Im Fall des Todes des kleinen Kevin wurde das Verfahren gegen seinen Amtsvormund wegen fahrlässiger Tötung eingestellt. Der Angeklagte muss eine Geldauflage von 5.000 Euro zahlen. Dr. Doris Kloster-Harz stellt die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Amtsvormundschaft vor und plädiert dafür, Verantwortung nicht allein auf staatliche Stellen abzuwälzen.
Der erst zweijährige Kevin war tot im Kühlschrank seiner Eltern aufgefunden worden. Er starb infolge schwerer Misshandlungen. Seinem Vormund wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, den Jungen nicht rechtzeitig in staatliche Obhut genommen zu haben.Wir lesen beim Frühstück die Zeitung und fragen uns: Wie kann es passieren, dass mitten unter uns ein Kind zu Tode gequält wird?
Im Grundgesetz (Artikel 6 GG) heißt es: Pflege und Erziehung des Kindes sind das natürliche Recht der Eltern und ihre Pflicht. Aber dort steht auch, dass die staatliche Gemeinschaft über diese "elterliche Betätigung" wacht. Der Staat ist also nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Rechte eines Kindes zu wahren, seine Menschenwürde zu garantieren.
Wenn Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bestehen, haben die Familiengerichte einzugreifen und ggf. den Eltern das Sorgerecht zu entziehen.
In der Bundesrepublik stehen über 70.000 Kinder und Jugendliche unter Vormundschaft und Pflegschaft. Ein Großteil dieser Kinder hat bereits erhebliche Gefährdungen erfahren. Wenn sich zeigt, dass die Eltern nicht in der Lage sind, ihre erzieherischen Aufgaben wahrzunehmen und auch von außen angebotene Hilfe nicht in Anspruch nehmen oder nicht umsetzen können, bleibt nur der Entzug des Sorgerechts.
Amtsvormund nimmt Aufgaben der Eltern wahr
In diesem Fall hat der vom Gericht eingesetzte Amtsvormund die Aufgabe der Eltern wahrzunehmen. Er entscheidet über den Aufenthalt des Kindes, sein leibliches Wohl und seine Erziehung. Wie er mit dieser Verantwortung umgeht, obliegt seiner Entscheidung.
Für jedes Kind, insbesondere für ein kleines Kind, ist es ein Problem, wenn es von den vertrauten Personen, vor allem den Eltern, getrennt wird. Deshalb kann es sinnvoll sein, wenn ein Amtsvormund das Kind in der Familie belässt und durch häufige Kontaktaufnahme, Besuche und auch Einschaltung Dritter, zum Beispiel des Jugendamtes, dafür sorgt, dass eine ausreichende Überwachung des ihm anvertrauten Kindes stattfindet.
Der Amtsvormund arbeitet in der Regel zusammen mit dem zuständigen Sozialarbeiter des Jugendamtes. Einerseits müssen beide versuchen, das Vertrauen der Eltern zu erwerben, damit das Kind in seinem gewohnten Umfeld bleiben kann. Andererseits müssen sie entscheiden, wann die Grenze erreicht ist und wann ein Kind aus einer Familie genommen werden muss.
Dies ist eine schwierige Gratwanderung. Häufig ist es auch ein Kompetenzproblem: Wer nimmt welche Aufgaben wahr? Wer führt welche Kontrollen durch? Wann ist die Polizei oder das Familiengericht einzuschalten? Wann müssen Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz ergriffen werden? Schaffen es die Eltern doch noch, ihre erzieherischen Aufgaben wahrzunehmen? Das Jugendamt stellt Hilfepläne auf und führt Kontrollbesuche durch.
Staatlicher Schutz versagte wegen Überlastung
Bei Kevin hat der staatliche Schutz versagt. Sind Amtsvormund und die zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes zu verurteilen? Den geforderten Berufsgruppen wird Versagen unterstellt. Die Strafgerichte müssen genau untersuchen, ob hier tatsächlich ein strafbares Verhalten vorliegt und ein Schuldvorwurf gemacht werden kann, der zu einer Bestrafung führt.
Dies ist in einem langwierigen Verfahren geschehen. Dabei war auch zu berücksichtigen, welche Belastung zeitlicher und psychischer Art für einen Amtsvormund entsteht und ob er das, was von ihm gefordert wird unter den gegebenen Umständen hat leisten können. Das Gericht hat dies getan und ist angesichts der Bedingungen, unter denen der Amtsvormund arbeiten musste, zu dem Ergebnis der Verfahrenseinstellung gekommen.
Für uns alle ist es leicht, das Versagen in einem solchen Fall allein den staatlichen Organen, insbesondere der Jugendhilfe und dem Amtsvormund zuzuschieben. Aber wir dürfen nicht vergessen: Verantwortlich sind wir alle.
Was war mit den Nachbarn, die neben der betroffenen Familie von Kevin wohnten? Was ist mit Freunden, Bekannten, Verwandten, Ärzten, Kindergärtnerinnen, alle die die Familie kannten und ihr begegnet sind? Haben sie alle richtig reagiert oder darauf vertraut, dass sich schon andere kümmern?
Ein so großes Herz, wie es Dominik Brunner hatte, der sich schützend vor andere gestellt und dafür mit seinem Leben bezahlt hat, schlägt nicht in jedem von uns. Aber die Augen offen halten müssen wir alle.
Dr. Doris Kloster-Harz ist Fachanwältin für Familienrecht und Autorin zahlreicher Fachpublikationen.
Doris Kloster-Harz, Nach der Entscheidung im Fall Kevin: . In: Legal Tribune Online, 19.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1248 (abgerufen am: 20.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag