Existenzbedrohte Selbständige können in der Coronakrise leichter Geld von den Jobcentern bekommen. Wer aber offenbar Vermögen zu verbergen hat, profitiert von der Neuregelung nicht, erläutert Martin Kellner einen Münchner Eilbeschluss.
Die absehbaren wirtschaftlichen Schäden infolge der Corona-Pandemie veranlassten den Bundesgesetzgeber dazu, den Zugang zu den existenzsichernden Leistungen zu erleichtern. Der neue § 67 SGB II regelt für die Jobcenter ein vereinfachtes Bewilligungsverfahren, das insbesondere in ihrer wirtschaftlichen Existenz betroffenen Kleinunternehmern und Solo-Selbständigen entgegenkommen soll. Das Landessozialgericht München (LSG) hat in einer nun veröffentlichen Entscheidung dargelegt, dass es aber auch in diesem vereinfachten Verfahren ohne ein Minimum an Mitwirkung durch den Antragsteller keine staatlichen Leistungen gibt (Beschl. v. 20.4.2020, Az. L 16 AS 170/20 B ER).
§ 67 SGB II sieht als befristete Sonderregelung ein vereinfachtes Verfahren für Bewilligungszeiträume vor, die im Zeitraum März bis Juni 2020 beginnen. Anders ausgedrückt: In der Coronakrise soll es unkomplizierter Geld vom Staat geben. Die Bundesregierung kann dieses Zeitfenster per Verordnung noch bis Ende 2020 verlängern, wenn sie dafür Bedarf sieht. Die Vereinfachungen betreffen zum Beispiel die Fragen, wie vorhandenes Vermögen zu berücksichtigen ist, in welchem Umfang der Staat Wohnkosten trägt, wie Jobcenter aktuelles Einkommen werten müssen und einige formelle Erleichterungen, zum Beispiel vereinfachte Antragserfordernisse.
Ein Selbstständiger, der etwas zu verheimlichen hat?
In dem Eilverfahren, das das bayerische LSG nun zu entscheiden hatte, begehrte ein Selbstständiger, der in Bayern und Tirol Fortbildungen für Berufskraftfahrer durchführt, ergänzend ALG II (Hartz IV). Dabei ging es um einen Weiterbewilligungsantrag für Leistungen ab April 2020. Dass der Mann bereits schon seit zehn Jahren Leistungen von dem Jobcenter bezogen hatte, steht der Anwendung des vereinfachten Verfahrens nicht entgegen. Denn § 67 SGB II verlangt keine Kausalität der Corona-Pandemie für die wirtschaftliche Notlage.
Der Knackpunkt des Falls: Das Jobcenter hatte für die Zeit von Dezember 2019 bis März 2020 die Leistungsbewilligung aufgehoben, nachdem es auf Unregelmäßigkeiten bei der Antragstellung aufmerksam wurde. Offenbar hatte der Mann nämlich ein Sparkassenkonto nicht angegeben. Bei dem Antrag auf Leistungen ab April 2020 teilte der Mann mit, dass er zwar keinen Gewinn aus seiner selbständigen Tätigkeit erwarte. Die von dem Jobcenter angeforderten Kontoauszüge von dem mysteriösen Sparkassenkonto legte er aber nicht vor. Wegen der neuen Corona-Gesetzgebung sei eine Konto- bzw. Vermögenseinsicht der Jobcenter nicht nötig, so der Mann.
Und in der Tat wird nach § 67 Abs. 1 SGB II von den Jobcentern Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt. Die Regelung soll sicherstellen, dass die durch die Coronakrise wirtschaftlich besonders Betroffenen angesichts des nur vorübergehenden Bezugs von Grundsicherungsleistungen nicht zunächst ihre Ersparnisse aufbrauchen müssen. Außerdem soll es so schneller Leistungen geben, weil nicht erst die Vermögensverhältnisse aufwändig geprüft werden müssen.
Kritische Ausnahme: Liegt "erhebliches" Vermögen vor?
Um den Missbrauch zu verhindern, dass Betroffene das schnelle Geld vom Staat "mal eben so" mitnehmen, wird Vermögen aber auch nach den neuen Corona-Regeln berücksichtigt, nämlich wenn es "erheblich" ist. Wie immer wirft so ein unbestimmter Rechtsbegriff juristische Fragen auf; die Schwelle zur Erheblichkeit ist auch nicht legaldefiniert.
Nach den Vorstellungen der Bundesagentur für Arbeit lässt sich die Grenze mit Blick auf das Wohngeldrecht bestimmen. Danach liegt erhebliches Vermögen vor, wenn das sofort verwertbare Vermögen (Barmittel und sonstige liquide Mittel) 60.000 Euro für das erste zu berücksichtigende Haushaltsmitglied sowie jeweils 30.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied übersteigt.
Nach der neuen gesetzlichen Corona-Regelung wird erst einmal vermutet, dass bei den Antragstellern kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn diese das im Antrag so erklären. Dabei ist der Eigenerklärung jedoch kein unverrückbarer Aussagewert beizumessen. Dem Jobcenter kann es nämlich nicht zugemutet werden, eine Leistung zu bewilligen, wenn die Rechtswidrigkeit der Bewilligung unmittelbar erkennbar ist. Deshalb darf das Jobcenter nach den geltenden Regeln nicht nur von Amts wegen ermitteln, wenn im Rahmen der Antragstellung eine Erklärung zu den Vermögensverhältnissen verweigert wird, sondern auch, wenn Anhaltspunkte für ein wahrheitswidriges Bestreiten erheblichen Vermögens vorliegen. Glaubt die Behörde, dass ein Antragsteller falsche Angaben macht oder gar lügt, darf sie der Sache auf den Grund gehen.
Im Zweifel: Wer muss was beweisen?
Vor diesem Hintergrund konnte im Verfahren des LSG erhebliches Vermögen nicht verneint werden. Der Mann lehnte es im Antragsverfahren ab, eine Erklärung zum vorhandenen Vermögen abzugeben. Bereits deshalb konnte man in seinem Fall nicht davon ausgehen, dass der Mann nicht doch irgendwo erhebliche Vermögensreserven versteckt hatte. Von dem Jobcenter waren dabei keine weiteren Ermittlungen zu dem sofort verwertbaren Vermögen zu erwarten.
Deshalb befanden die Münchner Sozialrichter: Wenn ein Antragsteller nicht ausreichend mitwirkt und die Behörde ihre Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat, ist nach den Beweislastregeln zu entscheiden. Danach trifft die objektive Beweislast denjenigen, der einen Leistungsanspruch geltend macht, dessen Tatbestandsvoraussetzungen nur er nachweisen kann, hier also nur der Mann. Wirkt er nicht mit, gibt es auch kein Geld.
Ebenso kommt das LSG zu dem Ergebnis, dass es für den Mann auch keine Verlängerung der "alten" Leistungen für die "Corona-Monate" gibt. In der Corona-Krise sieht § 67 Abs. 5 SGB II zwar vor, dass eine Verlängerung der Zahlungen auch ohne weiteren Antrag möglich ist. Der zuletzt gestellte Antrag des Leistungsempfänger gilt dann fort; für die Weiterzahlungen werden die bisherigen Verhältnisse zugrunde gelegt. Weil dem Mann für den unmittelbar vorausgegangenen Zeitraum ab Dezember 2019 die Leistungen aber gestrichen worden waren, kann er auch nicht nach den Corona-Regelungen weiter Geld vom Staat beziehen.
LSG: Corona-Regelungen sind kein Freifahrtschein
Das Argument des LSG, der Mann bekomme auch nach den neuen Regelungen kein Geld, weil ihm in der Vergangenheit die Leistungen gestrichen worden waren, wackelt ein wenig, weil der Mann noch ein Verfahren gegen die Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Monate ab Dezember 2019 betreibt. Sollte er das gewinnen, bekäme er nach den Ausführungen des LSG eben vielleicht doch das "schnelle Corona-Geld" für Selbstständige.
Dann könnte man jedoch die weitere juristische Frage stellen, ob die Weiterbewilligung unter Annahme unveränderter Verhältnisse nach § 67 Abs. 5 SGB II auch dann greift, wenn die Anspruchsvoraussetzungen offensichtlich nicht bestehen. Auch an dieser Stelle gilt der Grundsatz, dass Leistungsträger nicht verpflichtet sind, sehenden Auges materiell rechtswidrige Entscheidungen zu treffen.
Insgesamt macht die Entscheidung des LSG damit deutlich, dass der Staat in der Coronakrise natürlich mit unkomplizierter Finanzspritze aushelfen will. Einen Freifahrtschein für Betroffene gibt er damit allerdings noch lange nicht aus.
Dr. Martin Kellner, LL.M. (Vanderbilt) ist Richter am Sozialgericht in Freiburg im Breisgau.
LSG München zu Hartz-IV-Leistungen für Selbstständige: . In: Legal Tribune Online, 08.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41568 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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