Das Arbeitsgericht Leipzig hat entschieden: Ein Stundenlohn von sechs Euro brutto für eine Fachverkäuferin im Einzelhandel ist sittenwidrig und damit nichtig. Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein Gehalt als sittenwidrig gilt? Und welche Folgen hat das?
Möglicherweise auch aufgrund eines geänderten Fokusses werden sowohl Entscheidungen zu so genannten Bagatellkündigungen als auch zu Niedriglöhnen von der Öffentlichkeit derzeit stark wahr genommen. Juristisch gesehen enthält die nun veröffentlichte Entscheidung des Arbeitsgerichts (ArbG) Leipzig vom 11.03.2010 (Az. 2 Ca 2788/09) allerdings wenig Neues. Denn das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit einer Entscheidung vom vergangenen Jahr (BAG v. 22.04.2009, 5 AZR 436/08) jedenfalls rechtlich gesehen eindeutige Vorgaben zur Sittenwidrigkeit von Gehältern gemacht.
Ein Gehalt ist dann sittenwidrig, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt. Das ist der Fall, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht.
Üblich ist ein Tariflohn dann, wenn mehr als 50 Prozent der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebietes tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebietes beschäftigen. Sprich: Es muss eine überwiegende tarifliche Gebundenheit bestehen – und zwar in dem Tarifgebiet, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist.
Vergleich der regelmäßigen Vergütung mit dem regelmäßigen Tariflohn
Aber Achtung: Ein Tarifvertrag verfügt über diverse Lohnbestandteile, in der Regel über eine Grundvergütung und über Zulagen und Zuschläge für besondere Arbeiten und Arbeitszeiten. Um die Gehaltsermittlung in solchen Fällen nicht zu schwierig zu machen, nimmt das BAG eine generalisierende Betrachtung vor: Zu vergleichen sei die regelmäßig gezahlte Vergütung mit dem regelmäßig gezahlten Tariflohn. Sonderzahlungen, Zulagen und Zuschläge bleiben bei der Berechnung außen vor.
Werden dem Arbeitnehmer auf dieser Grundlage weniger als zwei Drittel des üblichen Gehalts bezahlt, so liegt darin nach dem BAG eine ganz erhebliche, ohne weiteres ins Auge fallende und nicht mehr hinnehmbare Abweichung.
Die Vorschrift zur Sittenwidrigkeit, § 138 BGB, verlangt jedoch nicht nur ein objektives Abweichen von der Norm; vielmehr muss der wirtschaftlich oder intellektuell Überlegene auch eine bei dem Unterlegenen bestehende Schwächeposition ausgenutzt haben. Bei der Vereinbarung eines Gehalts kann man da seine Zweifel haben: Kann man bei einem nicht-tarifgebundenen Arbeitgeber die Kenntnis des einschlägigen Lohntarifvertrages voraussetzen?
Das BAG bejaht dies. Einerseits sei der Tarifvertrag von großem Interesse für den Arbeitgeber und andererseits sei ein solcher Vertrag ohne Schwierigkeiten zu beschaffen. Und damit sei der Marktwert der Arbeit für den Arbeitgeber erkennbar.
Fehlt ein Tarifgehalt: "Verkehrsübliches Gehalt"
Wie aber liegt der Fall, wenn ein Tarifgehalt in einem Wirtschaftsgebiet nicht üblich ist? Dann ist auf das verkehrsübliche Gehalt abzustellen. Damit wird es für von Lohndumping betroffene Arbeitnehmer ungleich schwieriger, denn man wird von einem Arbeitgeber nicht unbedingt erwarten können, dass er die verkehrsübliche Vergütung kennt.
Bleibt die Frage, ob sich die Frage der Sittenwidrigkeit auch dann noch stellt, wenn eines Tages einmal ein Mindestlohn in der Bundesrepublik gelten sollte.
Unterschritten werden darf er nicht, eine solche Vereinbarung verstieße dann gegen ein gesetzliches Verbot und wäre nach § 134 BGB nichtig. Auch ein Gehalt über dem Mindestlohn kann jedoch sittenwidrig sein, wenn es sich um ein Gehalt handelt, das 2/3 des übliches Tarifgehaltes nicht erreicht. Durch die Einführung eines Mindestlohns würden also zumindest in der Justiz keine Arbeitsplätze entfallen
Der Autor Christian Oberwetter ist unter anderem Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg und Verfasser zahlreicher Publikationen auf diesem Gebiet
Christian Oberwetter, Niedriglöhne: . In: Legal Tribune Online, 06.05.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/475 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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