Neues Wahlrecht in NRW: Zwei Stimmen für einen Landtag

2007 wurde es beschlossen, von der Öffentlichkeit aber bisher kaum wahrgenommen: Am 9. Mai wird der nordrhein-westfälische Landtag zum ersten Mal nach dem neuen Wahlrecht gewählt. Dieses bringt einige wichtige Änderungen, behebt aber nicht alle Schwächen.

Zentral ist die Einführung der Zweitstimme. In Nordrhein-Westfalen werden künftig 128 von mindestens 181 Sitzen des Landtags in den Wahlkreisen vergeben. Der Bewerber mit den meisten Erststimmen gewinnt den Wahlkreis. Mit der Zweitstimme wird die Landesliste einer Partei gewählt. Die Mehrheitsverhältnisse im Landtag bestimmen sich dabei nach den auf die Landeslisten entfallenden Zweitstimmen.

So stehen einer Partei, die 30 Prozent der Zweitstimmen gewonnen hat, auch 30 Prozent der Sitze im Landtag zu. Die gewonnenen Sitze werden zunächst mit den erfolgreichen Wahlkreisbewerbern der Partei besetzt, weitere Sitze dann mit den Kandidaten der Landesliste in der dort festgelegten Reihenfolge.

Die Erststimme hat also – entgegen der landläufigen Ansicht – vor allem die Wirkung, im Landtag die Inhaber von hinteren Plätzen auf der Landesliste durch die Wahlkreisbewerber derselben Partei zu ersetzen. Dieser Effekt tritt in Nordrhein-Westfalen gegenüber Bundestagswahlen verstärkt auf, weil gut zwei Drittel der Mindestsitzzahl des Landtages in den Wahlkreisen vergeben werden, im Bundestag dagegen nur die Hälfte.

Überhang- und Ausgleichsmandate

Weiterhin kommt es mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit zu Überhangmandaten. Diese treten auf, wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr nach dem Anteil der Zweitstimmen Sitze im Landtag zustehen: Gewinnt eine Partei 45 Wahlkreise, obwohl ihr nach dem Anteil der Zweitstimmen nur 40 Sitze zufielen, wird diese Partei mindestens mit 45 Abgeordneten – nämlich den erfolgreichen Wahlkreiskandidaten – im Landtag vertreten.

Anders als bei Bundestagswahlen gibt es aber Ausgleichsmandate, die gewährleisten sollen, dass trotz der Überhangmandate die von den Zweitstimmen vorgegebenen Sitzanteile der Parteien im Landtag wiederhergestellt werden: Nach einem mathematischen Verfahren wird zunächst die Gesamtsitzzahl des Landtags angehoben. Die hinzugefügten Sitze werden dann auf die Parteien verteilt, um den Zweitstimmenproporz im Landtag abzubilden.

Unverständlich bleibt, weshalb man im Zuge der Neuregelung nicht die bekannten Schwächen der Ausgleichsregelung behoben hat, die zu einem unvollkommenen Ausgleich und einem unnötig großen Landtag führen können.

Keine parteifremden Bewerber

Eine weitere Neuerung betrifft das passive Wahlrecht: Parteien dürfen nunmehr weder als Wahlkreisbewerber noch als Kandidaten auf der Landesliste Personen aufstellen, die einer anderen Partei angehören. Das Landeswahlrecht folgt damit parallelen Entwicklungen im Bundestags- und Europawahlrecht. Die Regelung gilt jedoch nicht für politische Vereinigungen, die keine Parteien im Sinne des Parteiengesetzes sind. Es handelt sich also um ein spezifisches Homogenitätsgebot für politische Parteien.

Das Verbot parteifremder Bewerber beschränkt aus Sicht der Parteien die taktische Variationsbreite: Es ist den Parteien nunmehr verboten, Mitglieder anderer Parteien, die auf sich gestellt wegen der Fünf-Prozent-Hürde chancenarm wären, als Kandidaten aufzustellen und damit das Wählerpotential dieser kleineren Parteien auf die eigenen Mühlen zu leiten.

Ganz gegenstandslos sind diese Überlegungen angesichts der von der Linken in der Vergangenheit teilweise geübten Praxis nicht, Mitgliedern von Splitterparteien auf ihren Listen einen nicht aussichtslosen Platz einzuräumen.

Schwierig abzuschätzen sind die Auswirkungen der Zweitstimme. Jedenfalls ermöglicht dieses Instrument die Durchführung von "Leihstimmenkampagnen" und taktischer Zweitstimmenabgabe. Dies spricht eher für einen Vorteil kleinerer Parteien, die als mögliche Koalitionspartner gebraucht und daher von Anhängern der größeren Partei mittels "Zweitstimmenleihe" über die Fünf-Prozent-Hürde gehievt werden.

Der Autor Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsches und europäisches Parteienrecht an der Heinreich-Heine-Universität Düsseldorf

Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, Neues Wahlrecht in NRW: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/108 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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