Carles Puigdemont wird aus dem Festhaltegewahrsam entlassen. Das OLG Schleswig hatte am Donnerstag zwar einen Auslieferungshaftbefehl erlassen, diesen aber unter Auflagen ausgesetzt. Eine souveräne Entscheidung, wie Michael Kubiciel findet.
Viele, die in ihrer Kindheit Robin Hood und später - vielleicht während ihres Erasmus-Studiums - Garcia Lorca lasen, scheinen einen neuen Helden gefunden zu haben: Carles Puigdemont. Sein Ziel, mittels einer – auf Katalonien beschränkten – Volkabstimmung die Unabhängigkeit dieser autonomen Region Spaniens herbeizuführen, spricht auch viele Empfindungen Deutscher an: Der Wunsch, sich aus der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts in die vertraute Heimat zurückzuziehen, die damit einhergehende Skepsis gegen Zentralregierungen sowie der Glaube, dass basisdemokratische Entscheidungen klüger oder irgendwie "besser" sind als solche, die in Parlamenten getroffen werden.
Da Puigdemont – anders als die britischen Brexiteers um Herrn Farrange – nicht rechtsnationalistisch agierte, konnte er sich auch der Sympathien einiger deutscher linker Intellektueller sicher sein. Dabei war sein Vorgehen nicht deutlich durchdachter als jenes der "Leave"-Fraktion im Vereinigten Königreich. Die Wirtschaft Kataloniens teilte den Unabhängigkeitswunsch nicht, dem Referendum fehlte die Unterstützung im Ausland und einen Plan für das "Danach" gab es nicht.
Nun wartet Herr Puigdemont auf die Entscheidung über seine Auslieferung nach Spanien. Von Anfang an ist dieses gerichtliche Verfahren von schrillen Tönen begleitet worden. Die deutsche Politik müsse entscheiden, nicht die Justiz, hieß es. Oder: Herr Puigdemont dürfe nicht ausgeliefert werden, da die Vorwürfe konstruiert seien und er in Wahrheit politisch verfolgt werde.
Souveräne Entscheidung des OLG Schleswig
Gestern hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) eine souveräne Entscheidung getroffen, die einer Ehrenrettung der spanischen Justiz gleichkommt. Zwar hat es eine Auslieferung wegen des Vorwurfs der "Rebellion" nicht zugelassen, aber nicht deshalb, weil der Auslieferungsantrag "ein suspektes Papier" wäre, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung meinte.
Im Gegenteil: Das OLG stellt ausdrücklich fest, dass Herrn Puigdemont "als Initiator und Verfechter der Umsetzung des Referendums die am Wahltag stattgefundenen Gewalttätigkeiten zuzurechnen" seien. Diese hätten aber keine Qualität erreicht, die für den deutschen Straftatbestand des Hochverrats (§ 81 StGB) erforderlich sei. Es fehlt damit an der Strafbarkeit nach deutschem Recht, so dass das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 IRG nicht erfüllt ist. Anders gewendet: Das OLG hält die Vorwürfe für durchaus substantiiert, sie erreichen lediglich nicht die Schwelle, die § 81 StGB vorschreibt.
Mindestens ebenso wichtig ist eine zweite Aussage des Gerichts: Anhaltspunkte dafür, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung der Gefahr politischer Verfolgung im Sinne des § 6 Abs. 2 IRG ausgesetzt sein könnte, seien nicht ersichtlich. Im Gegensatz dazu hatten einige deutsche Politiker und Journalisten gemutmaßt, angesichts des politischen Kontexts des spanischen Strafverfahrens sei zu befürchten, dass auf die Justiz politischer Druck laste und dieser das Verfahren in rechtsstaatswidriger Weise belaste. Konkrete Belege für diese Vermutung gab es nicht, ein allgemeines Unbehagen aber reicht nicht aus, wie eine Umstellung des Sachverhalts zeigt: Wäre Frau Zschäpe in Polen aufgegriffen worden, hätte Polen ein Auslieferungsersuchen Deutschlands auch nicht mit der Erwägung ablehnen können, die Taten der NSU seien politisch motiviert gewesen und hätten eine große Aufmerksamkeit erhalten, so dass auf einem deutschen Gericht möglicherweise ein hoher (politischer) Erwartungsdruck laste. Zu Recht hat sich das OLG – im Einklang mit der herrschenden Auslegung des § 6 Abs. 2 IRG – nicht auf derartige Spekulationen eingelassen.
Keine Anhaltspunkte für politische Verfolgung
Obgleich das OLG also keine Anhaltspunkte für die Gefahr einer politischen Verfolgung sieht, reißen die Forderungen nicht ab, nun müsse die "Politik" entscheiden. Es fragt sich allerdings, wer damit gemeint ist und worüber entschieden werden soll. Zuständig für die Bewilligung sind die Justizbehörden in Schleswig-Holstein, die – in Gestalt des OLG und der dem Justizministerium unterstellen Generalstaatsanwaltschaft – eben keine Gefahr politischer Verfolgung erkennen, die eine Bewilligung der Auslieferung ausschlösse. Dass die Bundesregierung bzw. das BMJV dieser Einschätzung widerspricht und stattdessen – bar jeder konkreter Anhaltspunkt – dem befreundeten Spanien, einem gefestigten Rechtsstaat unter dem wachsamen Auge des EGMR, attestiert, es werde Herrn Puigdemont menschenrechtswidrig verfolgen, ist ausgeschlossen.
Dennoch hat "die Politik" noch eine Entscheidung zu treffen, die das "Wie" der Auslieferung betrifft. Deutschland könnte nämlich nach § 83h Abs. 2 Nr. 5 IRG auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes verzichten. Dieser Spezialitätsgrundsatz verhindert, dass die übergebene Person wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen Tat, als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, verfolgt wird. Dispensiert Deutschland die spanischen Behörden von dieser Vorgabe, könnte die spanische Justiz aufgrund einer anderen prozessualen Tat, d.h. eines anderen Sachverhaltes, eine andere Anklage erheben - durchaus auch wegen Rebellion oder anderer politischer Taten. Wohlgemerkt: Nichts spricht dafür, dass die deutsche Regierung diesen Verzicht erklärt. Wer aber nach einer politischen Entscheidung ruft, sollte wissen, was er damit möglicherweise erreicht und was nicht.
Der Autor Professor Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches, Europäisches und Internationales Straf- und Strafprozessrecht, Medizin- und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Augsburg.
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, Auslieferungshaftbefehl des OLG Schleswig: . In: Legal Tribune Online, 06.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27911 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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