2/2: "Deutsches Strafrecht ist anwendbar"
LTO: Aber kreuz.net ist doch in deutscher Sprache verfasst und befasst sich mit Themen aus dem deutschsprachigen Raum.
Hilgendorf: Die Volksverhetzung ist aber nach herrschender Meinung kein Erfolgsdelikt, es gibt also keinen tatbestandsmäßigen Erfolg in Deutschland. Im Fall Töben hat der Bundesgerichtshof allerdings – gegen die überwiegende Meinung in der Literatur - entschieden, dass ein Rechtsradikaler, der in Australien ansässig war und von dort aus in englischer Sprache per Internet und damit in Deutschland abrufbar den Holocaust leugnete und sich äußerst aggressiv über Juden geäußert hatte, nach deutschem Strafrecht verurteilt werden durfte. Und das, obwohl solche rechtsextremistischen Äußerungen in Australien nicht rechtswidrig sind.
Umso mehr muss das natürlich gelten, wenn eine Seite sich wie kreuz.net in deutscher Sprache an den deutschsprachigen Raum richtet und mit Dirk Bach einen deutschen Staatsangehörigen attackiert. Deutsches Strafrecht ist in diesen Fällen anwendbar.
Die Strafvollstreckung ist ein anderes Problem, aber es gibt ja inzwischen eine Menge internationaler Abkommen, die es erlauben, auch im Ausland tätig zu werden.
Starker Providerschutz: "Das Netz soll frei von Zensur und Kontrolle bleiben"
LTO: Aber auch im Ausland können ja weder Ermittlungsbehörden noch Provider auf strafrechtlicher Grundlage überhaupt tätig werden, wenn sie nicht wissen, wer die eigentlichen Macher der Seite sind, wen sie also bestrafen sollten. Ein präventives "Abschalten" der Seite unabhängig davon, wer hinter den Inhalten steckt, wäre aber nicht möglich?
Hilgendorf: Das ist sowohl technisch als auch juristisch ein Problem. Technisch gesehen ist es sicherlich möglich, den Server zu identifizieren und zurückzuverfolgen, um dann die Zugänge abzuklemmen.
Rechtlich ist das schon schwieriger, weil eben das Netz frei von Zensur und Kontrolle bleiben soll. Die Provider sind deshalb in Deutschland stark geschützt und müssen zum Beispiel nicht prüfen, ob Inhalte rechtswidrig sind, bis sie darauf hingewiesen werden, dass auf ihren Servern oder über ihre Leitungen rechtswidrige Inhalte zur Verfügung gestellt werden.
Man müsste jedenfalls versuchen, die für diese Inhalte Verantwortlichen genauer zu identifizieren – und dabei muss man wiederum zwischen den Betreibern der Seite und den Autoren unterscheiden. Außerdem muss differenziert werden zwischen den Host-Providern, welche die kriminellen Inhalte abspeichern – und sich offenbar im Fall von kreuz.net im Ausland befinden – und den Service-Providern, die Nutzern in Deutschland den Zugang zu den Inhalten eröffnen.
Man darf wohl aufgrund der Inhalte davon ausgehen, dass die Verfasser der Beiträge Deutsche oder vielleicht Österreicher sind, denn zahlreiche Inhalte von kreuz.net haben österreichischen Bezug und werden auch aus Österreich viel kommentiert. In diesem Fall ist es sicherlich kaum ein Problem, die Verantwortlichen zu identifizieren.
"Man muss zwischen Strafbarkeit und Strafvollstreckung unterscheiden"
LTO: Auch wenn die Beteiligten zwar möglicherweise im deutschsprachigen Raum sitzen, die Server, auf denen die Inhalte gehostet werden, aber anderswo auf der Welt stehen? Das ist doch hier das eigentliche Problem.
Hilgendorf: Man muss zwischen der Strafbarkeit als solcher und der Möglichkeit einer Strafvollstreckung unterscheiden. Wenn die Urheber identifiziert sind, kann man mit den Mitteln des Strafrechts gegen sie vorgehen. Dass die Server, auf denen die Äußerungen gespeichert sind, im Ausland liegen, ist dabei unerheblich, sofern deutsches Strafrecht nur anwendbar ist.
Und die Polizei ist sehr erfahren, was die Identifikation der Betreiber solcher Seiten angeht. Viele Ermittlungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung, die Varianten reichen von Befragungen potenzieller Zeugen bis hin zu Fahndungsmöglichkeiten im Netz.
"Ein Kopfgeld ist rechtlich nicht problematisch"
LTO: Offensichtlich will jedenfalls der Bruno Gmünder-Verlag allein auf die Arbeit der Ermittlungsbehörden nicht vertrauen. Der von Schwulen betriebene Verlag, der sich auch mit seinen Produkten vorrangig an Homosexuelle richtet, hat 15.000 Euro in Aussicht gestellt, wenn die Betreiber von kreuz.net ausfindig gemacht und der Staatsanwaltschaft übergeben werden. Halten Sie ein solches "Kopfgeld" für rechtlich problematisch?
Hilgendorf: Ein Kopfgeld ist immer ein wenig heikel, allerdings weniger rechtlich als vielmehr rechtspolitisch. Das staatliche Gewaltmonopol kann in Gefahr geraten und man fühlt sich ein wenig an Zustände im wilden Westen erinnert. Der Schritt vom Kopfgeld hin zur eigenen Gewaltanwendung ist nicht so groß.
Andererseits handelt es sich hier um massive Persönlichkeitsrechtverletzungen und es nicht unplausibel, dass durch ein solches Kopfgeld Zeugenaussagen gewonnen werden können. Es wird möglicherweise Leute geben, die wissen, wer diese Inhalte online gestellt hat. Wenn diese die Täter dann benennen, ist das durchaus legitim. Bei den Schwierigkeiten, an die Namen zu kommen, halte ich das alles in allem für eine angemessene Reaktion – zumal es ja nur um eine Belohnung für Informationen geht und diese dann an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden, welche das Nötige in die Wege leiten werden.
Informierte kirchliche Mitarbeiter: "Eine Beihilfe durch Unterlassen könnte man schon andenken"
LTO: Der Grünen-Politiker Volker Beck hat mittlerweile die Deutsche Bischofskonferenz aufgefordert, Mitarbeiter der katholischen Kirche zu exkommunizieren und Arbeitsverhältnisse zu kündigen, falls diese bei kreuz.net involviert sind. Er bezieht sich dabei darauf, dass die Macher der Seite sich selbst als "Initiative einer internationalen privaten Gruppe von Katholiken in Europa und Übersee, die hauptberuflich im kirchlichen Dienst tätig sind" bezeichnen und mit dem Untertitel "katholische Nachrichten" arbeiten, während die katholische Kirche sich von kreuz.net distanziert. Sehen Sie Mittel und Wege einer Einflussnahme der Kirche auf kreuz.net?
Hilgendorf: Solange man nicht weiß, wer die Täter sind, läuft diese Aufforderung natürlich ein wenig ins Leere. Kreuz.net sollte auch nicht unmittelbar mit der katholischen Kirche in Verbindung gebracht werden – vielmehr wird diese ja in Teilen dort auch massiv angegriffen. Der Namen "katholisch" ist nicht geschützt, wahrscheinlich kommen die Betreiber und Autoren allerdings aus dem katholischen Milieu. Das zeigt sicherlich, dass dieses Milieu auch sehr problematische Elemente enthält. Aber man kann diese Äußerungen sicher nicht der katholischen Kirche als solcher zurechnen.
LTO: Wenn man unterstellte, dass es kirchliche Mitarbeiter gäbe, die mindestens positive Kenntnis davon hätten, wer diese rechtswidrigen Inhalte bei kreuz.net veröffentlicht: Wäre es dann Ihres Erachtens strafrechtlich relevant, wenn diese das den Ermittlungsbehörden nicht mitteilten? Gäbe es quasi eine Handlungspflicht, die bei einem entsprechenden Unterlassen zu einer Strafbarkeit führen könnte?
Hilgersdorf: Eine Beihilfe durch Unterlassen könnte man schon andenken. Voraussetzung wäre allerdings eine Garantenpflicht, die kaum vorliegen wird. Außerdem müsste der jeweilige Mitarbeiter konkret den Wunsch haben, durch sein Schweigen die Seite und ihre Inhalte zu unterstützen.
Ob bei einer solchen unterstellten Unterstützung durch Schweigen arbeitsrechtliche Konsequenzen folgen müssten oder die Kirche dann verpflichtet wäre, mit ihren eigenen kirchenrechtlichen Mitteln gegen solche Mitarbeiter vorzugehen, wäre allerdings wiederum eine völlig andere Frage.
LTO: Herr Professor Dr. Hilgendorf, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtstheorie an der Universität Würzburg und Dekan der dortigen Juristischen Fakultät. Einer seiner Forschungsschwerpunkte liegt im Medien-, insbesondere Computer- und Internetstrafrecht. Er kommentiert auch die Religionsdelikte im Strafrechtskommentar von Satzger, Schmitt und Widmaier (2009).
Das Interview führte Pia Lorenz.
Eric Hilgendorf, Schwulen-Hetze nach dem Tod von Dirk Bach: . In: Legal Tribune Online, 17.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7326 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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