Bundesminister empören sich öffentlich über Street View. Lenken sie die Diskussion dadurch von datenschutzrechtlich deutlich bedenklicheren Projekten ab, für die der Gesetzgeber selbst verantwortlich ist? Danach fragte LTO die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und sprach mit ihr über Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren und den digitalen Personalausweis.
LTO: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie sind auf Facebook mit einer eigenen Seite präsent. Teilen Sie nicht die Bedenken Ihrer Kabinettskollegin Aigner, die im Zuge der Änderungen der AGB von Facebook in einem offenen Brief androhte, ihre Seite dort zu löschen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe bei Facebook einen Politiker-Account, auf dem nur die Daten stehen, die ich eh auf meiner Homepage im Netz präsentiere. Mit anderen Worten: Jeder kann auf meine Facebookseite, ohne Mitglied bei Facebook zu sein und sich bei Facebook angemeldet zu haben. Facebook hat in der Vergangenheit wiederholt durch seine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen datenschutzrechtliche Probleme gehabt, die zu Recht auch zu Kündigungen der Nutzer geführt haben. Ich halte aber nichts davon, als Politikerin mit einer Kündigung eines eh für jeden öffentlich einsehbaren Accounts zu drohen.
"Das Problem ist die Verknüpfung der Datenberge, nicht Street View"
LTO: Ihr Parteivorsitzender Guido Westerwelle hat angekündigt, sein Haus in Google Street View verpixeln zu lassen. Ist Street View aus Ihrer Sicht tatsächlich unser größtes bzw. überhaupt ein datenschutzrechtliches Problem?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe mein Haus bereits vor eineinhalb Jahren verpixeln lassen. Damals habe ich in meiner Heimatgemeinde Widerspruch eingelegt und auch in der Nachbarschaft für einen solchen Widerspruch geworben. Unser größtes datenschutzrechtliches Problem ist sicher nicht eine Anwendung wie Google Street View. Das größte Problem ist die mögliche Verknüpfung der Datenberge, die Geodatendienste wie Google Street View anhäufen. Gerade wenn das Geschäftsmodell darin besteht, Datenberge anzusammeln und immer neue Dienste zum Datensammeln einzuführen, sind die Sorgen begründet.
In der Debatte um Google Street View geht es darum, dass eine allgemeine Regelung im Bundesdatenschutzgesetz gefunden wird, die den Umgang mit Geodaten regelt. Von einer Lex Google, die lediglich einzelfallbezogen datenschutzrechtliche Standards für Google Street View definiert, halte ich genauso wenig wie mein Kollege Bundesinnenminister de Maizière. Ich bin aber froh, dass auf den öffentlichen Druck hin und die Initiative der Landesjustizminister das Bundeskabinett jetzt beschlossen hat, ab dem 20. September 2010 die datenschutzrechtlichen Fragen der Geodatendienste vorzuziehen, um dann danach schnellstmöglich zu einer umfassenden Reform des Bundesdatenschutzgesetzes zu kommen.
"Ich warne vor einem Schnellschuss bei der Vorratsdatenspeicherung"
LTO: Im März hat das Bundesverfassungsgericht mehrere Vorschriften des TKS und der StPO für nichtig erklärt und damit der Vorratsdatenspeicherung in der bis dahin praktizierten Form den Boden entzogen. Dennoch ist die Bundesregierung zur Umsetzung einer EU-Richtlinie verpflichtet, die von der EU allerdings derzeit wiederum überarbeitet wird. Was haben wir zu erwarten - und wie würden Sie sich eine Umsetzung wünschen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Sie sprechen das Dilemma an: Auf der einen Seite ist die Bundesregierung zur Umsetzung einer EU-Richtlinie verpflichtet, auf der anderen Seite ist die bestehende Umsetzung der EU-Richtlinie durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden. Seitdem haben die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, auf die sogenannten Verkehrsdaten zuzugreifen. In jüngster Zeit ist die Kritik aus der EU-Kommission selbst laut geworden, die bei der laufenden Evaluierung der Richtlinie auch mögliche Überarbeitungen angekündigt hat.
Ich kann nur vor einem Schnellschuss warnen solange nicht klar ist, wie auch die Europäische Kommission mit der bestehenden EU-Richtlinie umgeht. Der Spielraum, der für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht durch das Bundesverfassungsgericht aufgegeben worden ist, ist sehr eng. Und nur eingebettet in die europäische Entwicklung kann eine verfassungsrechtlich wie europarechtlich tragfähige Lösung verantwortet werden.
"Abwägungen fielen zu selten zugunsten von Bürgerrechten aus"
LTO: Die Vorratsdatenspeicherung war nicht das erste Gesetz, das von Beginn an kritisiert, jedoch letztlich erlassen, umgesetzt und schließlich erst vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt wurde, wenn wir an den Lauschangriff, die Rasterfahndung, die präventive Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchungen denken. Ignoriert Deutschland im Interesse der Sicherheit das rechtsstaatlich Zulässige, wenn es um die Umsetzung des technisch Möglichen geht?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zeigen, dass in den letzten Jahren die oft schwierige Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit viel zu selten zugunsten der Freiheit und der Bürgerrechte ausgefallen ist. Diesen Trend hat die schwarz-gelbe Koalition gestoppt – mit dem Stakkato ständiger Gesetzesverschärfungen im Bereich der inneren Sicherheit ist es endlich vorbei. Ich halte nichts davon, dass die Politik ihre rechtsstaatlichen Grenzen dadurch austestet, dass letztlich immer Karlsruhe entscheidet, was geht und was nicht. Als Politiker haben wir die Verantwortung, die durch das Grundgesetz gezogenen Grenzen des Rechtsstaats von vornherein zu achten. Nur so können wir auch das zum Teil verloren gegangene Vertrauen der Menschen in unseren Staat zurückgewinnen.
"Der digitale Personalausweis kann nicht mehr aufgehalten werden"
LTO: Hätte das Urteil des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung nicht auch Anlass gegeben, das nun am 1. November in Kraft tretende Gesetz über Personalausweise und den elektronischen Identitätsnachweis sowie zur Änderung weiterer Vorschriften noch einmal zu überdenken? Der neue Personalausweis ermöglicht es u.a., sich im Internet und an Automaten auszuweisen, die Daten werden zehn Jahre lang aufbewahrt.
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich gehe davon aus, dass mein Kollege Herr De Maizière die mahnenden Worte der Karlsruher Richter zum Datenschutz sehr genau zur Kenntnis genommen hat. Es gibt aber auch die berechtigte Sorge vor Sicherheitslücken des neuen digitalen Personalausweises. Diese Bedenken haben meine Fraktion und ich schon zu Oppositions¬zeiten immer ernst genommen. Das zuständige Bundesinnenministerium wird sich damit befassen. Ich muss Ihnen aber offen antworten, dass die bestehenden und von CDU/CSU und SPD in der letzten Legislaturperiode verabschiedeten Gesetze wohl kaum außer Kraft gesetzt und das am 1. November 2010 in Kraft tretende Gesetz aufgehalten werden kann.
"Die Steuer-ID birgt Potential für Missbrauch"
LTO: Ähnlich verhält es sich mit der Steuer-ID-Nummer. Die Humanistische Union, in deren Beirat Sie tätig sind, hat Verfassungsklage gegen die Steuer-Identifikationsnummer eingereicht. Halten Sie diese für aussichtsreich?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das eine ist die politische Problematik, was die Steuer-ID-Nummer betrifft. Auch hier sammelt der Staat Datenberge, die möglicherweise Missbrauchspotential in sich bergen, zum Beispiel indem Verknüpfungen entstehen, die heute noch keiner absehen kann. Denken Sie nur daran, wenn ein künftiger Gesetzgeber die Steuer-ID mit anderen Daten verknüpft als es vorgesehen ist. Die Verfassungsklage gegen die Steuer-Identifikationsummer wird eine Entscheidung herbeiführen.
LTO: Die FDP hat im Bundestag nach dessen Verabschiedung durch das EU-Parlament das SWIFT-Abkommen gebilligt. Fand die letztlich verabschiedete Fassung Ihre Zustimmung?
Leutheusser-Schnarrenberger: Bei SWIFT standen wir vor einem doppelten Problem: Einmal verhandelte die alte Bundesregierung das SWIFT-Abkommen, das ich als neu ins Amt gekommene Justizministerin im Bund vorfand. Zum anderen war ich innerhalb der Bundesregierung nicht federführend. Da der Dissens zwischen dem Justiz- und dem Innenressort nicht aufgelöst werden konnte, enthielt sich die Bundesregierung bei der ersten Abstimmung über SWIFT. Im Endergebnis bedeutete die damalige Enthaltung – angesichts der Mehrheitsverhältnisse –, dass das SWIFT-Abkommen in Kraft treten konnte. Jetzt, nachdem der neue Vertrag in Kraft getreten ist, braucht es dazu eine qualifizierte Mehrheit. Dass das Europäische Parlament dem SWIFT-Abkommen im zweiten Anlauf zustimmen konnte, zeigt, dass den datenschutzrechtlichen Bedenken doch in gewissem Umfang Rechnung getragen werden konnte.
"Netzsperren können zum Gegenteil dessen führen, was alle wollen"
LTO: Das Zugangserschwerungsgesetz, mit dem u.a. gegen kinderpornografische Inhalte im Netz vorgegangen werden sollte, ist in Kraft getreten, wurde jedoch nicht umgesetzt. Der Zeitraum von einem Jahr, währen dessen die Koalition "Löschen statt sperren" testen wollte, ist jetzt vorbei. Wie geht es weiter?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das Jahr ist jetzt nicht vorbei. Wir haben uns in der Koalition darauf verständigt, dass ein Jahr verstärkt gelöscht, und zwar nur gelöscht statt gesperrt wird. Dieses eine Jahr des Löschens wäre erst kommendes Frühjahr erreicht. Derzeit sind wir auch in der Koalition in Gesprächen, wie man das angelaufene Löschen effektivieren kann. Ich kann nicht beurteilen, ob ausreichend Personal eingesetzt wird, ob die Abläufe ausreichend optimiert worden sind und ob die internationale Zusammenarbeit, die in die Zuständigkeit des Innenministeriums fällt, auch substantiell verbessert werden konnte. Genau darüber werden wir nach einem Jahr sprechen.
Ich bin optimistisch, dass auch der Bundesinnenminister das Hauptproblem der Netzsperren identifiziert. Netzsperren schaffen falsche Anreize, damit pädophile User kinderpornographische Inhalte suchen. Sie wissen, dass jede Liste und jede Listung kinderpornographischer Inhalte auch pädophil veranlagte User dazu verführen kann, diese als eine Art Wegweiser zu benutzen, wenn sie im Netz auftauchen. Das hat zur Folge, dass gerade die gelisteten Seiten besucht werden. Netzsperren können also im Endergebnis zu dem Gegenteil dessen führen, was eigentlich alle wollen. Alle politisch Verantwortlichen wollen, dass kinderpornographische Inhalte so schnell und so umfassend wie möglich aus dem Netz verschwinden.
"Urheberrecht muss Kreativität belohnen"
LTO: Die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" soll unabhängig von aktuellen Gesetzgebungsverfahren die Herausforderungen untersuchen, vor welche das Internet das Recht stellt. Halten Sie diesen Ansatz für sinnvoll? Müssen wir komplett umdenken oder reicht eine ständige Weiterentwicklung bestehender Regelungen in den Bereichen z.B. des Urheberrechts, des Datenschutzrechts oder des Persönlichkeitsrechts aus?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich halte es für sehr richtig, sich grundlegend mit den Herausforderungen der Digitalisierung in allen Lebensbereichen zu befassen. Gerade diskutieren wir die Frage der Netzneutralität. Eine ganz grundsätzliche Frage der Teilhabe aller an der weltweiten Kommunikation. Die Herausforderungen, vor die das Netz das Recht stellt, müssen umfassend aufbereitet werden. Und ich finde, dass die Enquete-Kommission dafür ein guter Ansatz ist. Es braucht einen breiten gesellschaftlichen Dialog. Einfache Antworten helfen nicht weiter.
Was das Urheberrecht betrifft, kann ich Ihnen nur sagen: Die Mechanismen der analogen Welt lassen sich nicht 1:1 übertragen auf die digitale Welt. Nur gilt auch im Urheberrecht im Zeichen des digitalen Zeitalters, dass Kreativität auch belohnt werden muss. Wenn Kreativität nicht mehr belohnt wird, dann erleben wir ganz am Ende der Entwicklung die Nivellierung und Einfallslosigkeit, zu der eine Kultur auch fähig ist. Ich glaube aber, dass wir mittelfristig die Debatten der 90er-Jahre – auf der einen Seite die Netzgemeinschaft und auf der anderen Seite die Urheberrechts-Community – hinter uns lassen. Denken Sie nur an die zahlreichen neuen Geschäftsmodelle oder den durchschlagenden Erfolg, den iTunes im Netz hat.
In einem anderen Bereich, nämlich dem Datenschutzrecht im Internet, bin ich ein Stück weit pessimistischer. Wir stehen erst am Anfang der Debatte und hier werden wir auch im Spannungsverhältnis von wirtschaftlichen Interessen und dem Schutz des Persönlichkeitsrechtes zahlreiche Kontroversen erleben. Vielleicht stehen wir auch am Anfang einer Entwicklung, die die Sensibilität für den Datenschutz im Internetzeitalter ganz neu definiert und gesellschaftlich auf breite Zustimmung stößt. Der Bundesinnenminister ist gefordert, ein grundlegend modernes Datenschutzrecht zu konzipieren.
LTO: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Interview führten Pia Lorenz und Christian Dülpers.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Datenschutz: . In: Legal Tribune Online, 20.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1503 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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