Björn Höcke soll bei einer AfD-Wahlkampfveranstaltung eine verbotene SA-Parole verwendet haben. Der Prozess begann mit einem neuen Anwalt, zahlreichen Anträgen, Unterbrechungen und Diskussionen zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft.
Spürhunde, die jeden einzelnen Rucksack schnüffelnd überprüfen, Demonstrationen vor dem Gerichtsgebäude, zahlreiche Medienvertreter:innen, neben dem Sitzungssaal ein separater Raum mit Tonübertragung für den erwarteten Andrang. Der Strafprozess gegen Thüringens AfD-Landespartei- und Fraktionschef Björn Höcke am Landgericht Halle (Az. 5 KLs 6/23) startet mit großem Aufwand und Trubel. Der 52-Jährige selbst erscheint lächelnd mit drei Verteidigern und zwei Personenschützern. Ihm wird vorgeworfen, bei einer AfD-Wahlkampfveranstaltung im Mai 2021 die verbotene Losung der Sturmabteilung (SA) der NSDAP "Alles für Deutschland!" verwendet zu haben. Damit steht eine Strafbarkeit wegen "öffentlichen Verwendens von Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation" gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 4 und § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) im Raum, die neben einer Freiheitsstrafe auch den Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts zur Folge haben könnte.
Die erst mit gerichtlichem Beschluss vom vergangenen Freitag zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung hinzugefügte Anklage wegen einer ähnlichen Tat auf einer AfD-Veranstaltung in Gera trennte das Gericht einen Tag vor Prozessbeginn wieder ab. Hintergrund ist eine Änderung in der Verteidigung Höckes: Verteidiger Dr. Ulrich Vosgerau sei laut Auskunft der Pressesprecherin des LG erst seit weniger als einer Woche angezeigt, Rechtsanwalt Philip Müller sei bis zum heutigen Tag nicht bekannt gewesen. Durch die Kurzfristigkeit hätten die beiden nicht ausreichend Zeit zur Einsicht in die Akten der Tat in Gera gehabt. Das Gericht kann die neuerliche Anklage jedoch im Laufe der Hauptverhandlung auch wieder hinzuverbinden (§ 4 Strafprozessordnung (StPO)), was die Staatsanwaltschaft schließlich auch beantragte. Die Ladungs- und Einlassungsfristen seien spätestens am dritten Verhandlungstag am 3. Mai 2024 gewahrt.
Verteidiger: "Politischer Geheimjustiz entgegentreten"
Plant Höcke bzw. seine Verteidigung also, mit derartigen Maßnahmen den Prozess zu verzögern? Den ersten Verhandlungstag jedenfalls verbringen Höckes Anwälte damit, verschiedene Anträge zu stellen – und zwar noch vor Verlesung der Anklageschrift. Direkt nach Eröffnung des Verfahrens und Abfrage der Personalien beantragt Rechtsanwalt Müller die Tonaufzeichnung der gesamten Hauptverhandlung. Dies sei notwendig, um dem Angeklagten ein faires Verfahren gem. Art. 20 GG i.V.m. Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu sichern. Es bedürfe einer rationalen, faktenbasierten Darstellung und einer sauberen Beweissicherung in etwaigen Folgeverfahren.
Es könne nicht vermieden werden, dass heimliche Aufzeichnungen durch Journalisten gefertigt werden würden und eine undifferenzierte Berichterstattung erfolge. Die deutsche Medienlandschaft sei schon vor Verfahrensbeginn festgelegt. Man finde wohl kaum noch Bürger – inklusive Richter –, die Höcke unbefangen entgegenstehen und müsse einer politischen Geheimjustiz entgegentreten. Zwar sei ein gerichtliche Tonaufnahme kein geltendes Recht, aber dem stünde auch nichts entgegen.
Das sah das Gericht anders und lehnte den Antrag ab. Erst per Verfügung, auf Beanstandung der Verteidigung nach einer Unterbrechung schließlich per Gerichtsbeschluss. Die Begründung blieb die gleiche: Die Voraussetzungen des § 169 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgestz (GVG), wonach die Aufnahme der Hauptverhandlung für wissenschaftliche und historische Zwecke bei herausragender Bedeutung möglich ist, seien nicht erfüllt. Es bestünden zudem keine Anhaltspunkte, dass ansonsten eine Gefährdung des fairen Verfahrens zu befürchten sei. Damit folgt es im Ergebnis der Ansicht der Staatsanwaltschaft, die den Antrag zuvor als "schön verpackte Eröffnungsrede" bezeichnete und darauf verwies, dass die Verfahrensrechte durch zahlreiche StPO-Normen gewahrt seien. Zudem seien Anträge im Vorfeld der Anklageverlesung gem. § 243 StPO nicht angedacht.
Verteidiger unterbricht Staatsanwalt bei Anklageverlesung
Sogleich setzt Staatsanwalt Benedikt Bernzen zu selbiger an, wird jedoch nach wenigen Worten von Verteidiger Dr. Vosgerau unterbrochen. Er lege Beschwerde gegen den Ablehnungsbeschluss des Gerichts ein. Außerdem rügt er die Besetzung des Gerichts: Das Verfahren gehöre vor das Amtsgericht. Das OLG Naumburg hatte zuvor auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft entschieden, dass das Verfahren wegen der "besonderen Bedeutung des Falles" vor dem LG Halle statt vor dem Amtsgericht Merseburg verhandelt werden soll. Dies ist gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG möglich. Die Verteidigung beanstandet allerdings die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm und regt eine konkrete Normenkontrolle gem. Art. 100 GG an.
Indes zeigt sich Staatsanwalt Bernzen nach einer weiteren, durch dieses anwaltliche Vorbringen ausgelösten Unterbrechung entsetzt. “Sie sind mir in mein Wort gefallen, das ist ungeheuerlich“, wendet er sich an Verteidiger Dr. Vosgerau. Das sei ihm noch nie passiert. Überdies sei die Beschwerde nicht statthaft und für eine Überprüfung von § 24 GVG das hiesige Verfahren nicht der richtige Ort.
Als Vosgerau daraufhin meint, es sei ja begreiflich, dass der Staatsanwaltschaft "die Düse gehe", das liege aber nicht an den Anträgen, wird er vom Vorsitzenden Richter Jan Stengel ermahnt, sachlich zu bleiben. Vosgerau hingegen fühlt sich durch den Staatsanwalt in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Ein weiterer Antrag folgt daraufhin aber nicht.
Stattdessen stellt das Gericht nach einer weiteren Unterbrechung fest, dass die Beschwerde nicht statthaft sei. Der Angeklagte könne sich aber davon unbenommen an das Bundesverfassungsgericht wenden. Mehr als vier Stunden nach Prozessbeginn wird schließlich die Anklage verlesen. Neue Informationen enthält sie nicht.
Höcke will aussagen
Zum Schluss gibt der Vorsitzende Höcke noch den Vorschlag mit auf den Weg, bei seinem "Anwaltskarussell" doch besser einen Pflichtverteidiger festzulegen, und stellt dem Angeklagten die mit Spannung erwartete Frage. Sodann steht fest, dass Höcke sich grundsätzlich einlassen möchte.
Ob dies schon am nächsten Verhandlungstag am 23. April 2024 geschehen wird, bleibt offen. Für diesen Termin ist laut Pressesprecherin ein Polizeibeamter als Zeuge geladen. Zudem hat die Staatsanwaltschaft bereits angekündigt, ein Video des Auftritts in Gera in Augenschein nehmen zu wollen. Unabhängig von der Verfahrensabtrennung sei dies als relevantes Nachtatverhalten zu würdigen, das sich strafschärfend auswirken könne – zum Zeitpunkt des zweiten Vorfalls im Dezember 2023 war die erste Anklage der Staatsanwaltschaft bereits erhoben. Eine Tatsache, die sich zumindest für die Äußerungen in Gera möglicherweise auf die umstrittene Annahme des Vorsatzes auswirken könnte.
Für das Verfahren sind zunächst noch drei weitere Verhandlungstermine angesetzt. Wahrscheinlich wird die “Karussellfahrt“ jedoch länger als geplant. Aufgrund der Annahme, "dass die anderen Termine ähnlich laufen könnten wie bisher", regt Staatsanwalt Bernzen am Ende bereits die Vereinbarung weiterer Verhandlungstage an. Und in diesem Punkt sind sich dann auch zum ersten Mal alle Verfahrensbeteiligten einig.
Prozessauftakt im Strafverfahren gegen Björn Höcke: . In: Legal Tribune Online, 18.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54362 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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