Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Sterbehilfe: So wollen Abge­ord­nete das Urteil des BVerfG umsetzen

von Pia Lorenz

29.01.2021

Das BVerfG hat entschieden, dass zum Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben auch eine menschenwürdige Umsetzung gehört. Zwei Gesetzentwürfe wollen das nun regeln und Ärzten Rechtssicherheit geben, um nach ihrem Gewissen zu entscheiden.

Fast ein Jahr lang ist nichts geschehen, seitdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe (§ 217 StGB a.F.) für nichtig erklärte und dabei klarstellte, dass aus dem Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben auch das Recht erwächst, den Sterbewunsch auf eine menschenwürdige Art, auf Wunsch mit Hilfe einer Ärztin oder eines Arztes, umzusetzen. Und Deutschlands höchstes Gericht ging noch weiter: Das Recht auf Selbsttötung darf nicht von einer unheilbaren Krankheit abhängig gemacht werden. 

Die Umsetzung dieser Selbstbestimmung bis zum Schluss dürfe nicht durch ein strafrechtliches Verbot verhindert werden, so die Karlsruher Richter. Der Einsatz des Strafrechts finde dort seine Grenze, wo die freie Entscheidung des Einzelnen, selbstbestimmt mit Hilfe eines Dritten zu sterben, nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht werde, weil der Dritte mit einem strafrechtlichen Verbot belegt werde. Seitdem dürfen Sterbehilfeorganisationen wieder in Deutschland tätig sein, während die Berufsordnungen der meisten Bundesländer es Ärztinnen und Ärzten weiterhin untersagen, Hilfe zum Suizid zu leisten. 

Nun aber haben am Freitagmorgen Abgeordnete unterschiedlicher Parteien gleich zwei Entwürfe vorgelegt, um das Recht der Sterbehilfe neu zu regeln. Die Gesetzentwürfe wollen das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben in eine reale Umsetzung bringen, medizinischem Personal Rechtssicherheit geben und gleichzeitig Suizidprävention leisten und die Kommerzialisierung von Sterbehilfe verhindern. Die Abgeordneten wollen zudem gesetzlich festschreiben, was ohnehin evident ist: Dass keine Ärztin und kein Arzt, aber auch kein anderer Mensch künftig verpflichtet sein wird, Suizidhilfe zu leisten.

Wer sterben wollen darf

Beide Entwürfe gehen davon aus, dass Grundlage eines selbstbestimmten Sterbewunschs ein autonom gebildeter, freier Willen ist. Der Entwurf der Grünen-Abgeordneten definiert Sterbewillige als volljährige Menschen, die eine vom freien Willen getragene feste Entscheidung getroffen haben, ihrem Leben ein Ende zu setzen, und definiert die Freiheit des Willens, eine der komplexesten Fragen im Kontext der Sterbehilfe, positiv und negativ. 

Der Vorschlag von Abgeordneten von FDP, SPD und Der Linken setzt voraus, dass Minderjährige in der Regel Bedeutung und Tragweite einer Suizidentscheidung noch nicht hinreichend erfassen könnten. Auch nach dem Entwurf der Grünen- Abgeordneten sollen Minderjährige in der Regel die Volljährigkeit abwarten müssen. Weil aber Situationen großen Leids und von Schmerzen denkbar seien, räumt der Grünen-Entwurf die Möglichkeit ein, ausnahmsweise durch ein Gutachten die Einsichtsfähigkeit des Kindes untersuchen zu lassen, sofern die Sorgeberechtigten einverstanden sind. 

Ebenso wie auch der interfraktionelle Entwurf geht der Entwurf der Grünen-Abgeordneten davon aus, dass Hilfe zum Sterben neben ärztlichem Personal, Angehörigen und anderen Nahestehenden des Sterbewilligen auch sog. Sterbehilfeorganisationen leisten können, und macht Vorgaben zu den Voraussetzungen, die diese zu erfüllen hätten, damit aus der Hilfeleistung zum Sterben kein kommerzialisiertes Geschäft wird. Der Grünen-Entwurf enthält dabei u.a. die Formulierung, dass es das Ziel der Anbieter sein müsse, den Betroffenen "selbstlos" zu helfen. Der Vorschlag normiert zudem eine Strafbarkeit unlauterer Werbung für solche Organisationen. 

Beide Entwürfe machen auch Vorschläge zu dem Prozess, der die Freiheit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Sterbewunschs sicherstellen soll. Sie wollen Beratung, Belehrung und Information regeln, um sicherzustellen, dass die Sterbewilligen eine informierte Entscheidung treffen in Kenntnis von Alternativen, aber auch Konsequenzen und Tragweite ihres Handelns erkennen. Es werden Wartezeiten zwischen Beratung und Verschreibung des tödlich wirkenden Medikaments eingebaut, Abfragen und Checks nicht nur durch die behandelnden Mediziner:innen, sondern die Begutachtung durch einen weiteren, unabhängigen Mediziner sichergestellt. 

Wie man sterben darf: Zugang zu tödlich wirkenden Substanzen sicherstellen

Beide Entwürfe wollen den Zugang zu einem selbstbestimmten Sterben vor allem über den Zugang zu einem tödlich wirkenden Arzneimittelwie Natrium-Pentobarbital schaffen, in beiden Entwürfen ist die Verschreibung durch Ärztinnen und Ärzte vorgesehen. 

Der Entwurf eines "Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben" von Abgeordneten der Grünen um die Juristinnen Renate Künast und Katja Keul allerdings unterscheidet zwischen Menschen, die aufgrund einer Krankheit – die nicht notwendig einen tödlichen Verlauf nehmen muss - sterben wollen und solchen, die aus anderen Motiven nicht mehr leben möchten.

Für kranke Patientinnen und Patienten soll der behandelnde Arzt tödlich wirkende Medikamente wie Natrium-Pentobarbital verschreiben können, wenn er von der Freiheit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Entschlusses überzeugt ist. Die Verschreibung muss er der zuständigen Landesbehörde anzeigen. 

Über die Anträge nicht Schwerstkranker soll dagegen nach dem Entwurf der Grünen-Abgeordneten eine Landesbehörde entscheiden. Auch sie müssen sich, dieses Mal von einer Beratungsstelle, beraten lassen, Wartezeiten einhalten und ihren Entschluss erklären. Und schließlich muss eine Behörde davon überzeugt sein, dass sie selbstbestimmt und endgültig sterben wollen. 

Der interfraktionelle Entwurf von Katrin Helling-Plahr und Otto Frick (FDP), Dr. Karl Lauterbach, Swen Schulz (SPD) und Dr. Petra Sitte (Die Linke) sieht hingegen unabhängig von der Motivation für den Sterbewunsch stets eine Verschreibung durch Ärztinnen und Ärzte vor. Diese müssen sich jedoch bestätigen lassen, dass die Sterbewilligen zuvor eine umfassende Beratung in einer entsprechenden Stelle erhalten haben. 

Was nicht drinsteht: kein ärztliches Berufsrecht, kein Strafrecht

Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass eine solche Beratung, ja der gesamte vorgesehene Prozess in beiden Entwürfen, nur für den Fall obligatorisch ist, dass die Sterbewilligen die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments wünschen. Vorgaben für andere Arten der Hilfe zum Sterben machen die Entwürfe nicht. 

Das führt zu einem wesentlichen Punkt: dem, was die Entwürfe nicht regeln. Beide Vorschläge beschränken sich im Wesentlichen darauf, die Hilfe zur Selbsttötung explizit für straffrei zu erklären, einen Prozess zur Absicherung der Verschreibung eines tödlichen Medikaments (erst) nach Feststellung eines frei gebildeten, ernsthaften und dauerhaften Sterbewillens aufzusetzen und klarzustellen, dass auch künftig keine Ärztin und kein Arzt verpflichtet sein wird, entgegen der eigenen Überzeugung Sterbehilfe zu leisten. 

Auch das ärztliche Berufsrecht, das in den Entwürfen allenfalls am Rande angesprochen wird, verbietet es den Ärzt:innen in den meisten Bundesländern allerdings derzeit, Hilfe zum Suizid zu leisten. Es ist Ländersache; wie man mit den zwangsläufigen Auswirkungen der beiden vorgelegten Gesetzentwürfe, die auf Bundesebene regeln wollen, umgehen könnte, scheint ungeklärt. 

Ebenfalls keine Regelungen treffen beide Entwürfe zum Strafrecht. Der Entwurf der Grünen-Abgeordneten bezeichnet das Strafrecht ausdrücklich als ungeeignet, der interfraktionelle verhält sich dazu kaum. Indem die Entwürfe nur Beihilfehandlungen zum Suizid regeln, ändern sie nichts an dem sonst Geltenden. 

Vielleicht ein Anfang? 

Das bedeutet, dass auch künftig die Ärztinnen und Ärzte nicht die Tatherrschaft haben dürfen über den todbringenden Akt. Den letzten, entscheidenden Schritt muss der Sterbewillige weiter selbst machen. So tasten die Vorschläge die Tötung auf Verlangen (§ 216 Strafgesetzbuch) nicht an, die weiterhin strafbar bleibt, auch Ideen zu einer Neuregelung von Behandlungsverzicht und -begrenzung sowie zum Umgang mit der indirekten Sterbehilfe sucht man vergebens. Natürlich ist das nicht zwingend. Doch es wäre naheliegend, Gesetzentwürfe, die auch Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte im Umgang mit Sterbewilligen schaffen wollen, das komplexe und stellenweise inkonsistente System des strafrechtlichen Umgangs mit der Sterbehilfe insgesamt auf den Prüfstand zu stellen.  

Doch was man juristisch bedauern mag, ist politisch womöglich ein kluger Schachzug. Beide Entwürfe zur Sterbehilfe sind um Konsensfähigkeit bemüht. Solche niederschwellig angesetzten Gruppenanträge könnten die einzige Möglichkeit sein, um überhaupt den ersten Schritt auf einem Weg zu machen, den eine Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestagswohl gar nicht gehen möchte.

An den am Freitag vorgelegten Entwürfen ist kein Abgeordneter von CDU und CSU beteiligt. Das Bundesgesundheitsministerium, das trotz eines entgegenstehenden Urteils des Bundesverwaltungsgerichts seit Jahren verhindert, dass tödliche Medikamente an Sterbewillige herausgegeben werden, teilte auf Nachfrage mit, es liege noch keine Positionierung der Bundesregierung zum Ob und Wie einer möglichen Neuregelung der Suizidhilfe vor. Und: "Die starke Lebensschutzorientierung des Grundgesetzes stellt ein gewichtiges Argument für die Position dar, dass es grundsätzlich nicht Aufgabe des Staates sein kann, die Tötung eines Menschen - sei es von eigener oder von fremder Hand - durch staatliche Handlungen aktiv zu unterstützen."

Gegenüber diesem Ist-Zustand wären parlamentarische Debatten über die vorgelegten Entwürfe schon ein großer Schritt.  

Zitiervorschlag

Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Sterbehilfe: . In: Legal Tribune Online, 29.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44138 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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