BVerfG verhandelte über AfD-Klage: Auf die Home­page kommt es an

von Dr. Christian Rath

11.02.2020

Hat sich der Innenminister neutral verhalten? Die AfD hat gute Chancen gegen Horst Seehofer (CSU) zu gewinnen. Das zeichnete sich nach der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht ab. Christian Rath war in Karlsruhe dabei.

Im September 2018 gab Innenminister Horst Seehofer zwei Journalistinnen der Nachrichtenagentur dpa ein Interview. Dabei ging es hauptsächlich um den Zustand der großen Koalition. Doch Seehofer nahm auch klar Stellung zur AfD: "Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie tausend Mal sagen, sie sind Demokraten. Das haben Sie am Dienstag im Bundestag miterleben können mit dem Frontalangriff auf den Bundespräsidenten. Das ist für unseren Staat hochgefährlich. Das muss man scharf verurteilen. Ich kann mich nicht im Bundestag hinstellen und wie auf dem Jahrmarkt den Bundespräsidenten abkanzeln. Das ist staatszersetzend."

Anlass für Seehofers Wutausbruch war die Haushaltsdebatte im Bundestag kurz zuvor. Dabei hatte die AfD den Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier (SPD) kritisiert, weil dieser für eine "linksradikale Großveranstaltung" geworben habe. Gemeint war ein Antifa-Konzert in Chemnitz aus Protest gegen dortige rechte Aufmärsche. Die AfD wollte deshalb in den Haushaltsberatungen des Bundestags über den Haushalt des Bundespräsidenten separat diskutieren. Das lehnten die anderen Fraktionen jedoch ab.

Das Interview mit Seehofer wurde von dpa drei Tage später veröffentlicht. Die Pressestelle des Innenministeriums stellte das Interview anschließend, neben vielen anderen Seehofer-Interviews, auf die Homepage des Ministeriums.

Organklage der AfD

Nach Ansicht der AfD hat Seehofer hierbei seine parteipolitische Neutralität verletzt. Sie erhob Organklage beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Bereits mehrfach hatten die Karlsruher Richter klargestellt, dass sich Regierungsmitglieder in amtlicher Eigenschaft neutral verhalten müssen. Nur als Parteipolitiker dürften sich Minister entsprechend äußern.

In der mündlichen Verhandlung ging es deshalb fast ausschließlich um die Frage, ob das Interview auf die Homepage des Ministeriums gestellt werden durfte. Nach der bisherigen Karlsruher Rechtsprechung (Urt. v. 16. 12. 2014, Az. 2 BvE 2/14 - Manuela Schwesig, Rz 57; Urt. v. 27. 02.2018, 2Az. BvE 1/16 - Johanna Wanka, Rz 66) ist die Neutralität verletzt, wenn Minister bei parteipolitischen Äußerungen auf ihre Amtsautorität Bezug nehmen (z.B. durch die Verwendung des hoheitlichen Bundesadlers) oder staatliche Ressourcen nutzen (etwa die Homepage ihres Ministeriums).

AfD-Anwalt warnt vor späterem AfD-Innenminister

Für die AfD warnte ihr Anwalt Ulrich Vosgerau vor einer Aufweichung dieser Maßstäbe, gerade mit Blick auf künftige Wahlerfolge der AfD.

"Auch die AfD wird früher oder später den Bundesinnenminister stellen, vielleicht schon in fünf Jahren. Und ein Innenminister Brandner oder ein Innenminister Curio könnten dann noch kreativer mit der Homepage des Innenministeriums umgehen." An einer Aufweichung der Neutralitätspflicht könne also niemand ein Interesse haben.

Vosgerau wertete es als "gewisses Schuldeingeständnis", dass das Ministerium das Interview sofort von der Homepage entfernte, nachdem die AfD in Karlsruhe einen Antrag auf einstweilige Anordnung stellte (der dann auch abgelehnt wurde).

Dass das Interview die Neutralität verletze, zeige schon die Nähe zu den damals bevorstehenden Landtagswahlen in Bayern (vier Wochen später) und Hessen (sechs Wochen später). Für Vosgerau war dies ein Erst-Recht-Argument, denn nach der Karlsruher Rechtsprechung gelte die Neutralitätspflicht unabhängig von Wahlen.

Vosgerau äußerte sogar den Verdacht, dass es sich bei dem dpa-Interview um ministerielle Öffentlichkeitsarbeit handelte. "Das war kein kritischer Journalismus, sondern eine Ansammlung von Gefälligkeitsfragen und Stichworten für den Minister", so der Anwalt, "vielleicht sind die Journalistinnen sogar vom Ministerium dafür bezahlt worden." Immerhin habe kein einziges Medium das Interview veröffentlicht, "es stand nur auf der Homepage des Ministeriums".

Ministerium will Antwort nicht schwärzen

Auf Regierungsseite betonte Innen-Staatssekretär Günter Krings (CDU), die Journalisten seien natürlich nicht vom Ministerium bezahlt worden. Die Nachrichtenagentur dpa sei klar als Urheberin des Textes gekennzeichnet worden. "Es ging hier eben nicht um eine Pressemitteilung des Ministeriums", so Krings.

Schwerpunkt des Interviews sei die Regierungspolitik gewesen. Wenn Seehofer dann aber nach der AfD gefragt werde, müsse und wolle er auch antworten. "Diese eine Antwort können wir dann auf der Homepage nicht schwärzen, nur weil es hier um Parteipolitik geht", so Frings, "sonst gäbe es ja auch wieder Verschwörungstheorien."

Mit Landtagswahlen habe das alles nichts zu tun. Hier sei Minister Seehofer als Bundesminister ohnehin nicht zur Neutralität verpflichtet. "Er stand in Bayern nicht zur Wahl", so Krings.
Die Bürger wollten Politiker auch als Person mit Emotionen kennenlernen, betonte der Staatssekretär. Deshalb versuche das Innenministerium Horst Seehofer auf der Homepage ganzheitlich darzustellen. Ein Interview mit politischen Äußerungen gehöre dazu.

Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz, der Seehofer in Karlsruhe vertrat, versicherte, dass das Ministerium die Maßstäbe des Verfassungsgerichts akzeptiere. Er forderte aber zugleich eine Geringfügigkeitsschwelle bei der Neutralitätspflicht. Anforderungen an Politiker müssten lebensnah sein. Auch Staatssekretär Krings hatte betont, dass es hier nicht um teure Werbekampagnen gehe, sondern um ein Interview auf einer Homepage, die ohnehin bezahlt werde.

Krings warnte ebenfalls davor, die Neutralitäts-Anforderungen an Regierungspolitiker zu streng zu sehen. Die Regierungsparteien würden vor allem über die Minister wahrgenommen. Würden diese über Neutralitätspflichten "mundtot" gemacht, wäre das auch ein Problem der Chancengleichheit, allerdings in gegenläufiger Richtung.

Vorteil AfD

Verfassungsrichter Peter Müller, der das Urteil als Berichterstatter vorbereitet, deutete an, dass die AfD den Prozess wohl gewinnen wird. "Wenn auf der Homepage des Innenministeriums ein Interview des Innenministers verbreitet wird, dann wird hier ein Weg genutzt, der den politischen Wettbewerbern nicht zur Verfügung steht", sagte er.

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle legte nahe, dass Seehofer ein Interview mit parteipolitischen Äußerungen ja auch auf der Homepage der CSU hätte veröffentlichen können.

Der Inhalt des Interviews wurde in Karlsruhe kaum diskutiert. Rechtsprofessor Gärditz argumentierte zwar, dass es auch zu den Amtspflichten eines Ministers gehöre, sich vor den Bundespräsidenten und die demokratische Ordnung zu stellen, wenn diese angegriffen werden. Dieser Ansatz wurde im Rechtsgespräch aber nicht aufgegriffen.

Kein Verzicht auf mündliche Verhandlung

Einleitend hatte Richter Voßkuhle erklärt, der Fall sei in "seiner rechtlichen Dimension überschaubar". Das Gericht müsse bei zulässigen und nicht offensichtlich unbegründeten Organstreitverfahren aber mündlich verhandeln, "wenn nicht alle Beteiligten auf die mündliche Verhandlung verzichten."

AfD-Anwalt Vosgerau sagte nach der Verhandlung. "Wir hätten auf die mündliche Verhandlung verzichtet, aber die Gegenseite wollte verhandeln." Für das Ministerium widersprach Rechtsvertrter Gärditz: "Uns hat gar niemand gefragt."

Nach ständiger Praxis am Bundesverfassungsgericht fragen die Richter die Verfahrensbeteiligten nicht, ob sie auf eine Verhandlung verzichten, auch um ihnen nichts in den Mund zu legen. Sie warten vielmehr auf den Eingang entsprechender Verzichtserklärungen, die hier von beiden Seiten ausblieben.

Das Urteil wird in einigen Wochen oder Monaten verkündet.

Zitiervorschlag

BVerfG verhandelte über AfD-Klage: . In: Legal Tribune Online, 11.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40241 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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