Nach dem Desaster bei der Loveparade wächst der politische Druck auf den Duisburger Oberbürgermeister. Dieser verweigert einen Rücktritt und will sich nun der Abwahl stellen. Wie kann ein Bürgermeister aus seinem Amt ausscheiden? Wie läuft ein Abwahlverfahren? Und stünde Adolf Sauerland sich bei einer Abwahl versorgungsrechtlich wirklich besser als bei einem "Rücktritt"?
Nach der Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg mit 21 Toten und einer erheblichen Anzahl von Verletzten sind Forderungen an den Oberbürgermeister der Stadt Duisburg Adolf Sauerland herangetragen worden, die "politische Verantwortung zu übernehmen" und vom Amt "zurückzutreten".
In einer persönlichen Stellungnahme erklärte er, dass er sich "einem gemäß der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) vorgesehenen Abwahlverfahren stellen" wolle. Der Fall gibt Gelegenheit, auf die rechtliche Varianten einzugehen, die für Bürgermeister bestehen, ihr Amt aufzugeben.
Prämisse ist dabei, dass Bürgermeister Beamte sind. In Nordrhein-Westfalen wurden mit der NRW-Gemeinderechtsreform im Jahr 1994 die Positionen des Verwaltungschefs und des Ratsvorsitzenden zusammen gelegt, so dass Bürgermeister heute auch Teil der Verwaltung und damit Beamte auf Zeit sind.
Die gesetzlichen Bestimmungen sehen ausdrücklich eine vorzeitige Beendigung der Amtszeit der Bürgermeister nur vor, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:
- Nichtigkeit der Bürgermeisterwahl,
- Dienstunfähigkeit,
- Tod,
- Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach dem Landesdisziplinargesetz,
- Entlassung aus eigenem Verlangen und
- Abwahl.
Die frühere Möglichkeit, altersbedingt während der laufenden Amtszeit auszuscheiden, ist nach dem Wegfall einer Altersgrenze für Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen entfallen.
Die Möglichkeiten: Abwahl oder "Rücktritt"
Von diesen dargestellten Möglichkeiten kommen im "Duisburger Fall" zunächst nur die "Entlassung aus eigenem Verlangen" und die Abwahl ernsthaft in Betracht.
Der Bürgermeister hat wie jeder andere Beamte das Recht, jederzeit seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zu verlangen. Voraussetzung ist lediglich eine schriftliche Erklärung. Die Entlassung ist von der Aufsichtsbehörde grundsätzlich für den beantragten Zeitpunkt auszusprechen.
Die Einleitung eines Abwahlverfahrens liegt demgegenüber nicht in der rechtlichen Initiativmacht des Bürgermeisters. Das Abwahlverfahren besteht aus einem Einleitungs- und einem Durchführungsverfahren. Für die Einleitung ist zunächst ein Antrag von mindestens der Hälfte der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder erforderlich. Der Bürgermeister ist in diese Berechnung nicht einzubeziehen und auch nicht antragsberechtigt.
Der Antrag auf Einleitung des Abwahlverfahrens muss durch einen Ratsbeschluss angenommen werden, der einer Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder bedarf. Auch hierbei zählt der Bürgermeister, der wiederum kein Stimmrecht hat, nicht mit. Erst wenn ein solcher Beschluss erfolgt ist, ist der Rat nicht mehr Herr des Abwahlverfahrens.
Wenn die Abwahl zur Zumutung würde: Das "faktische Rücktrittsrecht"
Der gesetzliche Regelfall ist der, dass das Abwahlverfahren im Anschluss durchgeführt wird. Das heißt, dass die wahlberechtigten Bürger über die Abwahl des Bürgermeisters abstimmen. Der Bürgermeister ist abgewählt, wenn sich dafür eine Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen ergibt und diese Mehrheit mindestens 25% der Wahlberechtigten beträgt.
Seit Ende 2007 hat der Landesgesetzgeber dem Bürgermeister aber auch ein "faktisches Rücktrittsrecht" eingeräumt. Dieser kann auf die Durchführung des eingeleiteten Abwahlverfahrens verzichten. Der Verzicht ist schriftlich gegenüber dem ehrenamtlichen Stellvertreter zu erklären. Mit dem Ablauf des Tages, an dem die Verzichtserklärung diesem zugeht, gilt die Abwahl als erfolgt.
Der Gesetzgeber begründete das Bedürfnis nach dieser Verzichtsmöglichkeit damit, dass es "unbillig sein kann, einem Amtsinhaber nach Einleitung des Abwahlverfahrens durch den Rat die Durchführung des Abwahlverfahrens zuzumuten." Dies gelte insbesondere in Fällen, in denen mit einer Bestätigung des Bürgermeisters nicht zu rechnen ist.
Der Begriff des "faktischen Rücktrittsrechts", den der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung verwandt hat, ist deshalb nicht ganz zutreffend, weil die rechtliche Initiative für die erforderliche Einleitung des Abwahlverfahrens nur vom Rat ausgehen kann.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die im Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen avisierte Neuregelung, dass neben dem Rat zukünftig auch die Bürger direkt mit einem Quorum von einem Drittel der Wahlberechtigten hinsichtlich einer Abwahl des Hauptverwaltungsbeamten initiativ werden können. Dies ist aber (noch) nicht geltendes Recht.
Versorgungsrechtliche Auswirkungen: Je nach Art des Ausscheidens?
Dem Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland wurde vor allem in den letzten Tagen wiederholt vorgeworfen, dass er sich weigere, zurückzutreten, um seine Bezüge nicht zu gefährden.
Ohne über dessen Motive für sein Handeln zu spekulieren: Die Bezüge eines Beamten können sich unterschiedlich entwickeln je nachdem, ob er abgewählt wird oder nach der Einleitung des Abwahlverfahrens auf dessen Durchführung verzichtet oder ob er auf eigenes Verlangen entlassen würde – vielleicht.
Die mediale Verwirrung über die Konsequenzen einer Abwahl oder aber einer Entlassung auf eigenes Verlangen ist dabei gar nicht unbegründet. Denn die Folgen im letzteren Fall sind umstritten.
Abwahl oder Verzicht: Fünf Jahre lang 71,75 Prozent
Wird der Bürgermeister vor Ablauf der Amtszeit abgewählt oder verzichtet er nach Einleitung des Abwahlverfahrens auf dessen Durchführung, erhält er für den Monat, in dem er aus dem Amt ausscheidet sowie für die folgenden drei Monate noch die Dienstbezüge.
Im Anschluss daran erhält der ehemalige Bürgermeister eine Versorgung bis zum Ablauf der regulären Amtszeit. Das Ruhegehalt beträgt während der ersten fünf Jahre 71,75 Prozent der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe, in der sich der Beamte zur Zeit seiner Abwahl befunden hat.
Die ruhegehaltsfähige Dienstzeit erhöht sich dabei um bis zu fünf Jahre, in der der Beamte dieses Ruhegehalt erhält. Nach dem Ablauf der regulären Amtszeit erhält der ehemalige Bürgermeister im Regelfall eine beamtenrechtliche Versorgung.
Entlassung auf eigenes Verlangen: Rechtlich unsicher
Im Falle der Entlassung auf eigenes Verlangen ist die versorgungsrechtliche Situation komplizierter, da umstritten. Zur Frage, ob und in welcher Höhe Pensionsansprüche auch nach einem freiwilligen Abtreten auf eigene Initiative weiterhin bestehen, gibt es unterschiedliche Auffassungen.
Das Innenministerium NRW hat in Abstimmung mit dem Finanzministerium NRW in einem Erlass vom 2. Juni 2008 hierzu entschieden, dass ein einmal entstandener Anspruch auf Ruhegehalt aus einem früheren Beamtenverhältnis auf Zeit bestehen bleibt, selbst wenn sich daran ein neues Beamtenverhältnis auf Zeit nahtlos anschließt (zum Beispiel eine Wiederwahl) und dieses neue Beamtenverhältnis durch Entlassung endet. Die Ministerien übernehmen insoweit die Auffassung der Versorgungskasse Westfalen-Lippe.
Dies hätte zur Folge, dass einem Bürgermeister, der auf eigenes Verlangen entlassen wird, Pensionsansprüche aus seinem vorherigen Beamtenverhältnis zum Beispiel als Lehrer oder Bürgermeister in der vorhergehenden Wahlperiode erhalten blieben. Lediglich die Zeit der laufenden Amtsperiode müsste in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert werden.
Nach anderer Ansicht (Städte- und Gemeindebund NRW und Bund der Steuerzahler) ist der Erhalt der Pensionsansprüche bei der Entlassung auf eigenes Verlangen gesetzlich nicht vorgesehen. Eine Entlassung auf Verlangen könne rechtlich nicht zu einem Eintritt in den Ruhestand führen. Es gebe keine "Anwartschaft auf Eintritt in den Ruhestand" aus einem vorangehenden Beamtenverhältnis, selbst wenn bei dessen Beendigung die Voraussetzungen für den Eintritt in den Ruhestand erfüllt waren.
Auch das Innenministerium weist in seinem Erlass ausdrücklich auf die bestehende rechtliche Unsicherheit hin angesichts dessen, dass es zu dieser Frage keine gerichtliche Entscheidungspraxis gibt. Sofern also ein Gericht der im Erlass vertretenen ministeriellen Auffassung nicht folgt, müssten im Falle einer Entlassung auf Verlangen auch die vorangegangenen beamtenrechtlichen Zeiten in der Rentenkasse nachversichert werden.
Am Ende ist die Abwahl versorgungsrechtlich die günstigste Alternative
Ein Bürgermeister kann also aus eigener rechtlicher Initiative aus seinem Amt ausscheiden, indem er die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis verlangt. Für diesen Fall behält er nach umstrittener Auffassung des Innenministeriums seine Versorgungsansprüche aus vorangegangenen Beamtenverhältnissen.
Trotzdem wäre selbst bei Zugrundelegung dieser für Bürgermeister günstigen Auffassung des Innenministeriums das Ausscheiden über eine Abwahl (gegebenenfalls mit Verzicht auf die Durchführung des Abwahlverfahrens, also der so genannte "faktische Rücktritt") für einen Bürgermeister versorgungsrechtlich günstiger. Diesen Weg kann aber nur der Rat bereiten, solange den Bürgern nicht in der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung ein Abwahlinitiativrecht eingeräumt wird.
Bei schweren und schuldhaften Dienstvergehen käme schließlich als ultima ratio die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis in Betracht. Dies setzt aber die Einleitung eines Disziplinarverfahrens und die eindeutige Feststellung von Dienstvergehen und persönlichen Verschuldens voraus. Der Beamte kann bei der dienstvorgesetzten Stelle oder der höheren dienstvorgesetzten Stelle im Übrigen die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst beantragen, um sich von dem Verdacht eines Dienstvergehens zu entlasten.
Der Autor Prof. Dr. Frank Bätge ist Hochschullehrer an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung sowie Lehrbeauftragter an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und der NRW School of Governance. Im gesamten Wahlrecht sowie im Kommunalrecht ist er auch von Parlamenten als Sachverständiger für Gesetzgebungsvorhaben hinzugezogen worden. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu wahl- und kommunalrechtlichen Fragen.
Frank Bätge, Politische Verantwortung nach der Loveparade-Katastrophe: . In: Legal Tribune Online, 04.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1133 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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