Die juristische Figur des "Kinds als Schaden" ist, trotz mancher moralischer Bedenken, inzwischen weitgehend anerkannt. Vom "schwarzen Kind als Schaden" hätte man jedoch noch nicht gehört – bis jetzt. Wegen der Hautfarbe ihrer Tochter verklagt eine Amerikanerin die Samenbank, von der sie die Spermien des dunkelhäutigen Vaters bezogen hatte, auf Schmerzensgeld.
Jennifer Cramblett weiß nur zu genau, wie es ist, einer Minderheit anzugehören. Zusammen mit ihrer Lebenspartnerin Amanda Zinkon lebt die Amerikanerin in der kleinen, ländlichen und nicht eben für ihre progressive Geisteshaltung bekannten Stadt Uniontown im amerikanischen Bundesstaat Ohio. Doch Cramblett mag zwar eine Lesbe sein, aber sie ist immerhin: eine weiße Lesbe.
Das kann man von ihrer zweijährigen Tochter Payton nicht behaupten. Deren Haut hat die helldunkle Tönung, die typisch ist für Kinder eines schwarzen und eines weißen Elternteils. Und deshalb verklagt Cramblett nun die Samenbank, von der sie im September 2011 sechs Phiolen mit den Spermien von Paytons Vater bezog.
Höchstwahrscheinlich wird sie Erfolg haben. Denn allem Anschein nach ist dem Institut beim Versand ein gravierender Irrtum unterlaufen: Statt der Spermien von Spender Nr. 380 wurden irrtümlich jene von Spender Nr. 330 versandt. Dies, so behauptet die Klageschrift, deshalb, weil die Spendernummer bloß handschriftlich notiert werde; der Sachbearbeiter habe die beiden Zahlen dann ganz einfach verwechselt. Sollte das stimmen, liegt die Haftung auf der Hand: Cramblett hatte sich in einem langen Verfahren mit dem Hintergrund diverser Kandidaten auseinander gesetzt und sich letztlich für Nr. 380 entschieden. Erhält sie das Erbgut eines völlig anderen Spenders, liegt darin offensichtlich eine Pflichtverletzung.
Klage trägt Züge einer Realsatire
Crambletts wäre wohl auch nur eine der vielen Gruselgeschichten über vertauschte Phiolen in der Reproduktionsmedizin, wenn, ja, wenn nicht die fälschlich versandten Spermien von einem schwarzen Spender stammen würden, und Cramblett genau diese Tatsache in den Mittelpunkt ihrer Klage rücken würde.
Das ist an politischer Inkorrektheit natürlich kaum zu übertreffen, und so beteuert die Klage zunächst noch der guten Form halber, dass es sich bei Payton um ein schönes Kind handele, welches die Klägerin und ihre Lebensgefährtin sehr lieben würden. Aber – ach, wie sagen wir's am besten? – Payton ist nun einmal schwarz. Oder braun. Jedenfalls nicht weiß. Und deshalb wird ihre Mutter täglich verfolgt von "Ängsten, Sorgen und Unsicherheiten über die gemeinsame Zukunft". Schließlich lebten in ihrer Gemeinschaft sonst nur Weiße, und mehrere Mitglieder ihrer Familie seien – wir paraphrasieren hier – doch gestandene Rassisten!
Man muss bisweilen das Schmunzeln unterdrücken, wenn etwa erklärt wird, Cramblett habe bis zu ihrem Eintritt in die Universität keinerlei Kontakt zu Schwarzen gehabt. Als handelte es sich dabei um ein exotisches Urwaldvolk und nicht um eine Personengruppe, der gute 14 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung, inklusive ihres Präsidenten, angehören. Auch die Schilderung der alltäglichen Schwierigkeiten, denen sich die Klägerin ausgesetzt sieht, trägt Züge einer Realsatire. Offensichtlich ist es etwa notwendig, einen Friseur in einer schwarzen Nachbarschaft aufzusuchen, weil die Uniontowner Friseure sich dem widerspenstigen Haarwuchs der kleinen Payton nicht gewachsen sehen.
… und trifft zugleich eine unerträgliche Realität
Zugleich entsprechen die Sorgen, die Cramblett etwa im Hinblick auf eine spätere Einschulung ihrer Tochter in der konservativen Wohngegend und die dort zu erwartende Diskriminierung hat, durchaus noch immer der bedauernswerten Realität. So skandalös der Gedanke einerseits wirkt, so wenig ist er doch von der Hand zu weisen: Das Leben ist, gerade in einigen ländlichen Regionen des Landes, mit einem weißen Kind tatsächlich leichter als mit einem nicht-weißen.
Der Fall, über den zunächst der Chicago Tribune berichtete, hat inzwischen eine nationale Debatte über Diskriminierung losgetreten. Ob sich das Gericht den Erwägungen der Klägerin anschließen wird, ist offen. Ausgeschlossen scheint es jedenfalls nicht – damit wäre das schwarze Kind als Schaden auch im Rechtssinne real.
Constantin Baron van Lijnden, Die politisch inkorrekteste Klage der Welt: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13437 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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