Das neue Recht der Sicherungsverwahrung: Geregelt bis ins Detail, aber ohne Rechtsgrundlage?

von Kay Nehm

03.06.2013

Bis ins Detail geregelt, aber ohne Rechtsgrundlage?

Deshalb hätte es nach den Grundsätzen der Bestimmtheit freiheitsentziehender Maßnahmen und des Gesetzesvorbehalts auch hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit und der Qualität der zugrunde liegenden Entscheidungen eindeutiger gesetzlicher Regelungen bedurft. Dass der Gesetzgeber sich darauf beschränkt hat, in den Übergangsbestimmungen zur Behandlung von Altfällen die Voraussetzungen zu wiederholen, die das Verfassungsgericht für die übergangsweise Fortgeltung des alten Rechts genannt hat, reicht als Rechtsgrundlage zur Anordnung der Maßregel nicht aus.

Somit droht die Gefahr, dass die Maßregel künftig mangels gesetzlicher Regelung gar nicht mehr angeordnet werden kann. Dies wäre eine unverhoffte Genugtuung für diejenigen, die das Institut der Sicherungsverwahrung generell ablehnen, weil die einschlägigen Gefährlichkeitsprognosen empirisch belegt zu einem großen Teil fehlerhaft seien.

Kommentatoren und Richter bis hinauf zum BVerfG werden erneut kreativ werden müssen, wenn verhindert werden soll, dass zwar die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung bis ins Einzelne geregelt ist, ihrer Anordnung jedoch die Rechtsgrundlage abhanden gekommen ist.

Die Wirklichkeit richtet sich nicht nach der Konvention

Man darf auch bezweifeln, ob sich die hohen Erwartungen an einen Therapievollzug erfüllen werden. Wo soll das qualifizierte Personal herkommen, wer entwickelt die Konzepte, wer überwacht die Validität?

Auch ist der Optimismus zu bewundern, anzunehmen, verurteilte, hoch gefährliche Rechtsbrecher könnten im Zusammenwirken von Vollzugsbeamten, Medizinern und Sozialtherapeuten "geheilt" werden. Offensichtlich hatte man im Blick auf Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Klientel vor Augen, deren hochgradige Gefährlichkeit auf eine behandel- und heilbare "psychische Störung" zurückzuführen ist.

Ungeachtet der Frage, ob sich der in der deutschen Fassung verwendete Begriff der "psychischen Störung" mit dem "persons of unsound mind" des verbindlichen englischen Konventionstextes deckt, richtet sich die Wirklichkeit bedauerlicherweise selten nach den Anforderungen der Konvention.

Tatsächlich handelt es sich beim überwiegenden Teil der Betroffenen um Wiederholungstäter mit antisozialen Persönlichkeitsstörungen von fraglichem Krankheitswert, die aufgrund mangelnden Leidensdrucks wenig Behandlungsbereitschaft zeigen.

Vom großen Wurf weit entfernt

Erwartet der Gesetzgeber, dass die Gutachter die Ungereimtheiten des Gesetzes ausbügeln, indem sie der Diagnose der Gefährlichkeit Vorrang vor der Feststellung eines psychiatrisch relevanten Sachverhalts einräumen? Oder soll erkennbare Gefährlichkeit ohne Nachweis psychischer Störungen bewusst ausgeblendet werden? Dann bliebe zu entscheiden, wie mit den glücklicherweise nur selten anzutreffenden erschütternden Lebensläufen umzugehen sein wird, die in den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zur nachträglichen Sicherungsverwahrung so drastisch beschrieben sind?

Dass, wie im Bundestag zu hören war, mit der Neuregelung der Sicherungsverwahrung der Glanz in die Rechtspolitik zurückgekehrt sei, darf man nach alledem bezweifeln. Wie lange die neue Neuregelung Bestand haben wird, dürfte im Wesentlichen davon abhängen, inwieweit es der Praxis gelingt, das Gesetzeswerk mit rechtsstaatlichem Atem zu beleben und die Sicherungsverwahrung auch zahlenmäßig auf das vor 1998 gängige  Maß zurückzuführen. Je weniger Untergebrachte, umso mehr Behandlungsvollzug und umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass die latente Gefahr fehlerhaft positiver Begutachtungen auf ein unvermeidbares Minimum zurückgeführt wird.

Der notorische und verhängnisvolle Hang der Rechtspolitik, an der Sicherungsverwahrung herumzubasteln, befördert den Wunsch nach einem gesetzgeberischen Moratorium. Vielleicht besteht ja noch Hoffnung, dass unter Einbeziehung einschlägiger wissenschaftlicher Erkenntnisse und aufgrund von Erfahrungen mit dem neuen Recht der vom Bundesverfassungsgericht erwartete große Wurf doch noch gelingen wird.

Der Autor Kay Nehm ist Generalbundesanwalt a.D. sowie ehemaliger Richter des Bundesgerichtshofs.

Zitiervorschlag

Das neue Recht der Sicherungsverwahrung: . In: Legal Tribune Online, 03.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8814 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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