Öffnung des Arbeitsmarktes: Der Tag der Arbeit mal ganz frei­zügig

Am 1. Mai ist es so weit, die EU-Osterweiterung kommt an im deutschen Arbeitsmarkt. Und während die einen argwöhnen, dass die qualifizierten Fachkräfte längst in andere Staaten abgewandert sind, befürchten die anderen Lohndumping und eine Überschwemmung des Niedriglohnsektors. Kein Grund zur Panik, meinen Gregor Dornbusch und Lena Kern.

Der Markt wird geöffnet für die Angehörigen all der Länder, die der Europäischen Union bis zum Jahr 2004 beigetreten sind. Bei dieser "Osterweiterung" wurden die zehn Staaten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern in die EU aufgenommen.

Zur Grundidee der EU gehört bekanntlich, dass die Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten frei wählen können, in welchem Land sie arbeiten möchten. Diese Arbeitnehmerfreizügigkeit bestand ab 2004 zwingend und uneingeschränkt nur für Malta und Zypern. Für die übrigen Länder hatte Deutschland die von der EU eingeräumte Möglichkeit genutzt, die volle Öffnung seines Arbeitsmarkts um bis zu sieben Jahre zu verschieben. Die so genannte 2+3+2-Regelung erlaubte eine Zugangsbeschränkung, die höchstens zweimal verlängert werden konnte.

Die Handhabung der europäischen Vorgaben durch die Mitglieder war sehr unterschiedlich. Einige Länder wie etwa Großbritannien hatten ihre Arbeitsmärkte für die Angehörigen der Beitrittsstaaten unmittelbar ab dem Jahr 2004 geöffnet. Andere Mitgliedstaaten, zum Beispiel Spanien und Portugal, behielten eine Beschränkung für die ersten beiden Jahre, verlängerten diese aber nicht, sondern öffneten ihre Arbeitsmärkte dann im Jahr 2006.

Kritik aus allen Lagern: Zuwanderungswelle vs. Fachkräftemangel

Deutschland hat die Möglichkeiten ausgeschöpft. Das EU-Recht erlaubt keine weitere Beschränkung, nun musste die Bundesregierung nachziehen. Ab dem 1. Mai 2011 haben auch Arbeitnehmer aus den Ost-Staaten  ungehinderten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.

Schon im Vorfeld zirkulierten Begriffe wie "Lohndumping" und "Überschwemmung des Arbeitsmarktes". Solche Befürchtungen stehen im Gegensatz zu Stimmen, die meinen, die Öffnung des Arbeitsmarktes erfolge zu spät. Mittlerweile seien die gut qualifizierten Fachkräfte aus den osteuropäischen Beitrittsstaaten nämlich in andere Mitgliedsstaaten ausgewandert und hätten kein Interesse mehr am deutschen Arbeitsmarkt.

Zwar bestand gerade für gut qualifizierte Arbeitskräfte auch schon zuvor die Möglichkeit, eine spezielle "Arbeitsgenehmigung-EU" von der Agentur für Arbeit zu erhalten. Die Arbeitsaufnahme war jedoch mit deutlich mehr bürokratischem Aufwand verbunden als in den Mitgliedstaaten, die keine Zugangsbeschränkungen (mehr) hatten.

Umfragen zufolge hat Deutschland dadurch im Laufe der vergangenen Jahre an Reiz als Zuwanderungsland für Arbeitssuchende verloren. Nun fürchtet die Wirtschaft, dass gut qualifizierte Osteuropäer sich auch in Zukunft lieber in Richtung anderer Staaten orientieren.

Wer weg wollte, ist schon in England oder Irland

Andere Stimmen sagen ein Schreckensszenario für die Zeit ab dem 1. Mai 2011 voraus. Sie befürchten ein dramatisches Preisdumping aufgrund der "billigen" Arbeitskräfte aus den osteuropäischen Ländern. Gerade im Niedriglohnbereich sei mit Lohneinbrüchen zu rechnen.

Auf diesem Sektor hatte die Bundesagentur für Arbeit in den vergangen Jahren nur für wenige Felder EU-Arbeitsgenehmigungen erteilt. Während Au-Pair-Mädchen oder Schausteller in Deutschland tätig werden durften, blieb der Niedriglohnsektor im Übrigen bislang für Angehörige der Beitrittsländer weitgehend verschlossen. Maßstab für diese Entscheidung war, ob sich nicht auch ein deutscher Arbeitnehmer für die gleiche Aufgabe finden lässt. Wurde das generell bejaht, erteilte die Bundesagentur für Arbeit keine Arbeitsgenehmigung.

Auch deswegen sind in den vergangenen Jahren diejenigen Arbeitnehmer, die bereit waren, ihr Heimatland zu verlassen, in die Mitgliedsstaaten abgewandert, deren Arbeitsmärkte bereits offen waren. Beliebt waren England und Irland. Die Befürchtung, dass nun die große Zuwanderungswelle aus den osteuropäischen Ländern auf Deutschland zurollt, erscheint daher unbegründet.

Kein Grund zur Panikmache

Gleiches gilt für die Befürchtung, dass Zeitarbeitsfirmen aus den osteuropäischen Mitgliedstaaten jetzt nach Deutschland drängen. Mögliche Interessenten zögern derzeit schon deshalb, weil das deutsche Tarifrecht in diesem Bereich in Bewegung ist.

Außerdem benötigen auch ausländische Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland eine behördliche Erlaubnis, um ihre Tätigkeit auszuüben. Es ist also durchaus möglich, auch zukünftig Einfluss auf diese zu nehmen.

Sollten wider Erwarten doch spürbare Verschiebungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt auftreten, können in besonders betroffenen Branchen immer noch Tarifverträge helfen. Käme es tatsächlich zu echtem "Lohndumping", wäre es nicht nur möglich, zur Not Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Hinreichend vorsichtig gehandhabt, stünde auch noch die Festschreibung von Mindestlöhnen parat, um Mindestarbeitsbedingungen zu sichern.

Im Übrigen wird sich der Arbeitsmarkt in der Europäischen Union auf Dauer selbst regulieren müssen. Und das wird er auch tun. Für allgemeine Panikmache besteht kein Grund, und das gern zitierte Schwarzarbeiterproblem hat Deutschland ohnehin schon. Daran ändert sich durch die Marktöffnung nichts.

Der Autor Rechtsanwalt Dr. Gregor Dornbusch ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Baker & McKenzie. Auch die Verfasserin Dr. Lena Kern ist Rechtsanwältin der Rechtsanwaltsgesellschaft in Frankfurt am Main.

 

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Zitiervorschlag

Gregor Dornbusch und Lena M. Kern, Öffnung des Arbeitsmarktes: . In: Legal Tribune Online, 21.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3107 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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