Das Recht gilt auch für den Rechtsbrecher. Der Fall des Kindsmörders zeigt, wie schwierig es ist, diese Säule des Rechtsstaats zu akzeptieren. Über zehn Jahre nach dem Mord an dem Bankierssohn Jakob von Metzler schlägt die Justiz nun das letzte Kapitel auf: Wem steht die Entschädigung zu, die das Land Hessen zahlen muss? Eindeutig Gäfgen, nicht dem Insolvenzverwalter, meint Franz Zilkens.
2002 entführte und ermordete Magnus Gäfgen den elfjährigen Jakob von Metzler. Die Tat erhielt besondere Aufmerksamkeit, weil zwei hochrangige Polizisten dem Entführer Misshandlungen androhten, um den Aufenthaltsort des Kindes zu erfahren. Damit verließen sie den Boden des Rechts und lösten eine intensive Debatte über die Legitimität von Folter aus. Die Polizisten wurden für die Verstöße verurteilt; auch wenn ihr Rechtsbruch moralisch geboten war.
Gäfgen kämpfte jahrelang durch alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für eine Entschädigung. Das allerletzte und rechtskräftige Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt sprach ihm im Herbst 20012 eine "symbolische" Entschädigung von 3.000 Euro zu (Urt. v. 10.10.2012, Az. 1 U 201/11). Auch bei diesem Ergebnis sträubt sich alles, aber: Das Recht gilt für jeden. Der Rechtsstaat unterscheidet nicht danach, wer das Recht sucht. Justitia ist tatsächlich blind. Das ist die beruhigende Botschaft.
Gäfgens Anwalt hält Hinterlegung für rechtsmissbräuchlich
Trotzdem ist das Ergebnis nicht richtig; niemand empfindet es als gerecht. Die Schuld des Kindsmörders überschattet seine juristischen Siege. Die Öffentlichkeit, Verwaltung und Politik empfinden Abscheu und fragen sich, wie der Mann tatsächlich auf eine Entschädigung bestehen kann. Er verhöhnt damit sein Opfer und dessen Hinterbliebene.
Nun ist aber die juristische Munition verschossen; das Land Hessen muss dem Urteil gehorchen und das Schmerzensgeld auszahlen. In dieser Situation scheint sich eine letzte Möglichkeit aufzutun, dass Gäfgen das Geld wenigstens nicht selbst erhält: Der 37-Jährige hat Privatinsolvenz beantragt. Neben ihm hat laut Innenministerium daher auch sein Insolvenzverwalter eine Zahlungsaufforderung an das Land gerichtet. Das Innenministerium hat daraufhin das Geld beim Amtsgericht Frankfurt hinterlegt, was der Anwalt des Entführers für rechtsmissbräuchlich hält.
Bereits Mitte 2006 hatte Gäfgen Insolvenz beantragt, wohl um von den hohen Kosten seines Mordprozesses befreit zu werden; das Verfahren endete jedoch bereits im Juni 2008. Damit ist die Vermögensverwertung grundsätzlich abgeschlossen, der Insolvenzbeschlag aufgehoben und die Entschädigung müsste an Gäfgen persönlich ausgezahlt werden.
BGH-Entscheidung gibt Insolvenzverwalter keinen Anspruch
Das Insolvenzgericht beziehungsweise der zuständige Rechtspfleger ordnete auf Anregung des Insolvenzverwalters jedoch eine zunächst vorläufige Nachtragsverteilung an, so dass der (ehemalige) Insolvenzverwalter die Entschädigung auch heute noch zur Insolvenzmasse ziehen und an die Gläubiger verteilen kann. Die Anordnung der Nachtragsverteilung überwindet das prozessuale Ende des Insolvenzverfahrens, so dass der Insolvenzverwalter die Entschädigungssumme noch verlangen könnte.
Die rechtskräftige Entscheidung des OLG Frankfurt verurteilt das Land Hessen zwar ausdrücklich dazu, das Geld an Gäfgen persönlich zu zahlen. Allerdings wirkt das Urteil nur zwischen den Parteien; also zwischen dem Kindermörder und dem Land Hessen. Der Insolvenzverwalter war wohl an dem Verfahren nicht beteiligt. Er könnte daher einen neuen Prozess anstrengen, wenn er das Geld zur Insolvenzmasse ziehen möchte. Das Land Hessen müsste dann – um im Zweifel nicht doppelt zu zahlen – das Geld in der Tat hinterlegen.
Der Insolvenzverwalter Gäfgens begründet seine Zahlungsaufforderung an das Land mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach Ersatzansprüche gegen das Land dem Insolvenzverwalter zustehen sollen (Urt. v. 27.09.2012, Az. IX ZB 12/12). Tatsächlich hatten die Karlsruher Richter dabei jedoch nur über Gäfgens Rechtsbeschwerde gegen die Anordnung der Nachtragsverteilung entschieden und das Rechtsmittel allein aus formalen Gründen als unzulässig verworfen.
Schmerzensgeldansprüche nicht pfändbar
Zu dem Anspruch selbst äußerte der BGH sich nicht; dem Urteil ist auch keine Tendenz zu entnehmen. Es bleibt also bei dem Beschluss des Rechtspflegers am Insolvenzgericht, der auf Anregung des Insolvenzverwalters eine Nachtragsverteilung angeordnet hat. Der Rechtspfleger nimmt dabei in aller Regel keine eigene Prüfung vor, sondern schafft die Voraussetzungen für den Insolvenzverwalter, der damit weiterhin einen bestimmten Anspruch für die Gläubiger einziehen kann. Ist ein Anspruch des Insolvenzverwalters auf die Schmerzensgeldsumme nicht offensichtlich aussichtslos, ist eine Hinterlegung für das Land Hessen der einzig mögliche Weg, um einer doppelten Zahlung zu entgehen.
Eine Klage des Insolvenzverwalters wäre jedoch aller Voraussicht nach nicht erfolgreich, da die Entschädigung nicht zur Insolvenzmasse gehört. Das eindeutige Urteil aus Frankfurt ist auch in dieser Hinsicht richtig. Zur Insolvenzmasse gehören nur Ansprüche, die auch in einer normalen Zwangsvollstreckung pfändbar sind. Höchstpersönliche Ansprüche, die nicht ohne Veränderung ihres wesentlichen Inhalts an andere abgetreten werden können, zählen nicht dazu.
Ein Schmerzensgeld, das nicht den immateriell Geschädigten erreicht, kann seinen Zweck nicht erfüllen. Der Anspruch kann daher nicht abgetreten werden, ohne dabei sein Wesen zu verändern.
Es bestehen also keine ernsthaften Zweifel daran, dass Gäfgen selbst Inhaber des Schmerzensgeldanspruchs ist. Der Trick mit der Hinterlegung geht nicht auf. Der Schritt des Landes Hessen ist nachvollziehbar, aber trotzdem nicht richtig.
Der Autor Dr. Franz Zilkens ist Partner der AHW Insolvenzverwaltung in Köln.
Hinterlegung des Schmerzensgelds richtig: . In: Legal Tribune Online, 15.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7961 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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