2/2 Klammern am Strohhalm
Viele Juristen in Schottland sehen das eigene Rechtssystem und die Gerichtsbarkeit durchaus als gut aufgestellt. Das mag auch ein Grund dafür sein, weshalb die Kampagne zur Unabhängigkeit von juristischer Seite verschiedentlich Unterstützung bekommt. Unter dem Label "Lawyers for Yes" haben sich beispielsweise Anwälte zusammengeschlossen, die auch Social Media-Angebote wie Twitter und LinkedIn für ihr Anliegen nutzen.
Die Unabhängigkeit, so die Hoffnung, soll vor allem dem lokalen Rechtsmarkt einen Schub bringen. Er ist weitestgehend regional ausgerichtet. Der eigentliche Kuchen wird im fernen London verteilt. Für den Norden bleiben allenfalls ein paar Krümel. Das soll sich durch die Unabhängigkeit und eine stärkere internationale Ausrichtung ändern: Neben dem grenzüberschreitender Handel im Allgemeinen setzt man vor allem auf Mandanten aus der für die Wirtschaft so wichtigen Öl- und Gasindustrie oder auch auf die Schiedsgerichtsbarkeit.
Andere sehen das Ganze etwas nüchterner. Zwar könnte eine Unabhängigkeit schon im Hinblick auf die Anpassung unzähliger Verträge kurzfristig durchaus viel juristisches Know-how erfordern. Auf der anderen Seite befürchtet man, dass aus der politischen Entwicklung ein Bumerang wird, wenn etwa Investitionen und damit auch die Nachfrage an juristischer Kompetenz ausbleiben. Nicht unbegründet scheint zudem die Sorge, schottische Unternehmen könnten nach England abwandern. Große Finanzdienstleister wie etwa die Royal Bank of Scotland, die während der Finanzkrise maßgeblich von England aus gestützt wurde, haben bereits entsprechende Überlegungen angekündigt.
Der Rechtsmarkt in Großbritannien ist aktuell ohnehin nicht eben rosig. Die britische Rolls Royce-Justiz trägt ihren Namen nicht ohne Grund. Sie ist sicher gut aber ohne das nötige Kleingeld auch nicht eben ein Schnäppchen. Zudem haben manche Kanzleien jüngste Einschnitte der Regierung im Bereich "Legal Aid" deutlich zu spüren bekommen. Insgesamt scheint die Nachfrage an Rechtsdienstleistungen eingeschränkt. Die großen Wirtschaftskanzleien sehen sich zudem einem ziemlichen Kostendruck ausgesetzt.
Viele offene Fragen
Wie auch immer das Referendum ausfallen wird, noch ist nicht aller Tage Abend. Sollten sich die Befürworter durchsetzen, wird Schottland keineswegs über Nacht unabhängig. Beide Regierungen haben sich verpflichtet, auch weiterhin konstruktiv zusammenzuarbeiten und zwar im besten Interesse der Bevölkerung in Schottland und dem Rest des Vereinigten Königreichs.
Schließlich wären eine Reihe von ganz grundlegenden Fragen zu klären, die juristischen Sachverstand erfordern. Wie soll eine Loslösung verfassungsrechtlich überhaupt aussehen? Und was gilt europarechtlich, wenn sich ein Landesteil von einem Mitgliedstaat der EU lossagt? In den europäischen Verträgen ist ein solcher Schritt, der bisher einmalig wäre, nicht vorgesehen. Sollte sich Schottland entschließen, ein eigenständiges Mitglied zu werden, wäre das wohl kurzfristig kaum möglich. Und wie steht es schließlich völkerrechtlich im Hinblick auf eine etwaige Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen?
Noch ist der Ausgang des Referendums völlig ungewiss. Beinahe täglich liegen Abspaltungsbefürworter- und -gegner abwechselnd vorne. Sollte man sich in Schottland für die Unabhängigkeit entscheiden, dann würden wohl noch im Herbst Verhandlungen über die künftigen politischen Beziehungen aufgenommen. Vor 2016, manche sagen auch 2017, würden aber sicher keine Fakten geschaffen. Das lässt vielleicht auch etwas Zeit zum Durchatmen. Immerhin feiert nächstes Jahr die wichtigste Quelle des englischen Verfassungsrechts ihren 800sten Geburtstag: Die Magna Charta von 1215.
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek, LL.M. lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.
André Niedostadek, Referendum in Schottland: . In: Legal Tribune Online, 16.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13197 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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