Auf Facebook kursierten Werbeanzeigen für pseudomedizinische Produkte – mit einem per Bildbearbeitungsprogramm eingefügten Hendrik Streeck. Diese Anzeigen darf der Facebook-Konzern Meta gar nicht erst online stellen, entschied das LG Bonn.
Professor Hendrik Streeck ist eines der Gesichter der Covid19-Pandemie in Deutschland. Der Leiter des Instituts für Virologie an der Bonner Uniklinik war aus Talkshows monatelang nicht wegzudenken – von vielen Redaktionen geschätzt für seine mit Überzeugung vorgetragenen kritischen Kommentare zur deutschen und internationalen Corona-Politik. Dass er Produkte gegen Harninkontinenz entwickelt, für Mittel gegen Diabetes wirbt oder unter einer Blasenentzündung leidet, ist weniger bekannt. Kein Wunder – denn das ist frei erfunden.
Verwundert die Augen reiben sich daher Facebook-Nutzer, die mit einem Bild von Streeck versehene Werbeanzeigen lesen, in denen es etwa heißt: "Damit das Wasserlassen wieder normal wird, hören Sie auf, diese Lebensmittel zu essen."
Solche Fake-Werbeanzeigen sind laut Landgericht (LG) Bonn rechtswidrig und Facebook-Betreiber Meta muss sie nach einem entsprechenden Hinweis umgehend löschen. In dem von Streeck betriebenen Eilverfahren entschied das LG ferner, dass Meta dazu verpflichtet sei, proaktiv sicherzustellen, dass solche Anzeigen gar nicht erst "live" gehen (Beschl. v. 05.07.2023, Az. 9 O 130/23). Dies gelte ab dem Zeitpunkt, zu dem Meta erstmals über vergleichbare Verstöße in Kenntnis gesetzt worden sei, heißt es in dem Beschluss, der LTO vorliegt.
Im vorliegenden Fall hielt das Gericht für glaubhaft, dass Streeck Meta mehrfach auf die Anzeigen hingewiesen und abgemahnt hatte, Meta aber lediglich nachträglich gelöscht hatte. Der Plattformbetreiber habe auch nach den Hinweisen nicht verhindert, dass weiterhin rechtsverletzende Werbeanzeigen der beschriebenen Art veröffentlicht werden.
Assoziation mit Pseudomedizin verletzt Streecks Persönlichkeitsrecht
Die von unterschiedlichen Nutzerprofilen geposteten Werbeanzeigen verlinken dubiose Websites und sind stets untertitelt mit dem Teaser: "Warum die Apotheken schweigen", daneben ein Button für "weitere Infos". Das mit dem Post verbundene Anzeigebild (Thumbnail) bildet stets eine Collage aus einem "Insidertipp", wie man Diabetes Typ 2, Inkontinenz, Gehörverlust und Ähnliches "los wird", einem Bild oder einer Animation, welches die jeweilige Infektion oder Lebensmittel, die man nicht mehr zu sich nehmen sollte, bebildert – und einem per Bildbearbeitungsprogramm eingefügten Foto von Streeck, meist im Kittel. Manchmal steht vor dem "Insidertipp" auch das Wort "Experte", gefolgt von einem Doppelpunkt. Teils wird Streeck sogar namentlich erwähnt.
Diese Werbeanzeigen wollte der Virologe nicht akzeptieren. Er meint, die Collage erwecke "bei den Empfängern der Werbeanzeigen [den] Eindruck", er "mache selbst Werbung für die Produkte, Behandlungs-Methoden und/oder werbenden Unternehmen oder sei jedenfalls damit einverstanden, dass andere mit seinem Bildnis und teils auch mit seinem Namen dafür Werbung" auf Facebook machen.
Wenn man sich die Anzeige "Wie ich meine Prostatitis losgeworden bin, ist mein Geheimnis" ansieht, könnte man die Suggestivwirkung aufgrund der Ich-Perspektive womöglich noch weiter fassen: dass Streeck hier nicht nur Experte, sondern (auch) Betroffener ist.
Diese Anzeigen verletzen nach Auffassung des LG Bonn Streecks Allgemeines Persönlichkeitsrecht (APR), das gegenüber dem Staat durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und zivilrechtlich als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB geschützt ist.
Das ist wohl so eindeutig, dass das Gericht diesem Prüfungspunkt in dem Eilbeschluss nicht viel Text widmete. Es beschränkte sich im Wesentlichen darauf, die Rechtsverletzung festzustellen und die Anspruchsgrundlage für das Unterlassungsbegehren zu benennen: Neben die schon genannten Normen tritt § 1004 Abs. 1 BGB, der ausdrücklich eine Störung des Eigentums voraussetzt, aber auf APR-Verletzungen analog angewendet wird. Insoweit das Recht am eigenen Bild als besondere Ausprägung des APR betroffen ist, verweist das LG zusätzlich auf §§ 22, 23 Kunsturhebergesetz (KUG), die die Veröffentlichung von Bildnissen anderer Menschen unter das grundsätzliche Erfordernis der Einwilligung stellen.
Ärzte dürfen keine Werbung machen
Eine besondere Komponente hat Streecks Fall, da es ihm als Mediziner berufsrechtlich untersagt ist, für seine Arbeit oder für medizinische Produkte zu werben, so § 27 Abs. 3 Satz 4 der Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä). Hierauf stellten Streecks Anwälte, Dr. Christian Conrad und Robert Fritz von der Kanzlei Höcker, in dem LTO vorliegenden Verfügungsantrag maßgeblich ab.
Das LG schloss sich dem an: Die Werbeanzeigen "gefährden" Streecks "Ansehen" als Mediziner "insbesondere aufgrund der für Mediziner geltenden standesrechtlichen Vorschriften […], wonach Ärzten eine Werbung für eigene oder fremde gewerbliche Tätigkeiten oder Produkte im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit untersagt ist".
Die weiteren rechtlichen Probleme des Falls betreffen die Plattformhaftung. Zum einen stellt sich die Frage, ob Meta Störer im Sinne des § 1004 BGB ist, zum anderen fragt sich, ob in der Rechtsfolge nur nachträgliche Löschung der Anzeigen verlangt werden kann oder ob das Unternehmen präventiv sicherstellen muss, dass solche Anzeigen gar nicht erst "live" gehen.
An der Störer-Eigenschaft mag man zweifeln, weil Meta sich die Fake-Werbung nicht ausgedacht und die Collage nicht zusammenbastelt hat. Aber gleichzeitig ist Facebook als Plattform das Medium, auf dem diese Anzeigen öffentlich online gehen. Die dort verlinkten Websites werden ohne die Reichweite des sozialen Netzwerks womöglich gar nicht wahrgenommen.
Plattformbetreiber muss Werbeanzeigen vor Veröffentlichung prüfen
Streecks Anwälte sahen Meta als unmittelbaren Störer an, die "aktive Prüfung und Freischaltung der Anzeigen" sei ein "eigener Tatbeitrag". Da Meta die Inhalte der Werbeanzeige vor Veröffentlichung prüfe und sie anschließend mit Identifikationsnummer und Emblem versehe, mache sich die Plattform die Inhalte "zu eigen". In jedem Fall sei Meta mittelbarer Störer – das Argument: Der Plattform-Betreiber habe die rechtswidrigen Werbeanzeigen vor Veröffentlichung nicht hinreichend geprüft und damit gegen Prüfpflichten verstoßen, sowohl gegen solche, die von der Rechtsprechung aufgestellt worden seien, als auch gegen die eigenen Werberichtlinien.
Das LG Bonn machte es sich einfach und bejahte "jedenfalls" eine mittelbare Störung, ließ die Frage einer unmittelbaren Störung dagegen offen. Maßgeblich waren die von der Rechtsprechung aufgestellten Prüfpflichten: Sobald der Plattformbetreiber Kenntnis davon erlangt habe, dass eine bestimmte Anzeige das APR einer Person verletze, müsse er nicht nur diese Anzeige löschen, sondern auch sicherstellen, dass "kerngleiche" Postings nicht veröffentlicht oder – falls bereits geschehen – umgehend gelöscht werden. Diese Pflicht greife unmittelbar – ohne dass es eines erneuten Hinweises bedürfe. Dabei berücksichtigte das LG auch die Facebook-Werberichtlinien.
Das Gericht bejahte damit auch die von Streeck begehrte Rechtsfolge, nämlich dass Meta die Veröffentlichung von Anzeigen der beschriebenen Art untersagt wird, was voraussetzt, dass Meta die Anzeigen vor Veröffentlichung auf mögliche Rechtsverletzungen prüft. Meta hatte die betroffenen Werbeanzeigen nach Hinweisen bzw. Abmahnungen jeweils gelöscht. Dennoch war es immer wieder zu neuen Anzeigen der dargestellten Art gekommen.
Rechtsverstöße hier auch durch Algorithmen leicht zu erkennen
In der Praxis läuft die Anzeigeprüfung weitgehend automatisiert ab. Algorithmen müssen also erkennen, ob eine Rechtsverletzung vorliegt. Daraus kann nach Ansicht von Streecks Anwälten nicht geschlossen werden, dass es Facebook unmöglich ist, rechtsverletzende Anzeige der beschriebenen Art herauszufiltern. Hier sei zu berücksichtigen, dass die Werbeanzeigen alle nach demselben Schema aufgebaut seien und schon der Schriftzug "Warum Apotheken schweigen" – auch und gerade durch Algorithmen – leicht zu erkennen sei. Dies überzeugte das LG Bonn wohl, es vertiefte die praktische Umsetzung der präventiven Prüfpflichten in dem Eilverfahren jedoch nicht weiter.
Streecks Anwalt Conrad zeigt sich erfreut über die Entscheidung. Das LG Bonn habe klargestellt, "dass Dritte weder Professor Streecks bekanntes Gesicht noch dessen Ruf missbrauchen dürfen – schon gar nicht im Zusammenhang mit Werbung für dubiose Hilfsmittelchen, die das Leid und die Hoffnung oftmals verzweifelter Verbraucher anspricht."
Tatsächlich sind von Werbeanzeigen für pseudomedizinische Hilfsmittel auch andere Prominente betroffen, unter ihnen Markus Lanz, in dessen Talkshow Streeck zwischenzeitlich fast im Wochentakt Corona-Maßnahmen kommentierte.
Rechtskräftig ist die Entscheidung noch nicht. Ob Meta plant, hiergegen Widerspruch einzulegen, ließ das Unternehmen auf LTO-Anfrage bis zum Erscheinen des Artikels unbeantwortet.
Unterlassung von Fake-Werbung: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52201 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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