Die Bundesregierung darf ein türkisches Referendum in Deutschland über die Einführung der Todesstrafe nicht genehmigen, erklärt Michael Lysander Fremuth. Sowohl das Grundgesetz als auch das regionale Völkerrecht schlössen dies aus.
Das deutsch-türkische Verhältnis ist gegenwärtig durch vielfältige Spannungen belastet und die deutliche Zustimmung, die Erdogan für sein Verfassungsreferendum im April unter Türken in Deutschland mobilisieren konnte, hat Irritationen und viele Fragen provoziert. Der nächste Akt im vom türkischen Staatspräsidenten inszenierten Drama steht bevor: Eine Abstimmung über die Wiedereinführung der Todesstrafe, die 2004 auf Betreiben der Europäischen Union (EU) und noch mit Unterstützung Erdogans abgeschafft worden ist.
In der deutschen Politik stellte sich Widerstand ein, eine Abstimmung in Deutschland müsse von vornherein verhindert werden. Regierungssprecher Seibert erklärte noch am vergangenen Wochenende, die Bundesregierung würde ein solches Referendum auf deutschem Boden verbieten.
Gut so, denn dazu ist sie von Rechts wegen auch verpflichtet.
Im Rahmen der grundgesetzlichen Völkerrechtsfreundlichkeit ist Deutschland zur zwischenstaatlichen Zusammenarbeit verpflichtet (BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015, Az. 2 BvL 1/12). Verantwortlich ist dafür insbesondere die Bundesregierung, die auch die Durchführung von Wahlen und Abstimmungen ausländischer Staaten in Deutschland geneh-migen muss. Auf die Erteilung der Genehmigung besteht kein völkerrechtlicher Anspruch, sie wird gleichwohl grundsätzlich erteilt (Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes v. 21.4.2017, Az. WD 2 – 3000 – 039/17). So hat die Bundesregierung etwa in den Jahren 2014¬–2016 insgesamt 127 Wahlhandlungen genehmigt und 2014 die Abhaltung der Präsidentschaftswahlen für Syrien im Bundesgebiet untersagt.
Diese Entscheidungsfreiheit der Bundesregierung findet ihre Grenzen allerdings sowohl im Völkerrecht als auch in der deutschen Verfassung. Danach ist es ausgeschlossen, dass die Bundesregierung die Abhaltung eines solchen Referendums über die Todesstrafe genehmigt.
Das regional-völkerrechtliche Verbot der Todesstrafe
Wenngleich das Völkerrecht die Abschaffung der Todesstrafe intendiert, enthält es kein umfängliches Verbot der Todesstrafe, sondern stellt deren Verhängung und Vollstreckung unter restriktive Voraussetzungen (vgl. Art. 6 Abs. 2–6 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte). Ein völkergewohnheitsrechtliches Verbot lässt sich schon eingedenk der vielen Staaten, die an der Todesstrafe festhalten, nicht begründen.
Demgegenüber haben sich die meisten Vertragsparteien der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch das 2003 in Kraft getretene 13. Zusatzprotokoll zu einer umfänglichen Ächtung der Todesstrafe in Kriegs- und Friedenszeiten durchgerungen.
Ferner wurde die Einhaltung dieser Verpflichtung zur künftigen Voraussetzung der Mitgliedschaft im Europarat erhoben. Zudem führt die 2009 in Kraft getretene Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Art. 2 Abs. 2 aus, "dass niemand zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden darf". Insoweit kann von einer regional-völkerrechtlichen Ächtung der Todesstrafe in Europa gesprochen werden, die auch die Bundesrepublik Deutschland bindet.
Auch das Grundgesetz steht der Todesstrafe entgegen
Für Deutschland erklärt zudem Art. 102 Grundgesetz (GG) die Todesstrafe für abgeschafft. Es ist sehr umstritten, ob die Norm neben einem objektiv-rechtlichen Verbot auch ein Grundrecht normiert und wie weit ihr Anwendungsbereich reicht. Überzeugend ist die Annahme, dass Art. 102 GG jedenfalls auch Ausdruck einer Wertentscheidung des Grundgesetzes mit engem Bezug zur Garantie der Menschenwürde ist (BGH, Urt. v. 16.11.1995, Az. 5 StR 747/94). Sie bindet alle staatliche Gewalt.
Da es um eine Genehmigung für ein ausländisches hoheitliches Verhalten in Deutschland geht, stellt sich auch nicht die umstrittene Frage einer exterritorialen Geltung und Anwendung des Grundgesetzes. Insbesondere stellen Botschaften und Konsulate, in denen die Abstimmung durchgeführt würde, kein exterritoriales Gebiet dar, sondern bleiben Teil des deutschen Hoheitsgebietes.
Begründungsbedürftig bleibt aber, warum es die Bundesregierung interessieren muss, ob in der Türkei die Todesstrafe wieder eingeführt wird und wieso sie rechtlich an einer Mitwirkung darin gehindert sein soll. Dafür können das Menschenrecht auf Leben sowie die Wertentscheidung des Grundgesetzes ins Feld geführt werden.
Privatdozent Dr. Michael Lysander Fremuth, Türkisches Todesstrafen-Referendum in Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 09.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22867 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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