Wenn ein Pfarrer mit seiner Kirche uneins ist, hat er vor deutschen Gerichten schlechte Karten: Der EGMR bestätigte zuletzt, dass eine staatliche Kontrolle bei innerkirchlichen Angelegenheiten nur eingeschränkt möglich ist. Thomas Traub erläutert, wann weltliche Gerichte über kirchliche Streitigkeiten entscheiden und warum sie dies nur in engen Grenzen können.
Der staatliche Rechtsschutz gegen kirchliche Maßnahmen ist in Deutschland traditionell schwach ausgeprägt. Über Jahrzehnte hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) immer wieder entschieden, dass die Entscheidungen der Kirchen über ihre inneren Angelegenheiten von den staatlichen Gerichten hinzunehmen sind. Dementsprechend weisen die Verwaltungsgerichte Klagen von Geistlichen, die das Pfarrdienstverhältnis betreffen, regelmäßig als unzulässig ab. Für die Betroffenen ist dies besonders misslich, wenn aus der innerkirchlichen Entscheidung ganz profane Konsequenzen folgen, wie die Reduzierung der Besoldung und anderer vermögensrechtlicher Ansprüche.
Einen etwas anderen Weg beschreitet der BGH, der Klagen vor den Zivilgerichten zulässt. Er prüft dann allerdings nur, ob gravierende Rechtsverstöße vorliegen.
Diese restriktive Rechtsprechung deutscher Gerichte hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in drei aktuellen Entscheidungen im Kern bestätigt:
Zwei evangelische Pfarrer waren wegen Unstimmigkeiten mit ihren Gemeinden zunächst in den Wartestand, einer von ihnen später in den Ruhestand versetzt worden. Nachdem sie zunächst erfolglos die kircheneigenen Gerichte angerufen hatten, suchten sie Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten. Diese behandelten die Klagen jedoch gar nicht in der Sache, sondern wiesen sie bereits als unzulässig ab, da der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten bei innerkirchlichen Angelegenheiten nicht eröffnet sei. Die anschließende Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zur Entscheidung angenommen (Beschl. v. 27.01.2004, Az. 2 BvR 496/01).
Ähnlich erging es einem Ehepaar, das fast 25 Jahre im Offiziersdienst der Heilsarmee tätig war. Sie klagten gegen ihre Entlassung vor den Zivilgerichten und waren ebenfalls erfolglos.
Selbstbestimmungsrecht der Kirchen verletzt keine Menschenrechte
Nachdem sie vor den nationalen Gerichten gescheitert waren, nutzten alle Betroffenen die Möglichkeit, gem. Art. 34 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eine Individualbeschwerde vor dem EGMR einzulegen und eine Verletzung von Art. 6 EMRK zu rügen. Danach hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.
Doch der EGMR hielt die Beschwerden für offensichtlich unbegründet und wies sie als unzulässig zurück. Im Fall der evangelischen Priester sei Art. 6 EMRK schon gar nicht einschlägig, weil kein nach deutschem staatlichem Recht anerkannter Anspruch vorlag. Und auch im Fall der beiden Heilsarmee-Offiziere konnten die Straßburger Richter keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren feststellen.
Die Grundlage dafür, dass Geistliche in Deutschland nur eingeschränkten Rechtsschutz erlangen können, findet sich in Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Einer Vorschrift, die gem. Art. 140 Grundgesetz (GG) vollgültiges Verfassungsrecht ist. Danach ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze.
Dieses kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist, neben der Religionsfreiheit und der Trennung von Staat und Kirche die dritte wichtige Säule des Staatskirchenrechts. Es verleiht den Religionsgesellschaften unter anderem das Recht, ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates zu verleihen.
Pfarrer sind keine Arbeitnehmer
Aus dem Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts folgt auch die Dienstherrenfähigkeit. Sie haben also das Recht, beamtenähnliche Pfarrdienstverhältnisse zu begründen. Die Geistlichen sind deshalb keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, sie unterliegen nicht dem Arbeitsrecht und ihre Streitigkeiten mit dem Dienstherrn werden nicht von den Arbeitsgerichten entschieden.
Stattdessen zählt das BVerwG das Dienstrecht zum Kernbereich der innerkirchlichen Angelegenheiten. In diesem stehe den Kirchen ein Selbstbestimmungsrecht zu, das vor jeder staatlichen Einflussnahme geschützt sei. Die Autonomie, Ämter im Bereich der Seelsorge zu verleihen und zu entziehen, sei staatlicher Reglementierung nicht zugänglich, der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht eröffnet (Urt. v. 30.10.2002, Az. 2 C 23/01).
Diese Betonung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gerät jedoch in Konflikt mit einem anderen verfassungsrechtlichen Gebot: dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch. Aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip folgt, dass der Staat bei allen Streitigkeiten effektiven Rechtsschutz garantieren muss. Der Einzelne hat grundsätzlich das Recht auf Zugang zu einem Gericht und auf eine tatsächliche und rechtliche Prüfung seines Anliegens durch den Richter. Diese Pflicht des Staates, staatlichen Rechtsschutz zu gewähren, gilt auch gegenüber den Religionsgemeinschaften.
Trendwende durch den BGH
Überzeugender als der grundsätzliche Ausschluss des Rechtswegs zu staatlichen Gerichten bei innerkirchlichen Streitigkeiten ist daher eine Lösung, die der Bundesgerichtshof in zwei Entscheidungen vorgegeben hat, die als lang ersehnte Trendwende begrüßt worden sind (Urt. v. 28.03.2003, Az. V ZR 261/02 und Urt. v. 11.02.2000, Az. V ZR 271/99). Danach schränkt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht den Zugang zu den Gerichten ein. Die Karlsruher Richter hielten eine Klage vor staatlichen Gerichten vielmehr auch dann für zulässig, wenn innerkirchliche Streitigkeiten zu klären sind.
Das verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Selbstbestimmungsrecht wollen sie dann aber bei der inhaltlichen Prüfung des Anspruchs berücksichtigen, der mit der Klage durchgesetzt werden soll. Eine vom Selbstverständnis der Kirche getragene Maßnahme kann durch staatliche Gerichte nicht umfassend auf ihre Rechtmäßigkeit am Maßstab des innerkirchlichen Rechts geprüft werden, so der V. Zivilsenat. Stattdessen müssten sich die Gerichte darauf beschränken, einen möglichen Verstoß gegen Grundprinzipien der Rechtsordnung auszuschließen.
Dazu zählen das allgemeine Willkürverbot, die guten Sitten und der ordre public. Zur inhaltlichen Zurückhaltung gehört außerdem, dass die Betroffenen zunächst die kircheneigenen Gerichte beziehungsweise Schlichtungsgremien anrufen müssen, bevor sie den Weg zu den staatlichen Gerichten beschreiten.
Im Ergebnis hatten daher auch die Klagen der Heilsarmee-Offiziere vor dem BGH keinen Erfolg, denn ihre Entlassung war weder willkürlich noch verletzte sie die guten Sitten.
Kein Anspruch auf uneingeschränkte Prüfung
Die Hoffnungen der Beschwerdeführer, dass der EGMR die BGH-Rechtsprechung missbilligen und noch weitergehenden Rechtsschutz verlangen würde, wurden enttäuscht. Das Gericht hat schon gar nicht die Kompetenz zu entscheiden, ob die traditionelle Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte oder die neue Lösung des BGH vorzugswürdig ist.
Der EGMR hat aber bestätigt, dass der eingeschränkte Prüfungsumfang des BGH nicht das Menschenrecht auf ein faires Verfahren verletzt. Stattdessen erkennt er die Besonderheiten an, die sich aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht für die gerichtliche Prüfung kircheninterner Streitigkeiten ergeben.
Einen Anspruch auf eine umfassende, uneingeschränkte Prüfung ihrer Entlassungen vor staatlichen Gerichten können Geistliche aus der Europäischen Menschenrechtskonvention also nicht ableiten. Sie haben vor deutschen Gerichten immer noch schlechte Karten.
Thomas Traub ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kirchenrecht der Universität zu Köln und Lehrbeauftragter an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung.
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Thomas Traub, Rechtsschutz für Pfarrer: . In: Legal Tribune Online, 03.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5224 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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