so sicher fühlen wie diese "grauenhafte Partygesellschaft" in Kampen, und in einem Lokal ausländerfeindliche und rassistische Parolen grölen. "Die Bilder zeigen keine leicht aus dem Ruder gelaufene Privatparty, sondern dokumentieren alarmierende Zustände in unserer Gesellschaft. Somit ist eine identifizierende Presseberichterstattung zulässig." Es sei allerdings zwischen denjenigen zu differenzieren, die erkennbar Hetzparolen brüllen oder Hitlerbärte andeuten und denjenigen, die den Originaltext des Party-Hits mitsingen. Bei letzteren sei eine Verpixelung ratsam.
Namensnennung unzulässig
Was die Namensnennung angeht, sind sich die Experten einig: Die namentliche Identifikation der abgebildeten Personen ist unzulässig. Das gilt auch für das Teilen und Weiterverbreiten der Namen, so Fricke. "Die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen gehen – jedenfalls bei Personen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen und keine herausgehobenen Funktionen bekleiden – vor." Auch Srocke rät dazu, von der Verbreitung der Klarnamen und sonstigen Denunziationen Abstand zu nehmen.
"Solange sich die Personen nicht selbst zu den Vorwürfen äußern, ist auch die Nennung der Namen wegen der Prangerwirkung bei den meisten Teilnehmern problematisch", findet auch Brost. "Wenn sie sich äußern, liegt eine sog. Selbstöffnung vor, d.h. dann dürfen die Namen in Verbindung mit den Vorwürfen genannt werden. Letzteres könnte eine Erklärung sein, warum sich die Betroffenen bisher nicht öffentlich entschuldigt haben."
Zu berücksichtigen ist laut Brennecke auch, dass die Parolen als Meinungsäußerung in diesem Fall zwar geschmacklos, nach seiner Auffassung aber nicht aber strafbar seien. Denn die Gruppe habe soweit bekannt im eigenen Kreis gefeiert und die Parolen nicht mit Zielrichtung gegenüber Dritten skandiert, diese gegenüber Ausländern aufzuwiegeln. "Umso mehr man – wie im hiesigen Fall – zu dem Ergebnis kommen muss, dass bereits eine Strafbarkeit zweifelhaft ist, umso eher sind eine Bildnisveröffentlichung und eine namentliche Identifikation unzulässig", resümiert Brennecke.
Deswegen sei aber nicht jede erkennbare Berichterstattung rechtswidrig, meint Mann: "Aufgrund ihres eigenen Handelns haben die Betroffenen es meines Erachtens hinzunehmen, wenn sie aufgrund bestimmter erkennbarer Merkmale in dem Video oder bei abgekürzter Namensnennung für ihr engeres Umfeld erkennbar werden und in diesem für ihr Verhalten kritisiert würden."
Rechtsradikale Parolen auch in High-Society
Für Medienrechtler und LTO-Chefredakteur Dr. Felix W. Zimmermann ist die Frage, ob Bilder der Mitsingenden unverpixelt gezeigt werden dürfen, gerichtlich offen. Dafür spreche, dass das Video ein zeitgeschichtliches Dokument für den Umstand sei, dass rechtsradikale Parolen nicht nur in ersichtlich rechtsradikalen Kreisen, sondern auch in der "High Society" auf Sylt salonfähig seien, ob nun ernst gemeint oder nicht. Im konkreten Kontext komme hinzu, dass es sich nicht um einen abgeschiedenen Bereich gehandelt habe, sondern um eine freie Terrasse, direkt an einer öffentlichen Straße.
Dagegen spreche die gravierende Prangerwirkung. Der verständliche Wunsch nach Konsequenzen für diese Personen sei keine rechtlich tragfähige Begründung für eine anprangernde Identifizierung in der Öffentlichkeit. Über den Missstand an sich hätte auch verpixelt berichtet werden können. Dem widerspricht wiederum Dr. Marc-Oliver Srocke. Ob es für eine Berichterstattung über dieses Ereignis zwingend erforderlich war, ungepixelte Bilder zu zeigen, sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs presserechtlich irrelevant.
Ob die Abgebildeten presserechtlich gegen Social-Media-Veröffentlichungen oder Medien, die unverpixelt berichteten, vorgehen, ist bislang nicht bekannt. Nach LTO-Informationen gibt es aber bereits Mandatierungen.
Müssen die Personen auf dem "Sylt-Video" verpixelt werden?: . In: Legal Tribune Online, 27.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54635 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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