Kluger politischer Schachzug, aber letztlich unverbindlich? Mit dem Versprechen späterer gesetzlicher Änderungen will der Gesundheitsminister beim Cannabisgesetz die Anrufung des Vermittlungsausschusses am Freitag verhindern.
In der legalisierungsfreudigen Cannabis-Community sammelt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wenige Tage vor der entscheidenden Bundesratssitzung gerade viele Punkte: In den sozialen Netzwerken, aber auch in der ARD-Talkshow "hart aber fair" brachte der einstige Legalisierungsgegner immer wieder seinen Willen zum Ausdruck, für das umstrittene Cannabisgesetz (CanG) auf der Zielgeraden zu kämpfen. Das Gesetz stehe "auf Messers Schneide".
Es geht darum, vor allem die Bundesländer von dem Gesetz zu überzeugen, in denen Ampelparteien an der Regierung sind. Damit diese nicht für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses (VA) stimmen und das Gesetz am 1. April in Kraft treten kann. Hintergrund ist, dass drei Ausschüsse des Bundesrates mit großer Mehrheit empfohlen hatten, das CanG in einem VA nachzuverhandeln. Über ihre Empfehlungen wird am Freitag abgestimmt. Wird der VA angerufen, wäre das Schicksal der Cannabis-Teil-Legalisierung ungewiss. Lauterbach hatte daher davor gewarnt, das CanG im VA "verhungern" zu lassen.
Lauterbach redet mit SPD-Abweichlern
Um nun zweifelnde Landesministerinnen und -minister wieder auf Pro-Cannabis-Kurs zu bekommen, hat Lauterbach in den letzten Tagen eine "Protokollerklärung" im Bundesratsplenum angekündigt. In dieser will er verstärkt auf die Bedenken einiger Landesressorts eingehen, zum Beispiel auf die seiner sächsischen Parteifreundin und Landesgesundheitsministerin Petra Köpping (SPD). Diese hatte kürzlich auch gegenüber LTO klargestellt, dass sie das Gesetz in einigen Punkten für überarbeitungsbedürftig hält und daher für eine Befassung im VA plädiere.
Am Dienstag vermeldete nun Köpping plötzlich, dass Karl Lauterbach sie überzeugt habe und die SPD in Sachsen gegen die Anrufung des VA stimmen werde. "Ich habe mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gesprochen. Er hat mir versprochen, dass drei Punkte in seine Protokollerklärung im Bundesrat aufgenommen werden: die Verbesserung der Prävention, die Verringerung der Mengen und die Ausweitung des Abstands zu Kitas und Schulen. Und ich erwarte Aussagen im Hinblick auf den Vollzug des Gesetzes." Eine ähnliche Wirkung seiner Protokollerklärung erhofft sich Lauterbach auch bei anderen Landesministern.
Staatsrechtler: "Politische Alibiveranstaltung"
Unterdessen fragt man sich, ob der Bundesgesundheitsminister mal eben in einer Protokollerklärung den Ländern verbindliche Zugeständnisse machen kann, die im Zweifel auf eine unverzügliche Änderung bzw. Ergänzung eines gerade in Kraft getretenen Gesetzes abzielen. Insbesondere auch ohne Absprache mit den Koalitionsfraktionen?
"Nein, kann er nicht", antwortet Staatsrechtler Prof. Ulrich Battis. Er spricht einer solchen Erklärung jegliche juristische Verbindlichkeit ab. Es handele sich um eine "politische Alibiveranstaltung", die der Bundesgesundheitsminister damit betreibe. Die von ihm angekündigte Erklärung sei allenfalls eine politische Absichtserklärung.
So sieht es auch die Expertin für Parteienrecht Prof. Sophie Schönberger: "Tatsächlich ist eine solche Protokollerklärung allein politisch, nicht aber rechtlich verbindlich", sagt sie gegenüber LTO. "Mir ist auch nicht klar, worauf genau sie gerichtet ist. Auf eine Änderung des Gesetzes? Oder ggf. auf ein bestimmtes flankierendes Verordnungsrecht? Nur im zweiten Fall würde eine solche (politische) Erklärung überhaupt in den Zuständigkeitsbereich des Ministers fallen."
Machen die Ampelfraktionen mit?
Trotz der rechtlichen Unverbindlichkeit seiner angekündigten Protokollerklärung attestiert der Berliner Verfassungsrechtler Prof. Alexander Thiele ein politisch kluges Vorgehen: Derartige Erklärungen stellten eben ein weiteres Mittel dar, "um in strittigen Fragen zu einem politischen Kompromiss zu kommen". Sie "können insoweit auch für die zukünftige politische Debatte Wirkung entfalten, etwa indem sie den Akteuren vorgehalten werden, wenn sie den darin genannten Absichten nicht nachkommen sollten". Als reines Schauspiel, so Thiele, solle man sie daher nicht ansehen. "Ihre Wirkung ist eben politisch und hängt damit auch davon ab, wie sie von den Protagonisten in der Folge eingesetzt wird."
In der Tat stellt sich spätestens nach dem 22. März die Frage, wie Lauterbachs Versprechungen gegenüber den Ländern umgesetzt werden. Dass der Inhalt der Protokollerklärung allein in die Verordnungskompetenz des BMG fällt, darf nach aktuellem Stand bezweifelt werden.
LTO liegt der vierseitige Entwurf einer Protokollerklärung aus dem BMG vor (Stand: 18.3.). Aussagen zu einer Verringerung der Mengen oder der Ausweitung des Abstands zu Kitas und Schulen werden darin nicht getroffen. Vielmehr geht es eher um verstärkte Anstrengungen bei der Prävention und auch um mehr Kontrollen im Zusammenhang mit den geplanten Cannabis-Anbauvereinigungen. Das BMG verspricht, diese Regelungen noch vor dem 1. Juli 2024 bundesrechtlich sicher zu verankern.
FDP-Politikerin: "Werden Schlüsse erst nach Abstimmung im BR ziehen"
Dafür benötigt Lauterbach früher oder später auch den Segen seiner Kabinettskollegen. Ob diese sogleich nach Inkrafttreten das CanG dieses sogleich wieder ändern wollen?
Nicht ausgeschlossen, wie die Obfrau der FDP-Fraktion im Ausschuss für Gesundheit sowie sucht- und drogenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Kristine Lütke, gegenüber LTO bestätigt: "Das Bundesministerium für Gesundheit bereitet in Absprache mit den anderen Ressorts und den Fraktionen eine Protokollerklärung vor, die beispielsweise die Verbesserung der Prävention und den Vollzug des Gesetzes präzisieren wird. Nach der Abstimmung im Bundesrat werden wir beraten, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind."
Auf LTO-Anfrage wollte das BMG keinen Kommentar zur beabsichtigten Protokollerklärung abgeben. Diese befinde sich noch in Abstimmung.
Vor der entscheidenden Cannabis-Abstimmung im Bundesrat: . In: Legal Tribune Online, 20.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54155 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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