Die Große Koalition peitscht die Musterfestellungsklage im Eiltempo durch die parlamentarischen Gremien. Das Gesetz soll wie geplant zum 1. November in Kraft treten. Nachträgliche Änderungen im Rechtsausschuss reichen der Opposition nicht.
Zumindest die getäuschten VW-Kunden dürften über die Einigung der Großen Koalition (GroKo) bei der Musterfeststellungsklage (MFK) erfreut sein. Das Gesetz kann am 1. November in Kraft treten, um so gerade eben noch eine Klage gegen Volkswagen zu ermöglichen. Eine damit zum Jahreswechsel drohende Verjährung würde damit gehemmt.
Mit der MFK sollen Verbraucher künftig Schadensersatzansprüche gegen Konzerne leichter durchsetzen können. In Musterprozessen sollen strittige Fragen generell geklärt werden. Danach müssten Verbraucher ihre konkreten Ansprüche in einem Folgeprozess geltend machen. Den Musterprozess sollen Verbraucherschutzverbände führen. Im Rechtsausschuss hatte die GroKo am Mittwoch noch Änderungen vorgenommen.
SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner zeigte sich gegenüber LTO erleichtert: "Die SPD hat durchgesetzt, dass die Musterfeststellungsklage wie geplant diese Woche beschlossen wird und zum 01.11.2018 in Kraft tritt. Verbraucher könnten dann über die kostenlose Eintragung in das Klageregister die Voraussetzungen für ihre Ansprüche durch eine qualifizierte Einrichtung klären lassen." Die rechts- und verbraucherpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, sagte, dass man aus der Sachverständigen-Anhörung am Montag "noch einige Anregungen mitgenommen" habe. "Wenn viele Verbraucher in gleicher Weise geschädigt sind, haben Sie damit einen einfachen Weg, ihre Anspruchsvoraussetzungen klären zu lassen." Man habe auch Vorkehrungen getroffen, um der befürchteten Klageindustrie vorzubeugen.
Änderungen auf der Zielgeraden
Ob der Effizienz und der tatsächlichen Verbraucherfreundlichkeit des neuen Instrumentariums war bis zuletzt heftig gestritten worden – auch innerhalb der Großen Koalition. Vor allem die Union hatte immer wieder Befürchtungen Ausdruck verliehen, dass die MFK einer Klageindustrie den Weg ebnen könne. Sie wollte deshalb vor allem bei der Klagebefugnis für in Betracht kommende Verbände enge Grenzen setzen. Unternehmen dürften nicht mit "mutwilligen Klagen konfrontiert werden, an denen nichts dran sei."
Allerdings blieb es in diesem Punkt bei der zuletzt gefundenen Lösung: Klagebefugte Verbände müssen nach dem Gesetz mindestens 350 Personen oder zehn Unterverbände als Mitglieder haben, dürfen es nicht auf Gewinn durch die Klagen anlegen und nicht mehr als fünf Prozent ihrer Einkünfte von Unternehmen beziehen. Damit bleibt nach aktuellem Stand der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die in der Vergangenheit beim Thema Autoabgase immer wieder erfolgreich mit Klagen gegen Industrie, Bund und Ländern erfolgreich war, die Klagebefugnis verwehrt.
Die Koalition einigte sich allerdings auf der parlamentarischen Zielgeraden noch auf diverse Änderungen. Aufgegriffen wurde etwa die Anregung des Bundesrates, wonach für Musterfeststellungsklagen direkt die Oberlandesgerichte (OLG) als erste Instanz zuständig sein sollen. Befürchtet worden war, dass es mit den ursprünglich vorgesehenen drei Instanzen zu lange bis zu einem rechtskräftigen Entscheid dauern könnte. Klargestellt wurde überdies, dass gegen Musterfeststellungsurteile die Revision immer möglich sei. Die Sache habe stets grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Absatz 2 Nummer 1 Zivilprozessordnung (ZPO), heißt es im Änderungsantrag der GroKo.
Hürden bei der Anmeldung
Kritik bei Verbänden und Opposition hatte das im ursprünglichen Entwurf vorgesehene "Windhundprinzip" ausgelöst: Danach kann nur derjenige Verband "Musterkläger" werden, der die Klage zuerst beim zuständigen Gericht einlegt. Unter anderem der Deutsche Anwaltverein (DAV) hatte vor einem "Wettlauf zum Gericht" gewarnt. Die Koalition hat dieses Prinzip am Mittwoch zumindest abgeschwächt: Mehrere Musterklagen zum gleichen Thema können miteinander verbunden werden. Allerdings nur, wenn die Klagen am selben Tag bei Gericht eingereicht werden.
Weitere Sorgen hatten unter anderem der Verbraucherzentrale (vzbv) auch die hohen Anforderungen für Verbraucher an die Anmeldung im Klageregister bereitet. Laut ursprünglichem Gesetzentwurf hätten Verbraucher für eine wirksame Anmeldung "Gegenstand und Grund ihres Anspruchs oder des Rechtsverhältnisses" angeben und auch den "Betrag der Forderung" nennen müssen. Mit unter Umständen weitreichenden Folgen für die Verbraucher: Denn nur wer sich formal korrekt im Register einträgt, profitiert später von der verjährungshemmenden Wirkung der Klage und kann sich weiter per individueller Leistungsklage auf das Musterurteil berufen.
Die vzbv hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass von einem Großteil der Verbraucher nicht erwartet werden könne, dass sie ihren Anspruch nach Höhe und Grund diesen Anforderungen entsprechend beschreiben (können). Das gelte sowohl für die Sachverhaltsschilderung wie auch für die Anspruchshöhe, die zum Beispiel im Dieselskandal nicht leicht zu berechnen sei. Befürchtung der vzbv: "Die Anmelder könnten allein wegen unzureichender Eintragungen von den Wirkungen des Musterurteils ausgeschlossen werden, obwohl ihr Fall inhaltlich mit der Musterfeststellungsklage übereinstimmt und vom Musterurteil profitieren müsste."
In diesem Punkt hat die GroKo leichte Korrekturen vorgenommen: So muss bei der Anmeldung nicht mehr zwingend die konkrete Forderungshöhe genannt werden. Es findet sich nun eine Soll-Vorschrift im Gesetz: "Die Anmeldung soll Angaben zum Betrag der Forderung enthalten."
Grüne: "Fauler Zahn" und "Mogelpackung"
Der Forderung einiger Sachverständiger, dass sich neben Verbrauchern auch betroffene Unternehmen einer MFK anschließen können, erteilte die GroKo grundsätzlich eine Absage: "Davon haben wir abgesehen, weil das Musterfeststellungsverfahren auf Verbraucher abzielt", sagte SPD-Politiker Fechner zu LTO. Allerdings gab es auch in diesem Zusammenhang letztlich eine Änderung: "Wir regeln, dass Unternehmen, die z.B. bei einem Autokauf über Abgaswerte getäuscht wurden und deshalb klagen, beantragen können, dass ihr Prozess unterbrochen wird, bis ein Urteil in einem entsprechenden Musterprozess vorliegt." Zwar habe das Musterurteil keine Bindungswirkung, doch de facto werde ein Gericht bei gleichem Sachverhalt das Musterurteil berücksichtigen, so Fechner. Nach LTO-Informationen hatte sich bei diesem Punkt in den Verhandlungen offenbar die Union durchgesetzt. Ihr war es speziell darum gegangen, Handwerker und kleine Unternehmen von der MFK profitieren zulassen.
Von der Opposition bekam die GroKo für ihren Änderungsantrag die volle Breitseite: Die Grünen-Abgeordnete Manuela Rottmann nannte ihn einen "faulen Zahn für den ohnehin schon zahnlosen Papiertiger Musterfeststellungsklage". Die GroKo habe den Sachverständigen, von denen sich in der Anhörung am Montag keiner uneingeschränkt für den Gesetzentwurf ausgesprochen habe, nicht zugehört.
Rottmann kritisierte unter anderem die unverändert hohen Hürden bei der Anmeldung zu einer MFK: "Der Verbraucher muss weiterhin wesentliche Angaben machen, welchen ihm schwerfallen dürften, so die Einschätzung des Gegenstands und Grundes seines Anspruchs oder Rechtsverhältnisses oder die Bezeichnung der Beklagten", sagt Rottmann. Das Ganze bleibe eine Mogelpackung zulasten der juristischen Laien, denen die Koalitionäre einen Anwalt nicht zur Seite stellen möchte, so die Grünenpolitikerin. Auch bleibe das Windhundprinzip trotz der Änderung "im Wesentlichen erhalten", kritisierte sie. Erreichen das Gericht am selben Tag zufällig mehrere MFK, könnten diese zwar miteinander verbunden werden. Im Übrigen bleibe es aber bei der Sperrung für weiterer Klagen.
FDP kritisiert Volkswagen
Ähnlich ernüchternd fiel auch das Resümee von FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae aus: Mit dem kurzfristig eingebrachten Änderungsantrag blieben gravierende Probleme bestehen. Wenn ein Verband das Verfahren nur dann führen dürfe, wenn er die Klage als erster (oder zumindest noch am selben Tag) einreiche, schade das der Qualität des Rechts und helfe auch nicht den Verbrauchern, so Thomae.
Angesichts des Zeitdrucks übte der FDP-Politiker auch Kritik am VW-Konzern: "Ich habe immer wieder gefordert, dass VW rechtsverbindlich erklären sollte, für die nächsten 12 Monate auf die Einrede der Verjährung zu verzichten und an dieser Forderung halte ich nach wie vor fest." Schließlich sei weiter "nicht gesichert, dass die MFK für die Geschädigten rechtzeitig kommt", erklärte er gegenüber LTO.
Bedauern dürfte insbesondere der vzbv, dass sich die GroKo beim Thema Haftung nicht mehr zu Veränderungen bereiterklärt hat: Die Verbraucherzentrale hatte darauf hingewiesen, dass das Haftungsrisiko potentiell sehr weit reichend und für den klagenden Verband kaum kalkulierbar sei. Es sei zu befürchten, "dass Musterfeststellungsklagen jedenfalls in wirtschaftlich bedeutsamen Fällen mit hoher Schadenssumme wahrscheinlich nicht geführt werden können".
Hasso Suliak, Musterfeststellungsklage: . In: Legal Tribune Online, 13.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29121 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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