Die Bundesregierung hat Verbraucher gefragt, wie die geplante Lebensmittel-Ampel aussehen soll. Nur: Eine solche darf sie gar nicht verbindlich einführen, sondern lediglich als unverbindliche "Empfehlung", erläutert Christian Rath.
Julia Klöckner (CDU), Chefin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), hat an diesem Montag das Ergebnis einer Verbraucher-Befragung vorgestellt. Danach finden Konsumenten Nutri-Score, das französische Modell einer erweiterten Nährwertkennzeichnung, am besten verständlich. Klöckner will das Ergebnis der Verbraucherbefragung beherzigen und die sogenannte Lebensmittel-Ampel als "Empfehlung" umsetzen. Eine gesetzliche Pflicht für die Hersteller sei allerdings nicht möglich, so das Ministerium.
Bis 2016 war die Information über Nährwerte auf der Verpackung gänzlich freiwillig. Allerdings wurden in Deutschland bereits bei über achtzig Prozent der verpackten Lebensmittel die zentralen Informationen über Kalorien- und Fettgehalt angegeben, so der Lebensmittelverband Deutschland.
Seit 13. Dezember 2016 gilt aber die EU-Verordnung über Lebensmittelinformationen (LMIV, VO Nr. 1169/2011). Diese war schon 2011 beschlossen worden, sah jedoch für die Nährwertkennzeichnung eine mehrjährige Übergangsfrist vor. Nun ist in der gesamten EU die Angabe von sieben Werten auf der Verpackung verbindlich vorgeschrieben: Brennwert (Kalorien), Fett, davon gesättigte Fettsäuren, Kohlenhydrate, davon Zucker, Eiweiß und Salz. Hersteller, die sich nicht daran halten, müssen nach der deutschen LMIV-Durchführungsverordnung mit Bußgeldern rechnen.
Die LMIV hat allerdings keine empfehlende Lebensmittel-Ampel wie Nutri-Score eingeführt. Das hatte die Lebensmittel-Lobby-verhindert. Nach Art. 38 Abs 1 LMIV gilt sogar das Gegenteil: Weitergehende verbindliche Vorschriften, die im EU-Recht nicht vorgesehen sind, sind den Mitgliedstaaten ausdrücklich verboten. So soll der freie Warenverkehr gesichert werden.
BMEL: Begriff des "Schutzes öffentlicher Gesundheit" europarechtlich eng auszulegen
Es gibt allerdings Ausnahmen. So könnnen die EU-Staaten laut Art. 39 Abs. 1 LMIV zusätzliche verbindliche Kennzeichnungen fordern, etwa wenn dies dem "Schutz der öffentlichen Gesundheit" dient. Das scheint eigentlich gut zu passen, denn die Lebensmittel-Ampel will ja erreichen, dass sich die Bürger gesünder ernähren. Doch das Ministerium winkt ab.
"Schutz der öffentlichen Gesundheit" sei im EU-Recht viel strenger definiert, es müsse dann schon um den Schutz vor ansteckenden Krankheiten oder ähnliches gehen. Dagegen hilft eine Lebensmittel-Ampel natürlich nicht.
Diese Auslegung ist auch nicht umstritten. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) teilt die Auffassung des Ministeriums ebenso wie der streitbare Verein Foodwatch. Deutschland kann die Lebensmittel-Ampel also wohl tatsächlich nicht verbindlich einführen. Die Verbände fordern daher eine Änderung der LMIV. Die Ampel soll EU-weit vorgeschrieben werden. Der vzbv hat dazu bereits eine Online-Unterschriftensammlung gestartet.
Derzeit erlaubt die LMIV gemäß Art. 35 Abs. 2 die nationale Einführung von Nutri-Score nur als staatliche Empfehlung. Und auch diese Empfehlung muss laut Art 35 Abs. 1 LMIV inhaltlichen Vorgaben genügen: unter anderem muss sie wissenschaftlich fundiert sein, darf Verbraucher nicht irreführen und ausländische Produkte nicht diskriminieren.
Noch im Oktober will Ministerin Klöckner der Bundesregierung eine Empfehlung für Nutri-Score vorschlagen. Das Kabinett würde die Empfehlung dann als Verordnung beschließen und der EU zur Prüfung vorlegen (notifizieren). Ungefähr im April 2020 soll dann nach der abschließenden Befassung des Bundesrats die Empfehlung in Kraft treten.
Nach Auffassung des Landgerichts Hamburg dürfen Lebensmittelhersteller bis dahin die Nutri-Score-Kennzeichnung gar nicht verwenden. Dem Fischstäbchen-Hersteller Iglo wurde dies im April auf Antrag des "Schutzverbands gegen Unwesen in der Wirtschaft" per einstweiliger Verfügung ausdrücklich verboten (LG Hamburg, Beschl. v. 16.04.2019, Az. 411 HKO 9/19). Die Nutri-Score-Anwendung verstoße gegen Art. 35 LMIV, weil ihre wissenschaftliche Basis nicht belegt sei. Außerdem enthalte sie nicht genehmigte nährwertbezogene Aussagen nach der EU-Health-Claims-Verordnung (Vo Nr. 1924/2006).
Iglo hat gegen den Beschluss des Landgerichts Rechtsmittel eingelegt. Am 14. November ist Verhandlung am Oberlandesgericht Hamburg.
Die Lebensmittel-Ampel: . In: Legal Tribune Online, 30.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37931 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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