2/2: das "letzte Wort" des Vorsitzenden
Nach der eigentlichen Urteilsbegründung gab der Vorsitzende Richter der Kammer, Norbert Riedmann, eine "allgemeine Erklärung" ab, die aufgrund des großen Interesses der Öffentlichkeit - vorhersehbar - ein erhebliches Medienecho fand. Der Richter erklärte, er habe es in 27 Jahren nicht erlebt, dass Verteidiger die professionelle Distanz zu ihrer Mandantin dermaßen verloren hätten wie in diesem Fall:
Möglicherweise sei ein Artikel im Spiegel von der Verteidigung lanciert worden, was das Magazin aber noch am gleichen Tag dementierte. Jedenfalls habe man Gerüchte gehört, dass seitens der Verteidigung versucht worden sei, massiv auf andere Presseorgane einzuwirken. Der Vorsitzende sagte in Bezug auf die Verteidiger: "Aus unserer Sicht bestehen genug hinreichende Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht für Straftaten". Er sprach wörtlich von einem "Skandal" und bezog sich dabei insbesondere auf Gespräche über den Abschluss eines letztlich in dieser Form nicht zustande gekommenen Vergleichs zwischen Angeklagter und Geschädigtem, in dem neben verhältnismäßig hohen Schmerzensgeldzahlungen auch ein Passus zur Diskussion gestanden hatte, wonach der Geschädigte trotz angeblich fehlender Erinnerung zugestehen sollte, möglicherweise die Angeklagte angegriffen zu haben.
Riedmann erwähnte gegenüber der versammelten Medienlandschaft nicht, dass ein entsprechender Vergleich nach der Rechtsprechung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 09.05.2000, Az. 1 StR 106/00) grundsätzlich zulässig ist und sein Abschluss für einen sorgfältig arbeitenden Verteidiger unter bestimmten Umständen sogar geboten sein kann. Einer der Verteidiger, der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate, teilte nach Anfrage bei der Staatsanwaltschaft mit, gegen ihn werde nicht ermittelt. Offenbar sieht die Staatsanwaltschaft also bislang keinen Anfangsverdacht für Straftaten.
Wie man als Verteidiger reagieren kann
Die Ausfälle des Vorsitzenden sind leider kein Einzelfall. Gerade in Verfahren, die wie dieses höchst streitig geführt werden, scheint das "letzte Wort" des Vorsitzenden bei einigen Gerichten immer wieder entweder zur Selbstvergewisserung nach einer vielleicht doch nicht ganz zweifelsfreien Verurteilung oder aber zum Nachtreten nach einem erzwungenen Freispruch missbraucht zu werden. In jedem Fall offenbart sich der auf diese Weise unprofessionell gerierende Richter als unfaire Partei des Prozesses. Er verlässt seine Stellung als neutrale Instanz in dem sicheren Wissen, dass sein Verhalten nach der - vor diesem Hintergrund zu überdenkenden - Rechtsprechung des BGH zu diesem Zeitpunkt nicht mehr revisibel ist.
Für den rechtswidrig gescholtenen Verteidiger bleibt damit nur die Frage, wie er auf solche Ausführungen unmittelbar reagieren kann. Muss er wirklich stillschweigend akzeptieren, dass das Gericht ihn persönlich attackiert und sich dabei über Recht und Gesetz stellt? Natürlich kann er sich im Nachhinein mit Dienstaufsichtsbeschwerde und Feststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht wehren, aber in dem Moment, in dem der Vorsitzenden aus seiner Rolle fällt, ist das Mittel der Wahl vielleicht auch einfach die Unterbrechung des Vorsitzenden mit den Worten: "Sie brechen das Recht, Herr Vorsitzender!"
Der Autor Dr. Philip von der Meden ist Rechtsanwalt bei der Römermann Rechtsanwälte AG in Hamburg. Er berät Unternehmen aller Größenordnungen und Privatpersonen bei strafrechtlichen Problemstellungen. Er ist Dozent für Strafrecht an verschiedenen Hochschulen.
Rechtswidrige Strafverteidigerschelte: . In: Legal Tribune Online, 24.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20365 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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