Nach dem Tod von US-Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg hat Donald Trump die Chance, ein zentrales Wahlversprechen endgültig einzulösen. Doch es ist vor allem die Stunde von Mehrheitsführer Mitch McConnell.
Wer wissen will, was den USA nach dem Tod der brillanten wie berühmten Supreme Court Richterin Ruth Bader Ginsburg nun bevorsteht, sollte den Namen Robert Bork kennen. Denn mit ihm begann vor 33 Jahren ein fast beispielloser politischer Feldzug, der heute nicht nur in einen gespaltenen Senat, sondern womöglich auch bald in einer langfristigen Kräfteverschiebung am Obersten Gerichtshof münden könnte.
Doch der Reihe nach: Am Freitag verbreitete sich die Nachricht vom Tode Ginsburgs, der wohl bekanntesten Richterin des höchsten amerikanischen Gerichts. Ginsburg, die in den 70ern als Anwältin für die American Civil Liberties Union strategische Prozessführung gegen Diskriminierung betrieb, zählte als Richterin zum liberalen Block am neunköpfigen Supreme Court. Im Laufe der Jahre erhielt sie mehrere Krebsdiagnosen, nun erlag sie der Krankheit.
Aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme hatte es immer wieder Kritik gegeben, weil sie die Präsidentschaft von Barack Obama nicht für ihren Rücktritt genutzt habe, um einem Demokraten die Möglichkeit zu geben, sie mit einem liberalen Richter zu ersetzen. Bis jetzt hielten die Konservativen eine Mehrheit von fünf zu vier. Sollte Präsident Trump nun Ginsburg mit einem konservativen Richter ersetzen, würden die Machtverhältnisse wohl auf Jahre hinaus in konservativer Richtung zementiert. Dementsprechend wichtig ist Republikanern wie Demokraten die Nominierung in Sachen Ginsburg-Nachfolge.
Rache für Robert Bork
Doch einem ist sie wichtiger als wohl jedem anderen. Und dabei handelt es sich nicht um Präsident Trump, der 2016 die Ernennung konservativer Richter zu einem seiner großen Wahlkampfversprechen gemacht hatte, sondern um den Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell. Vor 33 Jahren hat McConnell eine justizpolitische Mission gestartet, die nun ihre vorläufige Vollendung finden könnte. Und sie begann mit Robert Bork. Der Bundesrichter war 1987 von Präsident Ronald Reagan als Nachfolger für den ausgeschiedenen Supreme-Court-Richter Lewis Powell nominiert worden. Doch weil die Demokraten seine Ansichten besonders in puncto Bürger- und Frauenrechte als Bedrohung für den gesellschaftlichen Fortschritt ansahen, starteten sie eine regelrechte Kampagne gegen Bork, schalteten sogar TV-Spots, die vor ihm warnten. Letztlich waren sie erfolgreich, Bork ging in die Geschichte der wenigen Nominierten ein, die tatsächlich an der Senatsabstimmung scheiterten. Die Geschichte wurde sogar im US-Wortschatz verewigt: das Verb "to bork somebody" bedeutet in etwa etwa: "jemanden systematisch fertigmachen".
McConnell, damals in seiner ersten Amtszeit als Senator, sah eine rote Linie überschritten und schwor Rache, wie es die Dokumentation "Supreme Revenge" (2019) des amerikanischen Senders PBS detailliert nachzeichnet. Er machte es sich von nun an zur Lebensaufgabe, das höchste amerikanische Gericht in konservativer Richtung zu formen und dabei nötigenfalls mit allen Mitteln zu arbeiten. Mithilfe der einflussreichen Juristenvereinigung Federalist Society vernetzte er gezielt streng konservative Juristen im ganzen Land, um sie in wichtige Positionen, idealerweise hohe Richterposten, zu hieven. McConnells Mission fand zuletzt einen Höhepunkt in der Abstimmung über Trumps zweite Supreme-Court-Nominierung, Richter Brett Kavanaugh. In einer beispiellosen Schlammschlacht wurde Kavanaugh, der sogar des sexuellen Übergriffs in seinen Jugendjahren beschuldigt worden war, auf Drängen McConnells durchgedrückt.
Noch wichtiger, um die gegenwärtigen Situation zu verstehen, ist aber eine andere Richter-Nominierung im Jahr 2016. Damals war gerade der als sehr konservativ geltende Richter Antonin Scalia verstorben und Präsident Obama stand das Recht zu, dem Senat einen Ersatz vorzuschlagen. Obama hatte zu diesem Zeitpunkt keine Mehrheit mehr im Senat, auf dessen Zustimmung er allerdings angewiesen war. Er wählte mit Merrick Garland einen als moderat geltenden Mann, doch McConnell sah sein lang geplantes Projekt in Gefahr und verweigerte jede Zustimmung, ja auch nur eine Anhörung des Nominierten im Senat. Er begründete dies damit, dass im November, immerhin noch fast acht Monate nach Garlands Nominierung, die Präsidentschaftswahl bevorstehe und das amerikanische Volk zunächst den Präsidenten aussuchen sollte, der Scalia zu ersetzen habe. Trump gewann die Wahl, Trump wählte den konservativen Neil Gorsuch. McConnells Plan war aufgegangen, die Demokraten schäumten vor Wut.
Machtlose Demokraten
Nun hat er die Möglichkeit, den Konservativen am Gericht eine Sechs-zu-drei-Mehrheit zu verschaffen. Angesichts der Tatsache, dass die Richter dort auf Lebenszeit ernannt werden, eine langfristige Verschiebung der Machtverhältnisse. Doch eigentlich scheint McConnells eigene Logik nun gegen ihn zu sprechen: Einen neuen Richter nominieren, so kurz vor der Präsidentenwahl am 3. November? McConnells demokratischer Widersacher Chuck Schumer twitterte dazu wörtlich das Zitat von McConnell von 2016, als dieser mit eben jenem Argument schon die Abstimmung über Obamas Kandidaten verweigert hatte.
McConnell allerdings zeigte sich noch am Abend von Ginsburgs Tod wenig beeindruckt davon, dass man ihm sein eigenes Argument aus 2016 vorhielt. Wenn Präsident Trump jemanden nominiere, so McConnell, werde dieser auch eine Abstimmung im Senat erhalten. Und es gibt fast nichts, was ihn daran hindern könnte. Prozessuale Verhinderungstaktiken stehen den Demokraten praktisch nicht zur Verfügung und alles, was McConnell braucht, ist eine einfache Mehrheit im mit 100 Senatoren bestückten Senat. Dort steht es gegenwärtig 53:47 für die Republikaner, bei 50:50 entschiede Vizepräsident Mike Pence.
Auch das enge Zeitfenster bis zur Wahl dürfte kein Hindernis darstellen. Nachdem Trump einen Kandidaten nominiert hat, tritt das Justizkommittee des US-Senats zusammen und hört den Kandidaten an, um schließlich über den Vorschlag des Präsidenten zu entscheiden. Anschließend folgt eine Abstimmung im gesamten Senat. Zum einen kann das Justizkommittee unter dem Vorsitz des Republikaners Lindsey Graham die Anhörungen und die Abstimmung so takten, wie es ihm beliebt. Gleiches gilt für den Senat, in dem McConnell die Fäden in den Händen hält. Zum anderen würde auch die Wahl und ein möglicher Sieg von Joe Biden und eine Übernahme des Senats durch die Demokraten am 3. November nichts daran ändern. Eine Mehrheit der Demokraten bei der Präsidentenwahl würde erst zum Januar 2021 wirksam werden, bis dahin könnte der Senat in einer sogenannten Lame Duck Session trotzdem einen Nominierten bestätigten.
Aufbegehren gegen den "Sensenmann"?
Das einzige, was McConnell nun von der Vollendung seines Lebenswerks noch trennen könnte, sind mögliche Abweichler in den eigenen Reihen. Sollte die knappe Senatsmehrheit bröckeln, könnte eine Abstimmung scheitern. Und einige in der Partei sind vom rücksichtslosen Vorgehen ihres Chefs nicht angetan. Die Senatorinnen Lisa Murkowski (Alaska), Susan Collins (Maine) und auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat und erklärte Trump-Gegner Mitt Romney (Utah) gelten als potenzielle Abweichler. Nicht auszuschließen, dass sich in den Reihen der Partei noch die oder der eine oder andere findet, der zu einer Verschiebung der Abstimmung bis in die nächste Amtszeit tendieren könnte.
Doch McConnell gilt nicht nur als nachtragend, sondern auch als extrem mächtig in der Partei, er kann Karrieren beenden. Es dürften sich wenige finden, die sich mit dem "Grim Reaper" ("Sensenmann"), wie er sich selbst einst nannte, anlegen würden. Auch die Anhänger von Donald Trump würden einen Abweichler bei den nächsten Wahlen vermutlich abstrafen, doch die Furcht vor McConnells Zorn dürfte größer sein. Denn er wird voraussichtlich auch nach Trump noch da sein.
Konservative Bundesrichterin gilt als Favoritin für die Ginsburg-Nachfolge
Einfluss könnte womöglich noch nehmen, wen Trump nun nominiert. Die zuletzt noch von Trump selbst ins Spiel gebrachten Senatoren Ted Cruz und Tom Cotton sind wohl aus dem Rennen, ließ der Präsident doch verlauten, dass eine Frau Ginsburg nachfolgen solle. Laut amerikanischen Reportern gilt die Bundesrichterin und frühere Rechtsprofessorin Amy Coney Barrett als Favoritin, die laut einem Bericht des amerikanischen Magazins Politico als einzige potenzielle Kandidatin bereits ein Gespräch mit Trump geführt haben soll. Sie gilt als streng konservativ, Abtreibungsgegnerin und mögliche Kandidatin, die sich trauen könnte, den jahrzehntelang bestehenden und bestätigten Präzendenzfall um eine Abtreibung in Sachen Roe v. Wade zu kippen. Die konservative katholische Wählerbasis der Republikaner wäre mit dieser Wahl sicherlich hoch zufrieden. Trump gilt als relativ agnostisch in Bezug auf die typischen republikanischen Justizthemen und wird sich wohl an die Empfehlungen der Federalist Society halten, die ihn berät. In dieser Woche soll wohl eine Entscheidung fallen.
Doch wen auch immer Trump nominiert: Ein politischer Grabenkampf mit allen Mitteln ist vorgezeichnet. Die Demokraten haben wenig in der Hand, doch das hatten sie auch im Fall Kavanaugh, dessen Anhörung sich lange hinzog und der letztlich mit einer knappen und bereits wackeligen Mehrheit von zwei Stimmen bestätigt wurde. Hinzu kommt, dass bei den November-Wahlen die republikanische Senatorin Martha McSally aus Arizona ihren Sitz zu verlieren droht und schon zum 30. November durch einen Demokraten ersetzt werden könnte. Falls sich das Auswahlverfahren so lange hinzieht, könnte die knappe republikanische Mehrheit weiter schmelzen.
McConnell dürfte entsprechend entschlossen sein, seine Parteikollegen bei der Stange zu halten. Er gilt als kalter Machtpolitiker, aber auch als gewiefter Taktiker, der es versteht, Druck auszuüben. Auch bei der Auswahl der Ginsburg-Nachfolge wird er ein gewichtiges Wort mitreden. Seine Mission steht schließlich kurz vor der Vollendung.
Ginsburg-Nachfolge: . In: Legal Tribune Online, 21.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42850 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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