Über eine Helmpflicht für Radfahrer wird seit Jahren diskutiert. Es gibt sie weiterhin nicht. Dennoch gab Anfang des Monats das OLG Schleswig-Holstein einer Fahrradfahrerin die Mitschuld an einem Unfall, für den unstreitig ein Autofahrer allein verantwortlich war. Argument: Sie trug keinen Helm. Nette Idee, aber juristisch unsauber und schlicht ungerecht, kommentiert Dieter Müller.
Nach deutschem Verkehrsrecht sind Fahrradfahrer nicht verpflichtet, beim Fahren einen Schutzhelm zu tragen. Umso brisanter ist das Urteil des Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein vom 5. Juni, das derzeit nicht nur in der Publikumspresse für Aufsehen sorgt.
Der Senat entschied, dass eine Fahrradfahrerin, die ohne Fahrradhelm gefahren war und von einem sich verkehrswidrig verhaltenden Autofahrer angefahren und zu Fall gebracht wurde, nur 80 Prozent ihres Schadens erstattet bekommt. Er begründete die Kürzung der durch die schwere Schädel-Hirn-Verletzung der Frau entstandenen Schadensersatz- und Schmerzensgeldpositionen damit, dass sie keinen Helm getragen habe (OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 05.06.2013, Az. 7 U 11/12).
Dabei war unstreitig, dass das Unfallopfer an der Entstehung des Verkehrsunfalls schuldlos war, allerdings deswegen schwerer verletzt wurde, weil sie keinen Fahrradhelm getragen hatte.
Die Sache mit dem Mitverschulden im Straßenverkehr
Die gesetzlichen Regelungen zum Mitverschulden stehen im juristischen Fokus dieser Entscheidung, der man Präzedenzfallcharakter zumessen könnte.
Nach den Vorschriften des § 9 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hängt, wenn bei der Entstehung eines Schadens ein Verschulden eines Geschädigten mitgewirkt hat, die Verpflichtung zum Ersatz und dessen Umfang vor allem davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
Auch in dem vom OLG Schleswig-Holstein beurteilten Fall stellte sich das Problem der Verursachung. Ohne das verkehrswidrige Verhalten des Autofahrers hätte es keinen Verkehrsunfall gegeben, ohne den Verzicht auf den Fahrradhelm keine so schwerwiegenden Kopfverletzungen.
Andere OLG: Ohne Helm nur für Kinder und Rennradfahrer gefährlich
Ein Mitverschulden bei Radfahrern ohne Helm sehen zwar auch andere Oberlandesgerichte. Diese gehen davonallerdings nur dann aus, wenn es sich um besonders gefährdete Radfahrer wie Kinder und sportlich ambitionierte Rennradfahrer handelt.
Fälle dieser Art mit verletzten Radfahrern ohne Fahrradhelm haben in den vergangenen Jahren mehrere Oberlandesgerichte entschieden. So urteilte das OLG Saarbrücken über einen erwachsenen Radfahrer ohne Mitverschulden, das OLG Düsseldorf hatte über einen erwachsenen Rennradfahrer mit Mitverschulden sowie ein Kind mit BMX-Rad ohne Mitverschulden zu befinden. Eine einheitliche Meinung hat sich in der Rechtsprechung allerdings noch nicht herauskristallisiert.
Dieter Müller, OLG Schleswig-Holstein zur Radfahrerhaftung: . In: Legal Tribune Online, 20.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8976 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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