Acht Juraprofessoren haben Ideen für ein Sterbehilfegesetz. Sie wollen Vorgaben für einen sicheren Zugang zu tödlichem Gift und ein System zur Suizidprävention schaffen. Doch sie wollen noch viel mehr: das Recht am Ende des Lebens neu regeln.
Nun geht es Schlag auf Schlag. Nachdem am vergangenen Freitag Bundestagsabgeordnete gleich zwei Entwürfe zur Neuregelung der Sterbehilfe vorgelegt haben, erschien am Montag ein Vorschlag für ein "Sterbehilfegesetz", verfasst von Juristinnen und Juristen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg(MLU), der Ludwig-Maximilians-Universität München* und der Universität Augsburg.
Diese Neuregelung sei nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe aus dem Jahr 2020 nötig geworden, heißt es in einer Mitteilung der Juristinnen und Juristen rund um den Medizinrechtler Prof. Dr. Hennning Rosenau von der MLU* vom Montag.
Das sehen indes nicht alle so. Das zuständige Bundesministerium für Gesundheit teilte erst Ende vergangener Woche gegenüber LTO mit, es liege "noch keine Positionierung der Bundesregierung zum Ob und Wie einer möglichen Neuregelung der Suizidhilfe vor". Diese Haltung ist symptomatisch für den Riss, der sich im Umgang mit dem gesellschaftlich, ethisch und religiös umstrittenen Thema Sterbehilfe durch die Gesellschaft zieht.
Dabei hat das BVerfG in seinem Urteil, mit dem es das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in § 217 Strafgesetzbuch (StGB) kippte, dem Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben auch klar den Anspruch darauf zugeordnet, mit Hilfe Dritter sterben zu dürfen. Gleichzeitig haben die Karlsruher Richterinnen und Richter klargestellt, dass der Gesetzgeber bei Neuregelungen einen erheblichen Spielraum habe.
Die Zielsetzung der nun vorgelegten Vorschläge der Juristinnen und Juristen ist den Gesetzentwürfen von Abgeordneten der Grünen bzw. von SPD, FDP und Der Linken sehr ähnlich, auch einige der vorgeschlagenen Mittel ähneln sich. Doch der "Augsburg-Münchner-Hallesche-Entwurf" (AMHE-SterbehilfeG), der als Gesetzentwurf formuliert ist, geht viel weiter als die Ideen aus der Politik. Dr. Catarina Dorneck, Prof. Dr. Ulrich M. Gassner, Prof. Dr. Jens Kersten, Prof. Dr. Josef Franz Lindner, Kim Philip Linoh, Henning Lorenz, Prof. Dr. Henning Rosenau und Prof. Dr. Birgit Schmidt am Busch wollen das gesamte System der Sterbehilfe neu regeln.
Recht auf ein tödliches Medikament - auch ohne Arzt oder den Staat
Das Gesetz zur Gewährleistung selbstbestimmten Sterbens und zur Suizidprävention will Menschen, die sich dazu freiverantwortlich und dauerhaft entschlossen haben, in die Lage versetzen, selbstbestimmt und auf Wunsch mit Hilfe Dritter zu sterben. Dritte können nach dem Entwurf auch Sterbehilfevereinigungen sein, für deren Zulassung und Kontrolle die Verfasser:innen konkrete Vorgaben machen. Auf der anderen Seite wollen die Juristen und Juristinnen umfassend den Staat in die Pflicht nehmen, um Suizide zu verhindern. Ihr Vorschlag sieht vor, dass ein Netz von Beratungsangeboten etabliert werden muss, die bundesweit 24 Stunden am Tag erreichbar sind.
Wie auch die Bundestagsabgeordneten wollen die Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler es Ärzten erlauben, Sterbewilligen tödlich wirkende Medikamente wie Natrium-Pentobarbital zu verschreiben. Das Betäubungsmittel führt mit großer Sicherheit zu einem vergleichsweise sanften Tod. Doch derzeit bekommen es selbst schwer kranke Sterbewillige nicht verschrieben, wenn sie nicht zufällig eine Medizinerin finden, die ihnen hilft: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gibt auf Anweisung des Bundesgesundheitsministeriums keine tödlichen Medikamente heraus, obwohl es dazu schon im Jahr 2017 rechtskräftig vom Bundesverwaltungsgericht verurteilt wurde.
Schon an dieser Stelle geht der Entwurf aus den Jura-Fakultäten weiter als die Vorschläge aus der Politik: Neben medizinischem Personal soll auch eine unabhängige Kommission das Medikament verschreiben dürfen. Dadurch werde, wie es in der Entwurfsbegründung heißt, der Zugang zu einem selbstbestimmten Tod "unabhängig von der Verschreibungsbereitschaft der Ärzte gewährleistet, ohne dass Betroffene auf die Erlaubniserteilung des BfArM angewiesen sind".
Diese interdisziplinär besetzte Kommission, bestehend aus zwei unbeteiligten Ärzt:innen, einem Volljuristen, einer Psychotherapeutin und einem Laien, ist eines der prozeduralen Herzstücke des Entwurfs. Sie ist die letzte Instanz, die darüber entscheiden soll, ob ein Mensch, dem eine Beratungsstelle und eine Ärztin oder ein Arzt das bereits bestätigt haben, tatsächlich aufgrund freiverantwortlichen, dauerhaften Entschlusses sterben will und damit das Recht auf ärztliche Hilfe zum Sterben hat. Die Kommission müsse, fordern die Jurist:innen, von Behörden und ärztlichen Institutionen vollkommen unabhängig sein.
Rechtssicherheit: Nur dem eigenen Gewissen verpflichtet
Außerdem wollen die Rechtwissenschaftler:innen mit ihrem Entwurf allen Personen, religiösen Vereinigungen und staatlichen Behörden Rechtssicherheit im Kontext von Rechtsfragen am Ende des Lebens bieten. Wie auch die Abgeordneten nehmen die Jurist:innen daher ausdrücklich auf, was eigentlich selbstverständlich ist, aber von vielen Ärztinnen und Ärzten anders befürchtet wird: Im Kontext des Suizids ist jede und jeder nur dem eigenen Gewissen verpflichtet.
Die Mitwirkung an einem Suizid ist daher freiwillig, ebenso hat jeder Arzt und jede Ärztin das Recht, nicht an einem Suizid mitzuwirken. Die Vorschrift soll auch für Privatpersonen gelten und im Gesundheitswesen das arbeitsrechtliche Weisungsrecht ausschließen. Niemand darf nach dem Entwurf benachteiligt werden, weil er an einem Suizid mitgewirkt hat - aber auch nicht, weil er nicht daran mitgewirkt hat. Diese Klarstellung würde, wer Sterbehilfe per se ablehnt, wohl kaum für erforderlich halten. Es ist eine der Stellen, an denen der Paradigmenwechsel deutlich wird, den das BVerfG eingeläutet hat und der sich wie ein roter Faden durch den Entwurf der Juristen und Juristinnen zieht.
"Unser Regelungsvorschlag beschränkt sich nicht auf die geschäftsmäßige Suizidförderung, er ist also nicht als ein schlichtes Reparaturgesetz für den nichtig erklärten Paragraphen 217 StGB zu verstehen", so Henning Rosenau. Auf der Grundlage der Freiverantwortlichkeit der individuellen Entscheidung zum Sterben machen die Rechtwissenschaftler:innen Vorschläge, die über Prozedurales und den Zugang zu einem tödlichen Medikament weit hinausgehen.
Ausnahmen vom Verbot der aktiven Sterbehilfe
Während die Gesetzentwürfe aus der Politik sich auf die Fälle beschränken, in denen medizinisches Personal den Suizid des Sterbewilligen nur unterstützend begleitet (assistierter Suizid), schlagen die Jurist:innen auf fast 100 Seiten auch Regelungen vor zum Behandlungsverzicht, zur Behandlungsbegrenzung und zum Behandlungsabbruch, zum Suizid selbst sowie zur indirekten und aktiven Sterbehilfe. Die Fallgruppen, die sich in Teilen überlappen, deuten an, wie komplex, dem Wandel durch Rechtsprechung unterworfen und in Teilen inkonsistent die derzeitige, teilweise nicht kodifizierte Rechtslage rund um das Sterben ist.
Das wollen die Juristen und Juristinnen ändern. Sie wollen die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen nach § 216 aus dem StGB streichen und in wenigen Ausnahmefällen Ärztinnen und Ärzten die aktive Sterbehilfe erlauben, die Möglichkeit also, dass sie es sind, die die letzte Handlung vornehmen, die zum Tode des Sterbewilligen führt. Die aktive Sterbehilfe soll die ultima ratio, auf Fälle schwersten Leidens beschränkt und nur straflos sein, wenn es für Menschen keinen anderen Ausweg gibt und sie ihr Leben nicht eigenhändig beenden können, zum Beispiel, weil sie am sog. Locked-In-Syndrom leiden.
Die praktische Auswirkung dieser Änderung dürfte überschaubar sein. Ihre theoretische Grundlage aber ist zwar nach dem Urteil des BVerfG eigentlich selbstverständlich, nach bisherigem deutschem Strafrechtsverständnis jedoch revolutionär: Ein strafbewehrtes Verbot der direkten aktiven Sterbehilfe, der aktiven Tötung eines anderen Menschen aufgrund dessen Verlangens also, wäre nach dem Urteil des BVerfG begründungsbedürftig - und der Lebensschutz als solcher ist keine Begründung.
Auch bei Behandlungsabbruch und Suizid: Im Zweifel für das Leben
Das Papier kodifiziert auch den Anspruch darauf, medizinische Behandlungen nicht oder nicht mehr zu wollen, auch wenn das den eigenen Tod bedeutet. An diesen Wunsch ist das behandelnde medizinische Personal zwingend gebunden, es soll die einzige Ausnahme von dem Grundsatz sein, dass jeder nur seinem eigenen Gewissen verpflichtet ist.
Die Vorschrift trifft detaillierte Regelungen dazu, unter welchen Voraussetzungen eine Patientenverfügung im Voraus den erforderlichen freien Willen wiedergeben kann und wann es auf den mutmaßlichen Willen ankommt. Und stellt klar: Wenn nur eine Hypothese vorliegt, gilt der Grundsatz "im Zweifel für das Leben".
Dieser Grundsatz prägt auch die vorgeschlagene Regelung zum Suizid und seinen Rechtsfolgen: Eine erkennbar auf einer freien Willensentscheidung basierende Selbsttötung darf ein Dritter nicht verhindern, auch nicht, wenn die oder der Sterbewillige bereits das Bewusstsein und damit die Herrschaft über das Geschehen verloren hat. Bei Zweifeln an dem freien Entschluss aber gilt auch hier in dubio pro vita.
Schließlich machen die Rechtswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen auch Vorschläge zur Regelung der indirekten Sterbehilfe, die als Rechtfertigungsgrund für jeden ausgestaltet ist, der einen früheren Tod in Kauf nimmt, um Schmerzen zu lindern, wenn der Patient dazu seine Einwilligung (auch im Voraus, zum Beispiel durch eine Patientenverfügung) gegeben hat. Das kann auch gelten, wenn klar ist, dass dadurch der Tod früher – egal, wie viel früher - eintritt. Die Lebensverkürzung darf dabei nur nicht Hauptmotiv der gewählten Behandlung sein. In der Begründung für diese Kodifizierung anerkannter Grundsätze findet sich ein wichtiger Satz: „Palliativmedizin und indirekte Sterbehilfe stehen in einem Ergänzungs-, nicht in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander.
Minderjährige: Nur mit den Eltern, nur bei schwerer Krankheit
Es ist einer der zahlreichen Sätze, die geeignet sein könnten, viele Menschen für die Vorschläge der Rechtwissenschaftler:innen einzunehmen, obwohl diese einen Paradigmenwechsel bedeuten. Henning Rosenau sagte zur Vorstellung des Vorschlags abschließend: "Der Entwurf soll nicht nur einen Beitrag zur rechtswissenschaftlichen, sondern auch zur gesellschaftlichen Diskussion um die Stärkung von Selbstbestimmung am Lebensende und Suizidprävention leisten."
Auch die vorgeschlagenen Regelungen für Minderjährige dürften konsensfähig sein. Ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben schränkt der Entwurf, anknüpfend an das Kriterium der Einwilligungsfähigkeit, weitgehend ein. Allein sollen sie demnach gar keine Entscheidung für einen Freitod treffen können.
Auch gemeinsam mit den Sorgeberechtigten sollen Kinder und Jugendliche allenfalls in den Verzicht, den Abbruch oder die Begrenzung medizinischer Behandlungen einwilligen können. Minderjährige könnten demnach überhaupt nur, wenn sie schwer krank sind, und nur zusammen mit ihren Eltern den Tod wählen. Den nach dem Urteil des BVerfG vielzitierten "Selbstmord aus Liebeskummer" im Teenager-Alter hingegen müsste auch künftig niemand unterstützen.
Das Gesetz zur Gewährleistung selbstbestimmten Sterbens und zur Suizidprävention, Augsburg-Münchner-Hallescher-Entwurf (AMHE-SterbehilfeG) ist erschienen im Mohr Siebeck Verlag.
*Anm. d. Red.: Henning Rosenau ist Lehrstuhlinhaber in Halle, nicht in München. Durch einen Tippfehler in der Abkürzung hatte sich ein Fehler eingeschlichen. Korrigiert am 03.02.2021, 11:54 Uhr (pl)
Juristen legen Vorschlag für Sterbehilfegesetz vor: . In: Legal Tribune Online, 02.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44164 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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