Ein Mieter darf zu Dekorationszwecken eine Piratenflagge in sein Fenster hängen, auch wenn dieses sich direkt über dem Eingang befindet. Dies hat das Landgericht Chemnitz am Freitag entschieden und damit das Interesse des Mieters an der Gestaltung seines privaten Lebensraums über das des Vermieters an der Verwertung des Gebäudes gestellt. Zu Recht, meint Dominik Schüller.
Die Vermieterin des Hauses, in dem der berühmte "Jolly Roger" thronte, hatte von ihren Mietern verlangt, dass sie die Piratenflagge entfernten, die unmittelbar und für jedermann sichtbar über dem Hauseingang hing. Außerdem wollte sie Schadensersatz in Höhe von 700,00 Euro. Die 16-jährige Tochter der Mieter-Familie, ein bekennender Fan des Films "Fluch der Karibik", hatte die Flagge mit dem Totenkopf nebst gekreuzten Schwertern zur Dekoration an der Innenseite ihres Jugendzimmerfensters angebraucht.
Die Eigentümerin, die Kester-Haeusler-Stiftung aus dem bayerischen Fürstenfeldbruck, konnte dem Film offenbar weniger abgewinnen. Ihrer Auffassung nach passte die Piratenflagge nicht zum Erscheinungsbild des Mietshauses und stellte zudem ein Vermietungshindernis für sie dar. Zwei Mietinteressenten waren ihr angeblich bereits wegen der Flagge abgesprungen und hatten eine Wohnung nicht angemietet, erläuterte der Plauener Anwalt der Stifung den geltend gemachten Schadensersatzanspruch.
Das Amtsgericht Chemnitz entsprach erstinstanzlich den Anträgen der Hauseigentümerin und verurteilte die Mieter zur Zahlung und Entfernung der Flagge. Im Berufungsverfahren führte das Landgericht (LG) einen Ortstermin durch und hat nun die Klage abgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.
"Nicht gerade Satanisten oder Hardcore-Fans"
Die Chemnitzer Richter sind der Auffassung, dass die Piratenflagge im konkreten Fall das Gebäude nicht verunstalte und die Vermieterin auch im Hinblick auf die Vermietung an potentielle Mieter nicht unzumutbar belaste.
Die Flagge trete zwar, so die Kammer, deutlich hervor. Das Gebrauchsrecht der Mieterfamilie sei dennoch nicht überschritten, da es sich bei dem grinsenden Schädel mit einer Augenklappe nur um eine nicht aggressiv gestaltete Kinderpiratenflagge handele. Auf "Satanisten" oder "Hardcore-Fans von St. Pauli" lasse das Motiv eher nicht schließen, hieß es trocken von Seiten des Richters Andreas Frei. Bei einer solchen Flagge könnten auch keine Rückschlüsse auf eine den Vermieter schädigende Motivation gezogen werden.
Im Ergebnis stellt das Gericht bei seiner Abwägung das Mieterinteresse an der eigenen Gestaltung seines Wohnbereiches über das der Vermieterin an einem einheitlichen Aussehen seines Gebäudes und dessen wirtschaftlicher Verwertung. Das LG lässt es sich jedoch nicht nehmen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass seine Entscheidung aufgrund der Besonderheiten des Sachverhalts nicht verallgemeinerungsfähig sei. Es sei nicht darüber entschieden worden, ob es
möglicherweise "auch zulässig ist, eine gesamte Wohnung oder eine
gesamte Hausfassade mit Piratenflaggen zu dekorieren", fügte ein
Gerichtssprecher hinzu.
Die Grenzen: Nur gezielte Schädigung oder rechtswidrige Symbole
Grundsätzlich hat der Mieter jedoch aufgrund des Mietvertrages und § 535 Bürgerliches Gesetzbuch das Recht, die Mieträume "vertragsgemäß" zu nutzen. Nur in sehr engem Rahmen kann der Hauseigentümer es ihm untersagen, den Innenbereich zu dekorieren.
Der Bundesgerichtshof ist in mittlerweile ständiger Rechtsprechung (zuletzt im Beschl. v. 14.12.2010, Az. VIII ZR 198/10) der Auffassung, dass dem Mieter in einem Formularmietvertrag nicht diktiert werden kann, in welcher Farbe er die Wände zu streichen oder nicht zu streichen hat. Das oberste Zivilgericht hält also die Gestaltungsfreiheit des Mieters innerhalb seiner eigenen vier Wände für ein hohes Gut.
Das muss im Grundsatz auch für Fahnen in den Innenfenstern gelten, auch wenn diese von außen aus sichtbar sind. Für eine Regenbogenflagge hat das auch das Amtsgericht Schöneberg so gesehen.
Bei großen Sportereignissen sind Nationalflaggen oder Flaggen von Sportvereinen aus dem Stadtbild in Großstädten nicht wegzudenken. Der Fußballclub St. Pauli nutzt seit Jahren einen Totenkopf als Vereinswappen. Auch ein Fan der unkonventionellen Hamburger Kicker muss die Möglichkeit haben, "seine" Vereinsflagge zu hissen. Der vertragsgemäße Mietgebrauch kann erst dort enden, wo der Vermieter gezielt geschädigt werden soll oder rechtswidrige Symbole verwendet werden. Weder vom Regenbogen noch von Jolly Roger wird das wohl irgendwer behaupten wollen.
Der Autor Dominik Schüller ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Wohn- und Gewerbemietrecht sowie Immobilienrecht in der Kanzlei SAWAL Rechtsanwälte & Notar in Berlin.
Mit Materialien von dpa
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Dominik Schüller, Piratenflagge im Zimmerfenster: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4628 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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