Seine Mandantin bekam lebenslang für die NSU-Morde. Wolfgang Stahl hat Revision eingelegt, obwohl sie seine Verteidigung nicht mehr will. Der Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe über Frust, Honorare und die Idee der Strafverteidigung.
LTO: Herr Stahl, der NSU-Prozess hat Ihnen einiges abgefordert. Sie haben in diesem Sommer Ihren ersten Urlaub seit fünf Jahren nehmen können, der länger als eine Woche war. Haben Sie eigentlich mittlerweile Ihre vollständige Pflichtverteidiger-Vergütung erhalten?
Wolfgang Stahl: Nein, für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren gegen Frau Zschäpe steht eine angemessene Vergütung weiterhin aus. Das OLG hat mir als Vorschuss für die angefallenen 770 Arbeitsstunden 5.000 Euro zugebilligt. Das entspräche pro dokumentierter Arbeitsstunde 6,34 Euro.
Das kann man nicht ernst nehmen – und angesichts der Kosten, die ich als Rechtsanwalt habe, verärgert mich diese Bemessung. Ich hatte als angemessene Pauschvergütung ein Stundensatz in Höhe von 100 Euro in Ansatz gebracht, weil ich pro abrechenbarer Arbeitsstunde etwa 40 Euro erwirtschaften muss, um die auf mich entfallenden Kosten des Betriebs meiner Kanzlei zu erwirtschaften. Bliebe es bei der Zahlung des OLG für das Ermittlungsverfahren, hätte ich also etwa 35 Euro pro Stunde investiert, um Frau Zschäpe im Ermittlungsverfahren verteidigen zu können.
Nun wird man den Abschluss des Verfahrens und die endgültige Festsetzung abwarten müssen – notfalls gehe ich in diesem Punkt allerdings bis zum Bundesverfassungsgericht. Zumindest meine Kosten möchte ich erstattet bekommen.
Apropos Fortgang des Verfahrens: Wie geht es eigentlich Ihrer Mandantin Beate Zschäpe?
Selbst wenn ich es wüsste, würde ich nicht darüber sprechen. An der bekannten Sachlage hat sich nichts geändert. Wir haben das Mandat weitergeführt, weil wir berufsrechtlich und strafprozessual dazu verpflichtet waren. Wären wir eigenmächtig einfach nicht mehr erschienen, hätte das Verfahren gegen Frau Zschäpe wohl ausgesetzt werden müssen, es wäre also geplatzt. In diesem Fall hätten uns bis dato entstandene Verfahrenskosten in Millionenhöhe auferlegt werden können. Da bleibt kein Raum für Experimente.
"Der BGH könnte die Rechtsfigur der Mittäterschaft neu fassen"
Sie haben gemeinsam mit Ihren beiden Kollegen Revision gegen das Urteil des OLG München eingelegt. Ist denn die schriftliche Begründung des Gerichts schon eingetroffen?
Nein, sie ist uns noch nicht zugestellt worden. Aber wir haben die Begründung bereits ein Stück weit vorbereitet. Das OLG hat jedenfalls nach der bisherigen mündlichen Begründung ein mit der geltenden Rechtslage nicht in Einklang zu bringendes Urteil gesprochen.
Die Annahme, Frau Zschäpe habe als Mittäterin agiert, lässt sich angesichts der bisherigen Rechtsprechung des 3.Strafsenats des BGH nicht stützen. Das Gericht hat sich ein Stück weit auf die Argumentation der Bundesanwaltschaft eingelassen und sich deren thesengeleitete Rechtsauffassung zu eigen gemacht. Im Ergebnis wurde so ein Konstrukt für Mittäterschaft entwickelt, das es so bisher noch nicht gab.
Wird das Urteil vor dem BGH also keinen Bestand haben?
Jedenfalls dann nicht, wenn der 3. Senat an den von ihm bisher aufgestellten Voraussetzungen zur Mittäterschaft festhält. Diese zugrunde gelegt ist Frau Zschäpe definitiv keine Mittäterin gewesen.
Das OLG München hat die Argumentation des Generalbundesanwalts aber weitestgehend übernommen. Man kann natürlich nicht ausschließen, dass der BGH die Rechtsfigur der Mittäterschaft in diese Richtung neu fassen wird.
Gehen Sie eigentlich mit Elan in die nächste Runde des Verfahrens?
Nein, mit Elan sicher nicht. Ohne Frau Zschäpes Verhalten uns gegenüber bewerten zu wollen – wir haben uns bemüht und wurden dafür nicht belohnt. Das ist quasi die Definition von Frustration. Aber klar ist auch: Unser Berufsethos als Strafverteidiger gebietet es, die Begründung der Revision so akkurat wie möglich vorzunehmen. Und auch wenn ich als Pflichtverteidiger nicht in der Revisionshauptverhandlung beim BGH dabei sein müsste: Ich werde in diesem Fall aber dann wohl die Anwesenheit beantragen.
"Auf der Anklagebank saß auch die Bundesrepublik Deutschland"
Sie haben in Ihrem Schlussvortrag den bekannten Berliner Strafverteidiger Max Alsberg mit den Worten zitiert "Der Richter verurteilt, wenn sein Rechtsgefühl eine Bestrafung fordert". Zuletzt hat der Landesinnenminister von NRW angemahnt, dass die Justiz sich mehr am Rechtsempfinden der Bevölkerung orientieren sollte.
Und dabei geltendes Recht ignorieren sollte? Was für ein Unsinn. Ebenso unsinnig sind übrigens jetzt die Pläne der GroKo, unter Hinweis auf das NSU-Verfahren Verteidigerrechte zu beschneiden und alles auf "Kurzen Prozess" zu stellen. Natürlich gibt es auch Kollegen, die Instrumente aus der Strafprozessordnung tatsächlich bewusst missbräuchlich anwenden, aber das wird regelmäßig auf dem Rücken der Mandanten ausgetragen und führt nicht unbedingt zu Erfolg im Beruf.
Was hingegen den NSU-Prozess in die Länge gezogen hat und auch die Kosten hat explodieren lassen, waren in Wahrheit die viel zu vielen Nebenklage-Vertreter. Da saßen einige, die Akten aus anderen Mandaten gewälzt und trotzdem das Honorar abkassiert haben. So etwas stellt sich vereinzelt als Betrug dar. In diesem Punkt unterstütze ich übrigens das Ansinnen der Politik, für eine Straffung zu sorgen. Ein Nebenklägervertreter pro geschädigter Familie oder pro Tatort hätte das Verfahren erheblich verkürzt.
Einige – vor allem Nebenkläger - werfen dem Gericht vor, es habe die wahren Hintergründe der NSU-Morde nicht wirklich aufgeklärt. Verstrickungen des Verfassungsschutzes, weitere Unterstützer…das Gericht sei vielen Hinweisen nicht nachgegangen. Teilen Sie die Kritik?
Nein, abgesehen davon, dass nahezu alles aufgeklärt wurde, war das auch niemals Gegenstand des Prozesses. Gegenstand waren die Anklageschrift und die darin den Angeklagten zur Last gelegten Delikte.
Aber in der Tat: Der Prozess wurde auch damit belastet, dass auf der Anklagebank nicht nur die einzelnen Personen saßen, sondern auch – zumindest gefühlt – die Bundesrepublik Deutschland. Auch vor diesem Hintergrund muss das objektiv falsche Urteil gegen Frau Zschäpe eingeordnet werden.
Sie haben in einem der bedeutendsten Prozesse der Bundesrepublik eine Rechtextreme verteidigt, deren Freunde mordend durch das Land gezogen sind. Sie und ihre Kollegen wurden für die Annahme des Mandats angefeindet und bedroht. Sie aber haben immer gesagt: "Wer seine Mandate nach Delikten oder politischer Sympathie auswählt, hat seinen Beruf als Verteidiger verfehlt".
Ja, das ist richtig. Ich bin ein großer Freund des Rechtsstaats – würde mich auch weder als rechts oder links einordnen. Auch für die FDP bin ich mittlerweile zu liberal. Und ja, als Strafverteidiger darf man seinem Mandanten weder zu nah sein noch zu fern stehen. Wer Verteidigung gegen bestimmte Tatvorwürfe grundsätzlich aus politischen Gründen ablehnt oder weil sie ihm sonst nicht in den Kram passen, verrät in meinen Augen die Idee der Strafverteidigung.
Interview mit dem Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe: . In: Legal Tribune Online, 28.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30617 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag