65.000 Euro, verschlüsselte Nachrichten und ein "Coach": Hat ein Staatsanwalt aus Hannover in einem der größten Kokain-Fälle Europas Informationen verraten? Nach seiner Festnahme werden nun neue Details bekannt und neue Fragen tauchen auf.
Über Jahre beschäftigte die Justiz in Niedersachsen der bis dahin größte Kokainschmuggelfall Europas. Es ging unter anderem um einen Fund von 16 Tonnen Kokain im Jahr 2021 im Hamburger Hafen, versteckt in einer Containerladung Blechkanistern, Marktwert zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro. Hinter dem Riesengeschäft soll eine etwa zwanzigköpfige Gruppe aus Hannover gestanden haben, getarnt über eine Speditionsfirma und mit Verbindungen zur berüchtigten niederländischen Kokain-Mafia. Ein Fall einer neuen Größenordnung für Deutschland – und sogar Europa.
Die Ermittlungen geführt hat ein 39-jähriger Staatsanwalt aus Hannover. Und gegen ihn besteht der Verdacht, die Kokain-Gruppe gegen Geld mit Informationen versorgt zu haben. Möglicherweise hat er sogar dafür gesorgt, dass Köpfe der Gruppe sich kurz vor einer bundesweiten Razzia 2022 noch rechtzeitig ins Ausland absetzen konnten. Von den rund 30 Haftbefehlen konnten nur 19 vollstreckt werden. Vor dem Landgericht Hannover wurde ihnen der Prozess gemacht. Mit dabei – in der Rolle des Anklägers – war der 39-jährige.
Die Suche nach dem "Maulwurf" in der Justiz
Den Ermittlern kam die teils unerfolgreiche Razzia damals verdächtig vor. Es sah ganz danach aus, als hätte man die Gruppe gewarnt. Als gäbe es eine "undichte Stelle". Und so begann die Suche nach einem "Maulwurf" bei Polizei und Staatsanwaltschaft. Denn auch in Chat-Nachrichten der Kokain-Bande war die Rede von einem "korrupten" Staatsanwalt, der Informationen lieferte. Parallel lief das Verfahren gegen die Kokain-Bande und der Staatsanwalt arbeitete weiter mit, trat vor Gericht auf, als es zum Prozess kam.
Die Hinweise verdichteten sich auf ihn, der seit 2017 in Hannover im Dienst war. Ab Ende 2022 soll der Verdacht gegen den Staatsanwalt auch dem Justizministerium bekannt gewesen sein. Die Sache nahm weiter Fahrt auf. Seine Wohnung wurde durchsucht, die Auswertung von beschlagnahmten Datenträgern erhärtete den Verdacht allerdings nicht. Und so wurde das Verfahren gegen ihn Ende 2023 wieder eingestellt. Ein Verfahren gegen Unbekannt wurde weitergeführt, die Suche nach dem "Maulwurf" war ja noch ohne Erfolg geblieben. Wer war der Mann, den die Kriminellen in ihren verschlüsselten Sky-ECC-Chats "Coach" nannten? Bei dem sie sich fragten, ob er verlässlich liefern würde oder selbst pokerte? Dort heißt es etwa: "Ein statssanwalt den die kenne hat gesagt…". Offenbar blieb für die Ermittler auch nach Auswertung der zum Teil sehr konkreten Chatnachrichten weiter unklar, was an dem Verdacht dran ist.
Bis dann im Juni 2024 neue Hinweise aus entschlüsselten Chat-Verläufen auftauchten, die die Ermittler dazu brachten, das Verfahren gegen den Staatsanwalt wieder aufzunehmen. Plötzlich stand der Mann unter dringendem Tatverdacht. Am 29. Oktober wurde der Staatsanwalt, sein Name ist der Redaktion bekannt, festgenommen. Ihm wird Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall, sowie Geheimnisverrat und Strafvereitelung vorgeworfen. Gegen ihn soll die Staatsanwaltschaft Hannover einen Vermögensarrest in Höhe von 65.000 Euro angeordnet haben, wie die BILD-Zeitung berichtet. Die Ermittler vermuten, er habe diesen Betrag als Gegenleistung von der Kokain-Bande erhalten.
Warum durfte der Staatsanwalt den Kokainkomplex weiterbearbeiten?
Der Fall wirft auch Fragen nach dem Umgang der niedersächsischen Justiz mit dem Fall auf. Sollte sich der Verdacht weiter bestätigen, wäre das ein Skandal. Und warum durfte der Staatsanwalt weiter den Komplex der Kokain-Bande bearbeiten, die er mutmaßlich mit internen Informationen versorgt hatte? Hätte man ihn nicht von dem Fall abziehen müssen? Das Justizministerium Niedersachsens verteidigte sich am Donnerstag in einer Unterrichtung für den Rechtsausschuss damit, dass der Verdacht sich eben zwischenzeitlich nicht weiter erhärtet hätte. Und als im Sommer 2024 neue Erkenntnisse aufgetaucht seien, hätten Ermittlungsinteressen dagegengesprochen. Man wollte ihn also wohl nicht noch einmal aufschrecken. Der Haftbefehl gegen ihn wurde mit Fluchtgefahr begründet.
Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) war am Donnerstag nicht selbst im Ausschuss erschienen, stattdessen leitende Beamte ihres Ministeriums. Die erklärten, es sei außerdem nicht ungewöhnlich, dass Angeklagte oder Verteidiger Staatsanwälte beschuldigen, um deren Integrität in Zweifel zu ziehen. Der Staatsanwalt habe akribisch gearbeitet und in dem Kokain-Komplex schließlich auch hohe Strafen gefordert. Und offenbar wollte man das Verfahren "geordnet" zu Ende bringen. Mittlerweile sind die zentralen Urteile gegen die Bandenmitglieder rechtskräftig. Eine Wiederaufnahme nach §§ 359 ff. Strafprozessordnung dürfte nicht drohen.
Die Abwägung der Justiz kann die parlamentarische Geschäftsführerin der CDU und Mitglied des Rechtsausschusses, Carina Hermann, nicht nachvollziehen. "Der beschuldigte Staatsanwalt konnte drei Jahre lang diesen Kokain-Vorfall weiterbearbeiten, bei dem er selbst mit drinhängen soll", sagt die Juristin zu LTO. "Das hätte sich die Justiz so nicht erlauben dürfen."
Und warum durfte die Staatsanwaltschaft Hannover gegen den eigenen Kollegen ermitteln?
Auch den Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Hannover gegen den eigenen Kollegen ermittelte und der Fall nicht an eine andere Staatsanwaltschaft abgegeben wurde, hält das Justizministerium für "vertretbar".
Zunächst ist auch für Ermittlungen gegen Kollegen die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft nach der Strafprozessordnung (§§ 7 ff. StPO, § 143 Gerichtsverfassungsgesetz) zu bestimmen, das wäre eben Hannover. Alles andere ist eine Abwägung und Entscheidung durch die Justizverwaltung. Die Staatsanwältin, die gegen den Staatsanwalt ermittelte, sei schon tief in der komplexen Materie eingearbeitet gewesen. Drohende Loyalitätskonflikte, wenn gegen Kollegen ermittelt wird? Die Behörde in Hannover sei so groß, da sei die Gefahr eine andere als bei einem kleinen Haus.
Unabhängig davon, für wie überzeugend man diese Abwägung hält, wird die Aufklärung noch weiter andauern. Schließlich könnte auch das Verfahren gegen den Staatsanwalt noch weitere Fragen beantworten, wie es zu diesem mutmaßlich gravierenden Störfall im Justizsystem kommen konnte.
Geheime Infos an Kokain-Mafia verraten: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55823 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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