Die Demokraten ringen mit den Republikanern um die Wahl der Richterin Ketanji Brown Jackson als erste schwarze Frau an das höchste Gericht der USA. Ein harter Kampf, bei dem es scheinbar nicht viel zu gewinnen gibt.
Der frühere US-Präsident Trump hatte Glück, wenn man es so nennen will. Gleich in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit zwei neue Richter an den Supreme Court schicken zu können und dann, kurz vor ihrem unrühmlichen Ende die konservative Richtermehrheit mit einer dritten Richterin zu zementieren, das war für die Republikaner so etwas wie ein Jackpot. Schließlich hat der Supreme Court in den USA eine enorm wichtige Position und gilt als noch mächtiger als das deutsche Bundesverfassungsgericht. Jede Entscheidung darüber, wer einen der neun Richterstühle einnimmt, hat weitreichende Bedeutung für das ganze Land.
Bei näherem Hinsehen war es nicht nur Glück, sondern auch ein Ergebnis partei- und justizpolitischer Taktik, dass Trump tatsächlich drei Richterstellen besetzen konnte. Die erste Nominierung, die schließlich der konservative Richter Neil Gorsuch von Trump erhielt, wäre ohne republikanische Verhinderungsmanöver eigentlich noch seinem Vorgänger Barack Obama zugefallen. Trumps zweiter Kandidat Brett Kavanaugh gelangte ans Gericht, weil ein anderer konservativer Richter, Anthony Kennedy, seinen Platz freiwillig für einen jüngeren Nachfolger räumte. Am Ende war es dann der Tod von Ruth Bader Ginsburg, der die Demokraten nicht nur ob ihres menschlichen und fachlichen Verlustes schmerzte, sondern sie auch eine liberale Stimme im bereits konservativ tendierenden Supreme Court kostete.
Nun hat der Liberale Stephen Breyer den Weg frei gemacht, wie zuvor Kennedy. Dafür hat er wohl auch seine eigenen Überzeugungen einer unpolitischen Justiz über den Haufen geworfen, vermutlich ob der in den letzten Jahren zu offenkundig politisierten Nominierungsverfahren. Das bedeutet, dass nun die Demokraten am Zug sind. Für die Partei, die angesichts des durch Trumps Nominierungen verschobenen Machtgefüges am Gericht sogar über eine Aufstockung der Sitze nachdenken, ist die Nominierung naturgemäß wichtig.
Bidens Wahl ist dabei auf die von Anfang an zu den Favoriten gehörende Ketanji Brown Jackson gefallen. Sie weist alle Merkmale auf, die typischerweise jemanden für das höchste Richteramt in den USA prädestinieren: Ivy-League-Abschluss, Mitarbeit als "law clerk" am Supreme Court (übrigens für jenen Richter Breyer, den sie nun ersetzen soll) und seit vergangenem Jahr auch eine Stelle am als Sprungbrett nach ganz oben bekannten Washingtoner Bundesberufungsgericht.
Weiblich, schwarz, großer Erfahrungsschatz
Doch die 51-jährige Mutter von zwei Kindern hat auch über den Tellerrand des typischen Elite-Lebenslaufs geschaut. So arbeitete sie als Pflichtverteidigerin und vertrat einen afghanischen Guantanamo-Häftling, später arbeitete sie für den Rechtsanwalt Kenneth Feinberg, der u. a. als Sondermeister des Entschädigungsfonds der US-Regierung für Opfer vom 11. September 2001 Bekanntheit erlangte. Zweimal gehörte sie einer sogenannten Sentencing Commission an, die in den USA Leitlinien für das Strafmaß festlegen. Sie hat somit nicht nur die nötigen Referenzen, sondern auch – gerade im strafrechtlichen Bereich – einen breiten Erfahrungsschatz, der sie zu einer wertvollen Ergänzung am Gericht machen könnte.
Doch Jackson ist mehr als nur hoch qualifiziert, auch ihre Person spielt eine Rolle, denn sie ist eine Frau und sie ist schwarz. Diese Kombination gab es in der über 200-jährigen Geschichte des Supreme Court noch nie. Ihre Nominierung wird damit auch zu einem identitätspolitischen Projekt für die Demokraten. Hier kann Präsident Biden zeigen, dass er gewillt ist, Amerika zu modernisieren. Eben deshalb hatte er bereits im Wahlkampf und noch einmal kurz nach seiner Wahl jemanden mit Browns Profil für den Supreme Court versprochen.
Ein neuer "consensus builder"?
Und doch geht es bei ihrer Nominierung allenfalls vordergründig um ihre Person. Ihr Hintergrund und Werdegang eignen sich zwar, um ein gesellschaftliches Zeichen zu setzen. Die "hard facts" aber, wie die Amerikaner sagen, werden nicht in der Öffentlichkeit entschieden, sondern in den Beratungszimmern im Supreme Court in der First Street in Washington, DC. Es geht darum, wie der Gerichtshof sich künftig in umstrittenen Rechtsfragen wie Abtreibung oder Waffenrecht positioniert. Betrachtet man die Personalie Jackson aus dieser Perspektive, so drängt sich der Eindruck auf, dass sie trotz ihrer hervorstechenden Eigenschaften nur wenig bewegen dürfte. Denn ihre Bestätigung würde zunächst nur bedeuten, eine liberale Stimme gegen eine liberale Stimme zu tauschen. Die Machtverhältnisse am Gericht können so nicht verschoben werden. Der Fakt, dass es nun dem demokratischen Präsidenten Biden zufällt, eine Nachfolgerin für Stephen Breyer zu nominieren, bedeutet zwar, einen weiteren republikanischen Kandidaten zu verhindern. Doch auch dann herrscht weiter eine 6-zu-3-Mehrheit der Konservativen am Gericht.
Hinzu kommt, dass der aktuelle Amtsinhaber Stephen Breyer jemand ist, den man in Washington gerne – mal abfällig, mal bewundernd – als "consensus builder" bezeichnet: einer, der nicht nur seine Sichtweise überzeugend zu vertreten weiß, sondern auch mal einen Wackler der anderen Seite mit ins Boot holen kann. Im Laufe seiner Zeit am Gericht war er oft derjenige, der aus dem liberalen Lager die Hand nach rechts reichte. Und manchmal wurde sie auch ergriffen. Das bedeutet zwar nicht, dass konservative Richter regelmäßig ihre Überzeugungen geändert hätten, in engen Abstimmungen kann jemand wie Breyer aber eventuell einen Unterschied machen.
Kann Jackson nun in diese Fußstapfen treten? Oder wird sie womöglich gar Teil einer tieferen Spaltung des Gerichts, gewissermaßen als Abbild der amerikanischen Gesellschaft? Der republikanische Abgeordnete Lindsey Graham unkte nach ihrer Nominierung bereits, die "radikale Linke" innerhalb der Demokraten habe dem Präsidenten wieder einmal ihren Willen aufgezwungen. Dabei gilt Jackson parteiübergreifend als hervorragende Juristin, die vor allem handwerklich sehr genau und pragmatisch arbeitet. So äußern sich etwa einige von den Bush-Präsidenten ernannte Richter öffentlich in höchsten Tönen über Jackson, Polizeiorganisationen unterstützen ihre Nominierung und auch ehemalige Weggefährten am Supreme Court, die für konservative Richter arbeiteten, finden nur anerkennende Worte. Aus diesem Grund bezeichnete auch Präsident Biden sie bei ihrer Nominierung als "proven consensus builder". Und sogar Graham stimmte noch im vergangenen Jahr, zusammen mit zwei Parteikollegen, für ihre Nominierung an das Bundesberufungsgericht.
Und was sagt Jackson selbst? Bei ihrer Anhörung für ihren derzeitigen Job am Bundesberufungsgericht betonte sie im vergangenen Jahr, ihr Hintergrund könne wertvoll für das Gericht sein, gleichwohl werde ihre Ethnie keine Rolle bei der Ausübung ihres Jobs spielen. Dies betonte sie nun erneut im Justizausschuss. Sie finde sie es unangemessen, so Jackson, ihren persönlichen Hintergrund bei der Bearbeitung eines Falls einfließen zu lassen. Das bedeutet aber nicht, dass die Richterin nicht in ihrer jüngeren Karriere einige bedeutende Entscheidungen zum Nachteil der Republikaner getroffen hätte. So wies sie im vergangenen Dezember mit zwei Kollegen Trumps Gesuch ab, mit dem er die Herausgabe von Aufzeichnungen des Weißen Hauses zu den Geschehnissen rund um den Aufstand am Washingtoner Kapitol am 6. Januar 2021 an den zuständigen Untersuchungsausschuss blockieren wollte. Sie entschied auch, dass Donald McGahn, ehemaliger Rechtsberater von Präsident Trump, einer Vorladung eines Ausschusses im Kongress Folge leisten müsse, der Trumps mögliche Behinderung des Sonderermittlers Robert Mueller untersuchte. Diese Entscheidungen sind aber wohl weniger Ergebnis einer parteipolitischen Haltung Jacksons als der absurden Geschehnisse in Trumps Amtszeit.
Kritik an Jackson: Kulturkampf und ein Kinderpornographie-Fall
Die Republikaner werden dennoch nicht müde, sie als Teil einer identitätsfixierten postmodernen Linken zu brandmarken, die den Sinn für die wichtigen Dinge verloren hat. So versuchten sie auch, Jackson in den Anhörungen des Justizausschusses in einen Kulturkampf zu verwickeln, mit dem sie offenkundig nichts zu tun haben will. "Können Sie eine Definition für das Wort 'Frau' liefern?" fragte etwa Marsha Blackburn, republikanische Senatorin aus Tennessee. "Nein" antwortete Jackson und lieferte damit wohl in etwa die Antwort, die man im bereits antizipativ aufgebrachten konservativen Lager befürchtet oder auch erhofft hatte. Der republikanische Senator Ted Cruz aus Texas fragte die Richterin gar, ob sie der Aussage zustimme, dass Babys rassistisch seien – eine irreführende Anspielung auf ein Kinderbuch, welches sich mit dem Zusammenhang von Erziehung und Rassismus auseinandersetzt. Dafür, dass Jackson Babys für rassistisch halten könne, gibt es keinen Beleg.
Es gibt allerdings einen Fall, den Republikaner ihr nun vorhalten – den von Wesley Hawkins. 2013 kam der damals 19-Jährige vor Gericht, weil er mit pornographischen Bildern von minderjährigen Jungen auf seinem Laptop und seinem Handy erwischt worden war. Zudem hatte er auf YouTube fünf Videos von Minderjährigen bei sexuellen Handlungen veröffentlicht – nichts davon hatte er selbst aufgenommen. Richterin in seinem Fall war Ketanji Brown Jackson. Das strenge US-amerikanische Sexualstrafrecht und die Richtlinien der Sentencing Commission sahen für einen solchen Fall einen regelmäßigen Strafrahmen von acht bis zehn Jahren Freiheitsstrafe vor, die Staatsanwaltschaft forderte jedoch nur zwei, der Verteidiger bloß einen Tag mit anschließender Überwachung über fünf Jahre. Jackson schickte den jungen Mann für drei Monate ins Gefängnis sowie weitere drei Monate in Hausarrest und ordnete eine sechsjährige anschließende Überwachung an, die auch die Möglichkeit von Durchsuchungen seiner Wohnung und seines Computers vorsah. Hintergrund ihrer Entscheidung war nach eigener Aussage unter anderem, dass die auf den gefundenen Bildern gezeigten Minderjährigen nicht viel jünger waren als Hawkins zum Tatzeitpunkt selbst war. 2019 dann verfügte Jackson, dass Hawkins für die letzten sechs Monate seiner Überwachungsdauer in eine Übergangseinrichtung einziehen müsse. Der Grund der Anordnung ist nicht öffentlich, Jackson selbst erklärte auf Nachfrage, sich nicht daran erinnern zu können. Abgeordnete der republikanischen Partei vermuten nun, dass Hawkins rückfällig geworden sei und werfen Jackson ein zu lasches Umgehen mit dem Sexualstraftäter vor. Ein Bericht der Washington Post legt gleichwohl nahe, dass es zu keiner neuen Straftat kam.
Es ist ohnehin unwahrscheinlich, dass Jacksons Nominierung am Ende von diesem Fall abhängen wird. Sie hängt nicht einmal von den Stimmen der Republikaner ab, denn die Demokraten haben jedenfalls bis zu den Zwischenwahlen eine hauchdünne Mehrheit im Senat, der letztlich die Entscheidung trifft. Diese knappe Mehrheit führt aber auch dazu, dass in diesen Tagen praktisch keine Entscheidung von vornherein sicher ist. Einige tendenziell konservative Abgeordnete der Demokraten sind ein steter Risikofaktor für Bidens Vorhaben. Doch die Personalie Jackson ist, trotz der bemühten republikanischen Attacken, vergleichsweise wenig kontrovers, sodass ihre Bestätigung zumindest als wahrscheinlich gilt. Die Demokraten hoffen, Jacksons Nominierung bereits im April bestätigen zu können. Ob sie, sollte dies gelingen, tatsächlich ein neuer „consensus builder“ sein kann, wird sich wohl erst im Laufe der Zeit zeigen. Ihre Amtszeit wäre dann nicht nur ein Zeichen der Modernisierung Amerikas, sondern auch ein wenig Hoffnung darauf, dass sich die höchste Instanz seiner Rechtsprechung einen Rest Unabhängigkeit bewahren kann.
Kandidatin für den US Supreme Court: . In: Legal Tribune Online, 31.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47996 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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