2/2: Anwalt: Pauschale Ausnahme für Geistliche "nicht nachvollziehbar"
Nun müsse das SG klären, ob die Norm Raum für Ermessensspielräume lasse und ggf. eine gesetzeskonforme Auslegung notwendig gewesen wäre. Dann könnte das SG entscheiden, dass dem Antrag hätte stattgegeben werden müssen. Wenn nicht, würde es die Klage abweisen müssen – oder direkt einen Vorlagenbeschluss an das Bundesverfassungsgericht richten. "Das ist eine so grundsätzliche Frage, vielleicht kann man die gar nicht in Sachsen klären", meint Hotstegs. Sein Ziel wäre jedenfalls, einen geeigneten Arbeitsplatz für seinen Mandanten ohne wirtschaftliche Einbußen zu erreichen, die etwa mit einer Frühverrentung einhergehen könnten.
Dem Protestanten Hotstegs jedenfalls fällt es schwer, den Fall anders zu beurteilen, als er es jetzt für seinen Mandanten tut – und tun muss. "Es gibt ganz wenig Anhaltspunkte dafür, warum der Gesetzgeber diese pauschale Ausnahme für Geistliche geschaffen hat", so der Düsseldorfer, dessen Kanzlei sich nach eigenen Angaben seit Jahren auch auf das kirchliche Dienstrecht spezialisiert hat. Andere im Gesetz genannte Ausnahmen seien durchaus nachvollziehbar, so etwa, dass kein behindertengerechter Arbeitsplatz extra eingerichtet werden müsse, wenn Menschen maximal acht Wochen in diesem Job arbeiten. Dann sei schlichtweg der Aufwand zu hoch.
Kirchliche Sonderregelungen für das Arbeitsrecht des Pfarrers noch nie überprüft
Oder die Ausnahme für Mönche oder Nonnen etwa, weil deren Beschäftigung nicht dem Erwerb diene, versteht Hotstegs. "Aber für die Tätigkeit von Pfarrern in der heutigen Zeit", in der sein Mandant auch eine Familie – wenn auch mit schon recht erwachsenen Kindern– habe, bleibt die SGB-Ausnahme für ihn "ein großes Fragezeichen".
In vielen anderen Bereiche seien die Sonderregelungen für kirchliche Beschäftigte für ihn nachvollziehbar, etwa der Sonderweg beim Streik oder Gewerkschaftsbeteiligung, diverse Kündigungen, z.B. wegen Homosexualität oder Ehebruchs, das Vorgehen bei Kirchenaustritten und die Regelungen zur Berufsausübung wie etwa das Tragen eines islamischen Kopftuchs im Selbstverständnis der Kirchen - ein Vorgehen, das die katholische Kirche im Sommer selbst änderte. "Der Staat hat der Kirche und allgemein den Glaubensgemeinschaften ein hohes Maß an Autonomie zugestanden", so Hotstegs. "Üblicherweise besteht er dann allerdings darauf, dass die Kirchen eigene Regelungen treffen und überprüft nur das Ergebnis daraufhin, ob dieses verfassungskonform ist." Das habe der Gesetzgeber bei § 73 SGB IX aber gerade nicht gemacht.
Rückendeckung bekommt er von Professor Dr. Hermann Reichold von der Uni Tübingen und Leiter der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht: "Der Verweis aus § 2 Abs. 2 SGB IX auf § 73 ist in diesem Fall vom Sinn und Zweck her sehr in Frage zu stellen", sagt Reichold. "Die Ausgleichszahlung steht in einem ganz anderen systematischen Kontext und entspricht nicht dem Sinn des § 2 Abs. 2." Dies zusammen genommen mit der unterschiedlichen Behandlung etwa von Beamten und Geistlichen lässt die Vermutung zu, dass der Gesetzgeber diese Wechselwirkung zwischen den Normen nicht richtig bedacht hat." "Aber wer weiß", sagt Hotstegs, "vielleicht muss ich mich ja am Ende tief beeindruckt zeigen, welche filigranen Gedanken sich der Gesetzgeber bei dieser Regelung gemacht hat." Klar ist für ihn jedenfalls: "Wir werden diese Grundsatzfrage klären und die Sache ausfechten." So wahr ihm Gott helfe.
Tanja Podolski, Schwerbehinderung bei Pfarrern: . In: Legal Tribune Online, 21.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17930 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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